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Briefe an Ignatz Bubis 2/5


Zentralrat der Juden in Deutschland
Herrn Ignatz Bubis
Oranienburger Straße 31
10 117 BERLIN

 

Berlin, 17. September 1993

Bubis: Viele Deutsche antisemitisch

 

Sehr geehrter Herr Bubis,

am 29. August 1993 habe ich Ihnen unter der gleichen Überschrift einen Brief geschrieben. Da Sie mir nicht geantwortet haben vermute ich, Sie haben diesen Brief unter "antisemitische Äußerungen" abgelegt. Das wäre fatal.

Ich sehe mich überhaupt nicht als Antisemit. Im Gegenteil. In Schlesien geboren, habe ich mich schon als 8-Jähriger gefragt, warum die "Fremdarbeiter" unter so entsetzlichen Umständen leben müssen. Nach dem Krieg wurde mir immer mehr bewußt, mit welcher Menschenverachtung die Nazis ihre bornierte Ideologie verfolgt haben. Die alte Kultur der Juden hat mich immer fasziniert, jeden Freitag höre ich Estrongo Nachama singen. Ich gehöre keiner Kirche an, Gott nähere ich mich über die Astronomie und die Naturwissenschaft. Aber die Juden, wenn sie keine orthodoxen sind. sehen Gott ja auch nicht so eng wie die Christen.

Meine religiöse Toleranz ist sehr groß. Sie hört aber da auf, wo Religion zur menschenverachtenden Ideologie verkommt. Wenn sie dann auch noch Staatsdoktrin ist, bestehen zu den Nazis und dem vergangenen Realsozialismus nur noch graduelle Unterschiede.

Ich stehe genau auf dem Standpunkt, den Sie mehrfach propagiert haben: Israel und die Juden sind prinzipiell verschiedene Dinge. Mit meinem Brief wollte ich Sie nur darauf aufmerksam machen, daß Sie dem latenten Antisemitismus Vorschub leisten, wenn Ihren Reden keine Taten folgen, wenn Sie zu der menschenverachtenden Politik Israels schweigen.

Ich kann auch verstehen, daß Sie da in einer fürchterlichen Zwickmühle stecken. Aber es gibt nur einen Ausweg: Die Juden in Deutschland sind keine Israelis. Und Sie können im Angesicht der Geschichte unmöglich für den Zentralrat die Gewalt gut heißen oder tolerieren, die in Israel an der Tagesordnung ist. Mindestens brauchen Sie sich dann nicht über den wachsenden Antisemitismus zu wundern: Sie sind dann selber mit dafür verantwortlich.

Es wäre sehr interessant, dazu Ihre Meinung zu hören.
Mit freundlichen Grüßen

gez. Jürgen Albrecht

 

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