BACK

Einseitige Briefe an Ignatz Bubis 1/5


Zentralrat der Juden in Deutschland
Herrn Ignatz Bubis
Oranienburger Straße 31
10 117 BERLIN

 

 

 

 

Berlin, 29. August 1993

Bubis: Viele Deutsche antisemitisch

 

Sehr geehrter Herr Bubis,

von Zeit zu Zeit beklagen Sie in der Öffentlichkeit den wieder aufkommenden Rechtsradikalismus und Antisemitismus in Deutschland. Das ist richtig. Auch ich bin der Meinung, der Staat müßte hier wesentlich konsequenter sein, als er derzeitig reagiert. Aber mindestens gegen den Antisemitismus können Sie selber mit dem Zentral rat auch etwas tun.

Wo ist Ihr Protest gegen die Ausweisung der 400 Palästinenser? Wo ist Ihr Protest gegen die Verschleppung der Verhandlungen mit den Palästinensern? Wo ist Ihr Einspruch gegen die entsetzlich brutale Politik Israels gegen seine Nachbarn? Ich habe den Eindruck, Israel hat aus dem Holocaust nur eine Lehre gezogen: Der Stärkere hat Recht.

Mir ist völlig klar, die Juden und Israel sind zwei völlig verschiedene Dinge. Ich kann auch verstehen, daß Sie natürlich mit Israel sympathisieren. Aber ich will Sie ganz einfach darauf aufmerksam machen, daß die verdeckte oder offene Solidarität des Zentralrats mit Israel die Sympathie auch gutwilliger Deutscher gegenüber den Juden schmälert. Aus einem ganz einfachen Grund: Die Politik Israels verletzt Völkerrecht und Menschenwürde in einem Ausmaß, daß man sich einfach dafür schämen muß, daß so einen Staat an den Grenzen von Europa existiert. Wer dazu schweigt, macht sich mitschuldig. Genau so wie der, der zu den rechtsradikalen und ausländer- feindlichen Aktionen in Deutschland schweigt.

Wenn Sie zu Deutschlands Innenpolitik Stellung nehmen, aber zu Israels Politik schweigen, sind sie unglaubwürdig. Denn - auch wenn das falsch ist - viele Deutsche wissen nichts von einem Unterschied zwischen den Juden und Israel. Und die jetzige Politik Israels kann ein vernünftiger Mensch - gerade in Kenntnis der neueren Geschichte - einfach nicht akzeptieren oder gar befürworten.

Mit freundlichen Grüßen

gez. Jürgen Albrecht

Keine Antwort

 

BACK