BACK

Auserwählt und auf Mission

Viele Menschen und Menschengruppen fühlen sich
aus religiösen oder ideologischen Gründen 'auserwählt'.
Warum?
Sähe die Welt ohne Auserwählte anders aus?

 

 

Der Begriff 'Auserwählt'
wird in einem Deutschen Wörterbuch der Deutschen Sprache
wie folgt charakterisiert:

Synonyme: auserkoren, auserlesen, ausersehen, edel, elitär, erkoren, erlesen, erstklassig, exquisit, exzellent, hochwertig, kostbar, kultiviert, stilvoll, unübertrefflich, überragend
vergleiche: auserkoren
ist Synonym von: auserkoren, auserlesen, ausgewählt, begnadet, bevorzugt, elitär, erkoren, erwählt, gesegnet
wird referenziert von: exquisit

Beispiele:

  • Denn er hielt sich für auserwählt, und das Gefühl für die eigene Singularität, als Künstler und Visionär, war in dem Maße gewachsen, wie die Umwelt ihm die Anerkennung dafür versagte. (Quelle: DIE WELT 2000)
  • Jetzt ahmt er ein Küken beim Ballett nach, vier Sekunden später mimt er den Juden, "der, obwohl er schon zum auserwählten Volk zählt, sich selber noch einmal auserwählt hat, um ganz sicher zu gehen". (Quelle: DIE WELT 2000)
  • Viele sind berufen, heißt es im Neuen Testament, doch nur wenige sind auserwählt. (Quelle: DIE WELT 2000)
  • In der Tat hat der Papst im vierten Abschnitt seines generell knapp gehaltenen Bekenntnisses in allgemeiner Form gesagt: "Gott unser Vater, du hast Abraham und seine Nachkommen auserwählt, deinen Namen zu den Völkern zu tragen. (Quelle: DIE WELT 2000)

 

Zitate zu 'Auserwählt'

 

Der objektive Begriff

Das Auserwähltsein einzelner Menschen oder grosser Menschengruppen beruht auf dem subjektiven Glauben, von Gott, einer übergeordneten Idee oder von einem weltanschaulichen System für einen besonderen Auftrag auserwählt zu sein.

Das Auserwähltsein ist immer mit einer religiösen oder ideologischen Weltanschauung verbunden, die für die Auserwählten wahr ist. Mit dem Glauben an das wahre Gedankengebäude besitzen Auserwählte ein geschlossenes Weltbild, das oft mit den Naturwissenschaften kollidiert. Auserwählte sind in höherem Auftrag auf einer Mission um ihren Glauben zu verbreiten und danach zu leben. Das Auserwähltsein ist ein wesentliches Charakteristikum der Religionen. Modifiziert ist es aber auch bei Ideologien und bei Psychosen zu beobachten.

 

Ein subjektives Facit

Die umfangreiche Sammlung von Zitaten zeigt vor allen Dingen eines: Das Auserwähltsein ist ein historisch alter, sehr verbreiteter und vielschichtiger Sachverhalt. Objektiv sind die Zitate, werten kann man das Phänomen nur subjektiv. Meine Ansicht zu diesem Thema ist eine Meinung von endlos vielen ... ohne jeden Anspruch auf Wahrheit und Objektivität.

Ich sehe das Auserwähltsein sehr kritisch, denn ich fühle mich in keiner Weise auserwählt. Genau das aber ist offenbar entscheidend für die Beurteilung der Auserwählung. Jeder Mensch scheint latent gefährdet zu sein, sich selbst zu überschätzen. Dann ist es bis zum Auserwähltsein und der Erleuchtung nicht mehr weit. Wahrscheinlich ist dieses Verhalten eine natürliche 'optimistische Programmierung', die die Überlebenschancen erhöht.

Aus meiner Sicht ist die interessanteste Literaturstelle die Studie von Rudolf Sponsel, Erlangen. Darin findet sich eine Definition des Begriffs 'auserwählt', an die sich meine Definition anlehnt.

Das Auserwähltsein besitzt folgende Aspekte:

  • Einzelne Menschen (Abraham) oder grosse Gruppen (das sozialistische Lager) wähnen sich von Gott, einer übergeordneten Idee oder einem weltanschaulichen System für einen besonderen Auftrag auserwählt.
  • Auserwählte sind in höherem Auftrag auf einer Mission.
  • Auserwählte fühlen sich im Besitz einer besonderen Weltanschauung (ihr Glaube, die wahre Lehre, die Wissenschaftliche Weltanschauung ...) und nehmen dafür die absolute Wahrheit in Anspruch.
  • Die Weltanschauung der Auserwählten ist in der Regel nicht zu verifizieren. Es ist ein Glaube. Die Unterschiede zwischen Glaube und Ideologie aber sind minimal.
  • Aus naturwissenschaftlicher Sicht bestehen Glaube und Ideologien aus philosophischen Systemen, Mythen, Legenden und Fiktionen.
  • Durch ihren Glauben besitzen Auserwählte ein geschlossenes Weltbild.
  • Gleichzeitig aber müssen sie mit einer Reihe 'verbotener Fragen' leben, ihr eigenes Denken wird durch das geschlossene Weltbild beschränkt.
  • Auserwählte ignorieren den Widerspruch zwischen ihrem Gedankengebäude und den Naturwissenschaften.
  • Ihr Weltbild macht das Leben der Auserwählten einfacher. Daraus resultiert der Drang, die 'Ungläubigen' auch auf den 'rechten Weg' zu führen.
  • Deshalb sind Auserwählte auch immer auf einer Mission, um für ihre Sicht auf die Welt einzustehen und sie zu verbreiten. Mit Worten, Taten, aber auch mit Gewalt - sogar mit dem Einsatz ihres Lebens.
  • Der absolute Wahrheitsanspruch macht Auserwählte intolerant. Deshalb sind Auserwähltsein und Toleranz Gegensätze.
  • Auserwählte überschätzen sich selbst und erhöhen sich über andere.
  • Das Auserwähltsein ist ein wesentliches Charakteristikum aller Religionen. Es tritt auch bei Ideologien auf, allerdings modifiziert.

 

Ein spezieller Gesichtspunkt

Ein geschlossenes Weltbild ist mit dem gegenwärtigen Wissensstand nur durch Beschränkung der möglichen Fragestellungen zu erreichen. Lässt man ausnahmslos alle Fragen zu und akzeptiert, dass diese Welt für heutige Menschen prinzipiell nicht vollständig erkennbar ist, dann muss man auch mit einem unvollständigen Weltbild und mehr offenen als zu beantwortenden Fragen leben können.

Auserwählte bezahlen ihr geschlossenes Weltbild mit der Beschränkung ihres Denkens. Sie sehen in der sie umgebenden Welt nur das, was ihnen ihre Religion oder Ideologie zu zeigen bereit ist. Immer dann, wenn eine Frage mit 'Daran musst Du glauben ...' beantwortet wird, ist die Grenze ihres Weltbildes erreicht. Damit können Auserwählte leben.

Für Menschen, deren Weltbild auf den Naturgesetzen gründet, ist eine solche Beschränkung nicht zu akzeptieren. Deshalb schliessen sich auch die naturwissenschaftliche Sicht der Welt und jede Form von Auserwähltsein aus. Trotzdem schützt auch die naturwissenschaftliche Sicht nicht vor Intoleranz und dem Auserwähltsein. Auch diese Sicht ist beschränkt (durch unser Wahrnehmungs- und Erkenntnissystem). Dieser Beschränkung aber kann prinzipiell kein Mensch entkommen und ... diese Beschränkung ist den nicht auserwählten Menschen bewusst.

 

Ausblick

Die Menschheitsgeschichte kann auch als eine endlose Kette von Auserwählten angesehen werden, die ihren Missionen folgten: Von den Priestern des Amun-Re über die Kreuzritter bis zu dem von der Vorsehung Auserwählten, den Siegern der Geschichte und den Befreiern/Besatzern von Baghdad. Dabei ist völlig unerheblich, ob die Auserwählten und ihre Mission religiös oder ideologisch motiviert sind. Auch Vernunft und naturwissenschaftliche Wahrheiten spielten und spielen bei den Auserwählten keine Rolle. Bis in die heutige Zeit haben fast alle lokalen, erst recht aber die globalen Konflikte, religiöse oder ideologische Ursachen.

Ohne Auserwählte und ohne Missionen würden die Menschen wahrscheinlich toleranter und friedfertiger miteinander umgehen. Doch die Verhältnisse ... sie sind nicht so. Unsere Gene sind gerade nicht auf Toleranz fixiert. Offenbar sind wir Menschen auf Sieg programmiert und die besten von uns haben Visionen und führen uns in 'höherem Auftrag' zu neuen Ufern. Fatal Error inclusive.

 

Jürgen Albrecht, 14. Januar 2004
updade 11. Mai 2004

BACK