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Wir sind Die Sieger der Geschichte

Ideologie gleich Religion ?!
In meinem so bequemen Sessel sitze ich vor dem CamperVan im Schatten. Ich bin noch nicht richtig wach, brauche einen Kaffee. Während ich den trinke sehe ich mir die strahlend weissen Quellwolken an. Heute ziehen sie über den Leuchtturm und dann über diesen Caravan Park. Unten sind sie grau und regenschwer. Wann kommt der nächste Schauer? Der Himmel ist unglaublich blau und meistens scheint die Sonne. Das ist gut, da trocknet meine Wäsche schnell.

Ein friedliches Bild. Vor ein paar Tagen sah es ganz anders aus, der Cyclone Steve überrannte uns mit Sturm und viel Regen. Alles stand unter Wasser. Heute, am Sonnabend, schippen junge Männer den Sand weg, den die Fluten hinterlassen haben. Plötzlich frage ich mich: Warum bin ich eigentlich nicht 1961 mit dem Diplom in der Tasche nach Australien ausgewandert? Vierzig Jahre sozialistische Experimente wären mir erspart geblieben. Solche Leute wie wir kommen hier vorwärts: Beweglich muss man sein, handwerklich geschickt und auf sich alleine gestellt arbeiten können. Gebremst wird hier keiner. Jeder kann das auf die Beine stellen, was er mit Intelligenz, seinen Händen und mit seinem Geld bewegen kann.

Als ich noch über das erstaunliche Blau des Himmels und diese müßige Frage sinniere, fällt mir die 'Losung' ein: 'Wir sind die Sieger der Geschichte!' Dieser eine Satz sagt alles. In diesem Satz ist das utopische Wesen des Sozialismus, der gewaltsame Aufstieg, seine krampfhafte Existenz und das Drama des Untergangs komprimiert. Dieser Sozialismus auf deutschem Boden konnte nur im Schatten der Weltmacht UdSSR nach dem zweiten Weltkrieg errichtet werden. Wer immer das hätte verhindern wollen, hätte einen dritten Weltkrieg riskiert. Die DDR war nie ein normaler Staat, sie hatte immer paranoide und religiöse Züge, immer war die Gewalt im Hintergrund deutlich präsent und an den vielen Tabus rührte man lieber nicht, wollte man in Ruhe gelassen werden.

Der Untergang kam offenbar für alle Beteiligten völlig überraschend. Dass damit im Westen keiner gerechnet hat, ist für mich auch heute noch unbegreiflich. Denn die Bundesrepublik hat mit der DDR Geschäfte gemacht und war genauestens über die desolate Wirtschaftslage informiert. Zusammen mit Gorbatschows neuer Politik, die auch durch wirtschaftliche Zwänge diktiert wurde, musste man sich im Westen ausrechnen können, dass das Ende der DDR nahe ist. Aber scheinbar hat man das über den guten Geschäften, die man seit Brand mit der DDR gemacht hat, schlicht übersehen. Auch waren der Wille und das Interesse der Bundesregierung sehr begrenzt, den Status Quo zu verändern.

 

Der DDR-Sozialismus hatte nicht nur Züge einer Religion, Sozialismus ist Religion. Ideologie und Religion unterscheiden sich nicht prinzipiell und haben die gleichen Wirkungen. Das ist für mich absolut faszinierend, auch deshalb, weil man diesen Aspekt aus der Perspektive der DDR kaum erkennen konnte. Ich war wahrscheinlich einer der wenigen, dem schon zu DDR-Zeiten mit Erstaunen aufgefallen ist, dass die Katholiken das Zentralkomitee erfunden und die Kommunisten es von ihnen übernommen hatten. Mit der 'historischen Mission der Arbeiterklasse' verhält es sich ähnlich, das Missionsprinzip stammt von der Katholischen Kirche. Auch 'Losungen' hatten lange vor den Kommunisten die Katholiken eingeführt. Aber mir ist nicht aufgefallen, wie viele 'Glaubenssätze' es auch im Sozialismus gab, die unter dem Deckmantel der 'Wissenschaftlichen Weltanschauung' quasi als Naturgesetze unters Volk gebracht wurden: 'Wir sind die Sieger der Geschichte!', 'Der Kommunismus, unsere lichte Zukunft', 'Ewige Freundschaft mit der Sowjetunion!', und endlos so weiter ... Auch dadurch, dass diese Sätze millionenfach als 'Losungen' an die Häuserwände geschrieben wurden, werden daraus keine beweisbare Tatsachen.

Aus der DDR heraus konnte man nicht erkennen, dass dieses Gesellschaftssystem ganz eindeutig religiöse Züge besass und auf ehrenwerte, fromme, aber nicht beweisbare Überzeugungen aufgebaut war. Durch die Zensur der Information fehlte ganz einfach der Systemvergleich. Wo die Wirklichkeit mit dem Idealbild der Gesellschaft kollidierte, wurde die Realität ignoriert oder rigoros geschönt. Auch diese fabelhafte Methode stammt von der Katholischen Kirche, die damit 2000 Jahre Erfahrung besitzt. Das Paradebeispiel für 'Parteilichkeit' hat J.K. in seinem Buch 'Gespräche mit meinem Urenkel' geliefert: Im Vorwort steht sinngemäss: 'Dass der Sozialismus funktioniert und gut für die Menschen ist, hat sich inzwischen durch seine reale Existenz herausgestellt. Nur die Menschen sind noch nicht so gut, wie das System.' Haarsträubend, aber keinem fiel dieser Schwachsinn auf. Genau so wenig, wie jemand über den Satz 'Wir sind die Sieger der Geschichte' gelacht hat. Aber schliesslich lacht ja auch keiner, wenn der Pastor von der Kanzel verkündet: 'Und unser ist das Himmelreich!'

Amen.

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