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Die Sieger der Geschichte Seite 4/6

Die Tabus
Tabu war alles, was nicht in das offizielle Bild der DDR passte. Tabu heisst, jeder wusste, hier ist etwas faul, aber es ist nicht opportun, darüber zu sprechen. Die Partei hatte für diese Fälle Standardausreden, es war zwecklos, darüber zu diskutieren, der Standpunkt der Partei war unveränderlich ('Verelendungsseminar' 1958, während des Studiums). Intershop, Reisefreiheit nach Westen, die entsetzlichen Wahlergebnisse der DKP in Westdeutschland, unterschiedlicher Lebensstandard in Ost- und Westdeutschland, die 'absolute Verelendung des Proletariats', die manipulierte Realität, das Ignorieren aller Widersprüche, die proklamierte, tatsächlich aber nie in Politik umgesetze Anwendung des Dialektischen Materialismus, die abendlichen Nachrichten des DDR Fernsehens ... alles das waren Tabus. Und natürlich gab es viele mehr. Und an diese Tabus hielt sich ein ganzes Volk, offiziell wurde darüber nicht geredet. In langen Jahren hatte man erkannt: Jede Diskussion ist zwecklos.

 

Der absoluter Wahrheitsanspruch
Dieser Anspruch kommt am besten in der 'führende Rolle der Partei' zum Ausdruck. Sie war in der Verfassung der DDR verankert (!!) und wurde bei jeder Gelegenheit betont. Über die 'Dokumente' der Partei wurde nicht diskutiert, sie wurden 'studiert'. Diese 'Dokumente' waren die 'reine Lehre', Kritik war unangebracht, nur der 'Klassenfeind' stellte sie infrage.

Damit war diese Partei so unfehlbar, wie der Papst (... ein Lied: 'Die Partei, die Partei, die hat immer recht ...). Von der Ideologie über das Rechtswesen bis zur Exekutive wurde diese Führungsrolle ausnahmslos und flächendeckend von der Partei auch wahrgenommen. Natürlich waren auch die Kirchen davon nicht ausgenommen (Stolpe). Mit stoischer Ignoranz und mit dem 'unerschütterlichen' Bewusstsein der 'historischen Mission' wurde das Idealbild einer Gesellschaft gemalt und behauptet, dass es der Realität entspricht. Die für jeden offensichtlichen Widersprüche waren Tabu. Die Arroganz der Macht zeigt sich in den ‚Dokumenten‘ der Partei und sie gipfelt im ‚Schwarzen Kanal‘ von Karl Eduard. Beispielsweise wird auf dem 10. (letzten) Plenum des ZK unter Egon Krenz (08. bis 10. November 1989) offiziell nicht ein Wort zur Grenzsicherung gesagt, während draussen die Mauer zusammenfällt! Dieses Protokoll habe ich als illegale Kopie in meiner Ablage.

Die 'führende Rolle der Partei der Arbeiterklasse' setzte sich auch über die 'Wissenschaftliche Weltanschauung' hinweg, indem die vernünftigen philosophischen Prinzipien des Dialektischen Materialismus einfach ignoriert wurden. Damit war zwar jeder Oberschüler mit einer hervorragenden Argumentationsmethodik ausgestattet. Die Tabus aber verhinderten die Anwendung auf den eigenen Staat.

 

Der Zentralismus
Der Zentralismus der DDR ist unstrittig. Besonders kommt er in dem Begriff 'Diktatur des Proletariats' zum Ausdruck. DDR heisst 'Deutsche Demokratische Republik', de jure und de facto war die DDR aber eine Diktatur. Niemals ist die Partei von der Bezeichnung 'Diktatur des Proletariats' abgerückt. Es gab keine Gewaltenteilung in der DDR, das Gegenteil war durch die 'führende Rolle der Partei' Verfassungsgrundsatz. Die Volkskammer der DDR, die Wahlen zur Volkskammer und auch die Wahlen zu den kommunalen Organen waren für jeden sichtbar demokratische Spielchen und Augenwischerei.

 

Nie stand die 'führende Rolle der Partei' zur Disposition. Auch dieser gravierende Widerspruch war seit der Gründung der DDR ein Tabu. Alleine die Tatsache, dass immer mindestens 97 % Ja-Stimmen das Ergebnis solcher Wahlen war, sagt alles. Trotzdem wurden diese Wahlen von der Partei noch gefälscht, um möglichst auf 99,9 % Ja-Stimmen zu kommen. Unbegreiflicher Schwachsinn, zu dem nur gläubige Eiferer fähig sein können.

Alles war in der DDR zentralisiert: Natürlich die physische Macht, einschliesslich des bis in jede Wohnung reichenden Geheimdienstes. Die Medien waren absolut gleichgeschaltet und 'Zentralorgane' zur Durchsetzung der 'führenden Rolle der Partei'. Die gesamte Industrieproduktion war staatlich und wurde zentral geplant und geleitet. Das Schul- und Bildungswesen war zentralisiert, der Leistungssport wurde (aus aussenpolitischen Gründen) staatlich in grösstem Ausmass gefördert und dirigiert. Durch ein eigenes Ministerium wurde den Künstlern aller Sparten (natürlich einschliesslich der Schriftsteller) über spezielle Verbände klar gemacht, wie ihre Werke auszusehen haben: Oberstes Ziel ist die Verherrlichung des Sozialismus und die Heroisierung der Arbeiterklasse. Die Künstler hielten sich daran und die Ergebnisse kann man jetzt (und hoffentlich auch noch in 10.000 Jahren) unter dem Stichwort 'Sozialistischer Realismus' im Museum besichtigen. Es gibt erstaunliche Parallelen zur Kunst der Nazizeit.

Die DDR hatte die Landesgrenzen vermauert, die DDR-Bürger waren Gefangene ihres eigenen Staates. Persönliche Freiheit gab es nur in der Familie. Alle Menschen waren mit Gewalt gleich gemacht worden. Alle Bürger hatten aus Sicht der Partei die gleichen Bedürfnisse. Deshalb hatten alle das gleiche Geld, die gleiche Wohnung, die gleichen Möbel, die gleichen Bücher und die gleiche Zeitung.

Pervers war die intellektuelle Bevormundung jedes einzelnen Bürgers durch den zentralistischen Staat. Jeder Staatsbürger wurde nicht nur physisch in seiner Freiheit eingeschränkt, ihm wurde auch vorgeschrieben, was er zu denken und was er zu lesen hat. Die Zensur der Informationen war trotz der Möglichkeit, über Radio und Fernsehen westliche Nachrichten zu hören und zu sehen so total, dass man sich hinter Mauer und Stacheldraht kein reales Bild von der DDR machen konnte. Genau das war das Ziel der Ideologen (Hager an der Spitze) und dieses Ziel wurde bis zuletzt erreicht. Gratulation!

Verheerend aber wirkte sich diese Bevormundung im Bereich der Wirtschaft aus. Es gab praktisch nur staatliche Betriebe, es existierte kein Mittelstand. Einer der wesentlichsten Glaubenssätze der Ideologie war, dass alle Menschen gleich sind. Um diese Gleichheit herzustellen musste verhindert werden, dass Handwerker und Gewerbetreibende einen Mehrwert erwirtschafteten und damit über einen besseren Lebensstandard verfügten, als ein Mitglied der 'führenden Klasse', ein Arbeiter. Das wurde durch die totale Beschneidung jeder privaten Initiative auch weitestgehend erreicht. Weil dadurch jeder 'Werktätige' praktisch zum Dienst nach Vorschrift verpflichtet wurde (und das eine sehr angenehme Arbeitsweise ist), fehlten der Wirtschaft die entscheidenden Antriebskräfte: Verteilte Intelligenz, persönliches Engagement und privates Unternehmertum. Letztlich hat das den Untergang des gesamten sozialistischen Lagers bewirkt. Ohne diese Antriebskräfte ist die sozialistische Planwirtschaft, in Konkurrenz mit dem heute global agierenden Kapitalismus, völlig chancenlos.

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