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Die Sieger der Geschichte Seite 3/6

Die Religionsanhänger
Die Religionsanhänger waren das Problem der DDR. Es gab zu wenige. Drei Arten von Menschen könnte man nach ihrer Beziehung zu den Machthabern unterscheiden: Die Machthaber selber waren im Zentralkomitee versammelt. Viele von ihnen lebten aus Sicherheitsgründen im selbstgewählten Exil, die Parteispitze in Wandlitz. Allen fehlte der Bezug zum realen Leben in der DDR. Die 'guten Genossen' waren Idealisten. Viele überlebten die Nazizeit als Emigranten in der Sowjetunion und trugen dort ständig das Parteibuch auf der nackten Brust. Sie standen 'parteilich' und mit dem 'klaren Klassenstandpunkt' zu diesem Staat und zu seinen Machthabern, ohne Fragen zu stellen.

Die restlichen 95 % der Bevölkerung waren nach so langer Zeit fast ausnahmslos zu Opportunisten geworden. 2,3 Millionen von den 16,6 Millionen DDR-Bürgern waren, weil es opportun war, Mitglied der SED, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, auch ich: AL). Alle sagten das, was die Partei hören wollte, weil sie unübersehbar die Macht hatte. Alle kannten die gravierenden Unterschiede zwischen Ideologie und Realität, alle sahen täglich das westliche Fernsehen und hofften auf den gleichen Lebensstandard der westlichen Brüder und Schwestern. An eine 'lichte Zukunft im Sozialismus' 'glaubte' kaum jemand, weil der Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu gravierend und unübersehbar war. Notgedrungen hatte man sich aber auf unabsehbare Zeit mit dem DDR-Sozialismus arrangiert, die eindeutigen Machtverhältnisse liessen keine Alternative erkennen.


AL) AL und die 'guten Genossen'
Nie werde ich den Augenblick vergessen, wo ich mich im Januar 1978 beim Parteisekretär meiner neuen Arbeitsstelle, der Hochschule für industrielle Formgestaltung in Halle/Saale, vorstellte. Gerhild Kramer, eine aufrechte, idealistische und 'gute Genossin' sass mir gegenüber. Natürlich wollte sie als erstes 'Das Dokument' sehen, das rote Parteibuch. Es war noch sehr neu und ich reichte es über den Tisch. Sie blätterte es auf und sah natürlich sofort die Bescherung: Ich war noch gar kein 'Genosse', meine Kandidatenzeit war noch nicht abgelaufen. An ihrem Gesichtsausdruck, einer Mischung aus Enttäuschung und leichter Verachtung sah ich, dass ich gerade klassifiziert worden war: 'Wieder kein 'guter Genosse', nur ein Opportunist.' 'Wie alt bis Du?' fragte sie mich. '42 Jahre!' 'Und in dem Alter hast Du endlich den Weg zur Partei gefunden?!' ...

Ich war eingestuft, mich musste man mit Vorsicht erst mal ein paar Jahre beobachten. 'Gute Genossen' stellen mit 16 Jahren den Antrag, Mitglied dieser Partei zu werden und warten dann sehnsüchtig darauf, 18 Jahre alt zu werden. Aus ihrer 'parteilichen' Sicht hatte sie mich im Bruchteil einer Sekunde richtig eingeschätzt.


Werte und Glaubenssätze
Das Wertesystem orientierte sich an den Idealen der Französischen Revolution: Alle Menschen sind Brüder, alle Menschen sind gleich und allen soll es gleich gut gehen. Vor allen Dingen soll die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen im Kapitalismus durch ein grundsätzlich neues Gesellschaftssystem überwunden und der Mehrwert nicht privat, sondern zum Wohle der Gesellschaft genutzt werden. Im Sozialismus sollte jeder nach seinen Fähigkeiten entlohnt werden und im Kommunismus sollte jeder nach seinen Bedürfnissen leben können. Einer der grössten Widersprüche bestand darin, dass man von jedem DDR-Bürger erwartete, dass er an diese Werte mit dem 'festen Klassenstandpunkt', glühend und idealistisch 'glaubt' und für ihre Verwirklichung arbeitet. Gleichzeitig aber behauptete die 'Wissenschaftliche Weltanschauung', diese Entwicklung wäre gesetzmässig, vom menschlichen Willen unabhängig und durch die Klassiker bewiesen.

Die Glaubenssätze hingen als 'Losungen' überall an den Wänden und wurden als 'Transparente' bei Kundgebungen mitgeführt. Die beste Übersicht bekommt man, wenn man sich zum Beispiel die 'Losungen zum 1. Mai 1982' aus einer Bibliothek besorgt. 'Von der Sowjetunion lernen, heisst Siegen lernen', 'Unsere ganze Kraft für die Erfüllung des 5-Jahrplanes', 'Schöner unsere Städte und Gemeinden', 'Unsere ganze Schöpferkraft für den Sozialismus!', 'Für Frieden und Völkerfreundschaft!', 'Im Mittelpunkt steht der Mensch!'.

 

Kaum sind 10 Jahre vergangen, fallen einem die zu DDR-Zeiten allgegenwärtigen und so simplen 'Losungen' nicht mehr ein. Die wirklich unverrückbaren Glaubenssätze aber waren: Die Gesetzmässigkeit der Ablösung des Kapitalismus durch den Sozialismus, die Gleichheit aller Menschen, die führende Rolle der Partei und der 'ewige Bruderbund' mit der Sowjetunion.

Bräuche und Rituale
Am auffälligsten war der Brauch, bei staatlichen Feiertagen oder politischen Ereignissen eine Demonstration mit Demonstrationszug zu veranstalten. Der erste Mai und der Gründungstag der DDR (07.10.1949) waren Anlässe für grosse Demonstrationen in Berlin und den Bezirkshauptstädten. Aber diese Veranstaltungen waren weit weg von den ehemals spontanen Kundgebungen, Protestmärschen oder Massenversammlungen der Arbeiterbewegung. Es gab feste Termine für solche Demonstrationen und alles war dabei organisiert. An den 'Transparenten', Fahnen, den Paradewagen und der Dekoration der Strassen wurde wochenlang gearbeitet. Von seinem Betrieb bekam man einen Zettel, wann man sich wo im 'Marschblock AB' am 'Stellplatz CD' einzufinden hat. Die Teilnahme an einer solchen Demonstration war praktisch für jeden Werktätigen Pflicht. Die Demonstration wurde mit einer kurzen Rede des örtlichen 'Ersten Sekretärs der Bezirksleitung' eröffnet, dann zogen Armee und 'Kampfgruppen' an der Tribüne vorbei, ihnen folgten 'die Werktätigen aus allen Klassen und Schichten der Bevölkerung'.

Wie stark diese Demonstrationen zum Ritual verkommen waren, zeigte sich besonders an der Tribüne. Hier wurde der Kulminationspunkt der Demonstration erreicht. Aber weshalb wurde hier demonstriert? Was für einen Sinn hatte der Vorbeimarsch? Keiner wusste es und vor Verlegenheit fingen alle an zu winken. So wurde die ehemalige Kampfdemonstration zu einem Huldigungsmarsch des Volkes für seine Führung umfunktioniert. Auf der riesigen Tribüne standen die Parteiführung, ausländische Gäste und 'Arbeiterveteranen' stundenlang und winkten dem vorbeiziehenden Volk zu. Das Volk wusste unten nichts mit diesem heiligen Moment - Auge in Auge mit den Machthabern - anzufangen. Mattes Winken, gespielte Begeisterung bei den Parteikadern und nur die 'guten Genossen' fühlten die Erhabenheit dieses Augenblicks. Aus den Lautsprechern dröhnte Marschmusik, aber an der Tribüne schallten die sattsam bekannten 'Losungen' aus den Lautsprechern und besonders gute 'Arbeitskollektive' wurden in einer pathetischen Sprache bei ihrem Vorbeimarsch begrüsst.

Die Jugendweihe, die Brigadefeier, der Kampf um den Titel 'Kollektiv der Sozialistischen Arbeit', Brigadetagebuch, Parteilehrjahr, Ordensverleihungen, überall 'Losungen' an den Häuserwänden, internationale Solidarität, besondere Feiertage und jede Art von (absolut formalem) Wettbewerb waren weitere Bräuche. Auch dass sich die Parteiführer zur Begrüssung innig küssten, war ein amüsanter Brauch. Aber wie das für Bräuche charakteristisch ist: Fast ausschliesslich waren sie sinnentleert und nur noch hohles Ritual.

In diesen Bereich gehört auch die offizielle Sprache der DDR: Pathetisch, geschwollen und fern von jeder Realität, in allen Medien und bei öffentlichen Anlässen. Das Volk hatte sich daran gewöhnt und sprach, wenn es opportun war, selber in dieser Sprache. Keiner merkte mehr, dass er zwei verschiedene Sprachen beherrschte, die private und die offizielle. Das hatten sogar schon die Schüler ab der dritten Klasse verinnerlicht. Die Partei hatte auch keine Bedenken, eindeutig religiöse Begriffe zu verwenden, sich gleichzeitig aber strikt antiklerikal zu geben. Ein Jammer, dass keiner diese Sprache so analysiert hat, wie es Victor Klemperer in seinem Buch LTI für das Dritte Reich getan hat.

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