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Cockatoo Island - heile Welt ? Seite 4/6

Am letzten Morgen verzichte ich auf den Sonnenaufgang. Gegen 6:30 Uhr laufe ich nach unten in die Gaststätte, ich will zeitig Frühstücken und dann noch einmal an die Beach unter dem Pool gehen. Wieder ist alles leer, die Mine Worker sind schon abgespeist. Der Küchenchef holt sich wie ich etwas auf den Teller und wir treffen uns am Büfett. Wir haben uns schon einmal kurz unterhalten, er weiss, dass ich aus Germany bin. Jetzt fragt er mich unvermittelt: 'Bist Du Jude?' Ich stutze kurz, habe ich sein English richtig verstanden? 'Ich bin weder Jude, Katholik, noch Moslem, ich bin gar nichts!' reagiere ich dann lachend und ganz spontan. Erst als ich wieder am Tisch sitze und mein Müsli esse, fällt mir diese eigenartige Frage auf. Was hat er damit gemeint? Ist er Jude, hat er besondere Beziehungen zu dem Thema, das auch mich seit dem Mauerfall so stark beschäftigt?

Ich gehe einfach rüber an den Nebentisch, setze mich neben den Chef, der hier alleine sitzt und frage ihn: 'Warum stellst Du so eine Frage, bist Du ein Jude?' 'Nein,' sagt er, 'Ich bin kein Jude. Aber Du siehst etwas jüdisch aus, und weil Du aus Deutschland bist, dachte ich, Du bist Jude.' Wir kommen in ein kurzes Gespräch. Ich sage ihm, dass ich an diesem Thema sehr interessiert bin, dass es immer noch ein brisantes Thema in Germany ist und dass gerade eine grosse Diskussion über das Holocaust Mahnmal in Berlin im Gange ist. Ich denke, man sollte sich lieber mehr mit der Nazi Vergangenheit Deutschlands, den noch lebenden Opfern, den beteiligten und immer noch existierenden Firmen und den authentischen Orten, als mit einem Monument beschäftigen. Er sagt dazu nicht viel. Es bleibt unklar, ob er von diesem Holocaust Mahnmal hier auf Cockatoo etwas gehört hat. Aber er fragt, ob ich an solchen authentischen Orten auch selber gewesen bin, ob ich Auschwitz und Bergen-Belsen kenne, wo und wann ich geboren bin. 'Ich war in Buchenwald, Fürstenwalde und Oranienburg. Geboren bin ich im heutigen Polen, wo auch Auschwitz liegt.' sage ich darauf. 'Ich kann es jetzt noch nicht fassen, was damals vor aller Augen passiert ist.'

Ich setze mich wieder an meinen Tisch, inzwischen sitzt die Köchin mit beim Chef und auch die junge Frau, von der ich annehme, dass es ihre Tochter ist. Auch meine drei Damen sind inzwischen aufgewacht und wir frühstücken gemeinsam. Beim Abräumen kommt der Chef noch einmal an meinen Tisch: 'Komm doch nach dem Frühstück mal rüber in mein Büro, ich möchte mit Dir reden!'

 

Ein paar Minuten später gehe in das Büro, hier ist aber niemand. Als ich wieder aus dem Haus trete sehe ich den Chef aus der Küche kommen. Er setzt sich auf eine Mauerbrüstung unter einen üppig blühenden Baum. Ich stehe vor ihm, er guckt mir wortlos in die Augen, streckt den linken Arm aus und ich sehe die Tätowierung in der Armbeuge. Die Tränen schiessen mir in die Augen, ich kann minutenlang nicht reden, lege die Hand auf seine Schulter und weine. Dann erzähle ich ihm stockend und in meinem holprigen English, dass ich das erste Mal deportierte Ukrainer im Alter von acht Jahren gesehen habe. Sie waren im Tanzsaal des 'Edelweiss' einquartiert, eine Gaststätte direkt neben dem Haus Nr. 19 in der Cochiusstrasse in Waldenburg, wo wir wohnten. Sie sprachen eine fremde Sprache und sangen manchmal schwermütige Lieder. Man musste sie sehen, jeder hat sie gesehen und ich werde die Erinnerung daran nicht los. Meine Mutter und andere Nachbarn steckten ihnen heimlich etwas zu Essen zu. Ich fragte meine Mutter, was das für fremde und zerlumpte Menschen sind. Sie konnte es mir nicht erklären.

Auf die Frage, wie er überlebt hat erzählt er, dass er ein Baby war. Eine Dame in Perth schreibt seine Lebensgeschichte auf und er hat in dem Film 'Schindlers Liste' mitgewirkt. Ich frage, was ich für ihn tun kann. Er möchte ein Bild von mir und meine Adresse, um sie dieser Frau zu geben. Vielleicht hat sie Fragen oder braucht Dokumente aus Deutschland. Ich schreibe ihm Namen und Adresse auf, bitte ihn um seinen Namen: Bernard Bougham.

Ich laufe hoch in das Haus, komme mit der Kamera zurück. Wir machen Bilder im Office, ein Mann von Iron Ore fotografiert uns. Wir umarmen und verabschieden uns. 'Sha'lom' sagt er ganz einfach, als wir uns die Hand geben und wir haben beide Tränen in den Augen. Dieses Wort wird jetzt für mich immer eine besondere Bedeutung haben, mich an Bernard erinnern.

Ich gehe, aber nach 10 Schritten drehe ich wieder um, ich muss Bernard noch eine Frage stellen: 'Wo warst Du 1945?' 'In Auschwitz.' 'Wurdest Du dort geboren?' 'Ja.' '... und Deine Mutter?' 'Gased.' Ich trommle auf einen Blechschrank und voller Entsetzen schreie ich: 'Was sind das nur für Menschen gewesen, waren das wirklich noch Menschen ...??!!' Eine Weile ist Ruhe. Dann klopft er mir auf den Rücken und sagt: 'It's over. Have a good Holiday!' Ich weiss nicht, wie ich aus Bernards Büro wieder auf die Strasse gekommen bin, für ein paar hundert Meter fehlt mir der Film. Ich war zu aufgewühlt.

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