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Stürmische Nacht

 

Es ist 12:21 Uhr und gerade fährt der Zug planmäßig in Dagebüll ab. Um 11:30 Uhr bin ich mit der Fähre UTLANDE von Amrum aus hier angekommen. Unterwegs habe ich festgestellt, daß ich auch diesen Zug hier nehmen kann – einmal in Hamburg umsteigen und ich bin zwei Stunden eher wieder in Berlin. Aber vorher bin ich in Memoriam noch im Standhotel von Dagebüll eingekehrt. Hier war ich mal einen Tag mit Helga und vor zwei oder drei Jahren habe ich hier mit Peter für eine Woche Urlaub gemacht. Peter hat es hier sehr gut gefallen: Das Essen war gut und die Gaststätte war stets voller 'hübscher Mädchen'. Offensichtlich ist das hier auch ein Ausbildungsbetrieb. Heute war es voll: Eine große Reisegruppe mußte mit Mittagessen versorgt werden, eine Familienfeier ging über die Bühne, schwarz und feierlich. Aber es waren auch noch ein paar Tische für Leute wie mich frei. Ich bekam am Fenster noch einen schönen Platz mit Sicht auf den Hafen, die Schiffe und die Nordsee mit Hochwasser. Ein Tee und eine Krabbensuppe: Das kostete wieder die berühmten 15,- DM, ohne die kaum etwas in einer Gaststätte zu haben ist. Hier war der Tee genauso teuer, wie auf der Fähre: 6,90 DM für einen Beutel Earl Gray und ein Kännchen heißes Wasser. Ostfriesischen Tee oder nordfriesischen hatten sie hier nicht – na, geschenkt.

So, der Kurzurlaub ist vorbei. Er endete mit dem schönsten Erlebnis: Ich hatte mir Sturm und Regen gewünscht – dieser Wunsch wurde mir in der letzten, in der vergangenen Nacht erfüllt: So gegen 20 Uhr lag ich im Schlafsack, konnte aber nicht einschlafen. Bis 22:30 Uhr dachte ich noch an dies und an das, dann schälte ich mich noch einmal aus den Hüllen: Der viele Tee mußte wieder raus. Es war bedeckt, ziemlich windig, aber der Mond war zu sehen. Zunehmender Mond, schon über den Halbmond hinaus. Ich kroch wieder ins das warme Bett und schlief ein.

Gegen 2:20 Uhr wurde ich wach. Aus dem starken Wind war Sturm geworden (Windstärke 6, wie ich gerade im Hamburger Abendblatt gelesen habe). Das Zelt wurde stark gebeutelt, es bewegte sich heftig und zerrte an den Sturmleinen. Jetzt fing es auch noch an zu regnen. Erst ein Schauer, dann noch einer, dann prasselte heftiger Regen auf das Überzelt. Der Sturm war stark böig, der Wind kam in mächtigen Schüben, wie aus einem periodisch arbeitenden, riesigen Blasebalg. Die Böen ließen das Zelt wie eine Fahne im Sturm knattern.

 

Auch im Zelt waren die Windstöße zu spüren, weil die eingeschlossene Luft durch die heftigen Böen komprimiert wurde. Das merkte man sogar über die Luftmatratze: Das ganze Haus erbebte bei großen Böen. Der Regen fiel jetzt heftig und ständig, aber das Prasseln wurde durch jeder Böe verstärkt. Vor meinem geistigen Auge sah ich das arme, kleine Zelt einsam auf dem leeren Zeltplatz in diesen Regenböen hilflos am Boden flattern! Der Regen erzeugte ein ganz eigenartiges Geräusch: Akustiker sagen dazu 'Weißes Rauschen'. Dieses Geräusch wird auch durch hunderte kleiner Stahlkugeln erzeugt, die auf eine Stahlplatte fallen. Damit haben wir 1965 unsere akustischen Meßgeräte geeicht. Jetzt höre ich hier dieses Geräusch die ganze Nacht!

Ach, war das herrlich!! Genau das hatte ich mir gewünscht: Draußen Sturm und Regen und ich liege innen warm und trocken in diesem schönen, dichten Zelt! Es war auch wirklich dicht. Nichts von dem vielen Wasser kam in mein Innenzelt oder gar an meinen schönen Daunenschlafsack. Ich konnte völlig beruhigt sein, das Zelt war mit vier Sturmleinen gesichert, die an 30 cm langen Heringen befestigt waren. Solange es nicht Windstärke 8 oder 9 wurde, konnte dem Zelt nichts passieren. Und wenn es doch wegfliegen wollte – kein Problem, da mußte ich eben raus und es wieder fest machen.

Aber es gab ein anderes Problem: So gegen 7:30 Uhr mußte ich das Zelt abbauen, denn heute war der Rückreisetag. Wie mache ich das bei Sturm und Regen??! Ich zog kurz in Erwägung, noch einen Tag länger zu bleiben – aber das stand aus mehreren Gründen nicht zur Debatte. Außerdem: Dieses Problem mußte doch lösbar sein! Ich mußte doch nur die Zeit zwischen 7 und 9 Uhr überstehen, um 9 Uhr war das letzte Frühstück auf Amrum angesagt und Salzsäure regnete es doch nicht, oder ?

In der nächsten Stunde freute ich mich an Sturm und Regen und spielte mehrere 'Abbau-Technologien' für das Zelt durch. Außerdem sagte ich mir, es vergehen noch 3 bis 4 Stunden bis zum Morgen, da kann sich an diesem Wetter noch viel ändern. Regen und Sturm sind die Ausnahme und nicht die Regel, also wird es auch bald wieder aufhören und sich der Normalfall wieder einstellen. 'Bald' ist richtig und ein weiter Begriff. Heißt das auch vor 7:30 Uhr? Dann hatte ich die Lösung für dieses Problem und schlief trotz Knattern und Erdbeben noch einmal für Stunden sehr gut.

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