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Der S-Bahn-Ring ist komplett

Heute unternehme ich eine S-Bahn-Gedenk-Reise, denn seit vorgestern ist der S-Bahn-Ring um Berlin wieder vollständig geschlossen. Bisher fehlte noch das Stück zwischen Treptower Park und Neukölln. Das ist jetzt – nach 36 Jahren !!– wieder befahrbar. Nur der Himmel weiß, warum acht Jahre nötig waren, um diese paar Kilometer Schienen zu rekonstruieren. Mir war es immer unbegreiflich, warum dieses fehlende Stück nicht fertig wurde. Aber jetzt endlich ist auch das geschafft.

Um 9 Uhr gehe ich aus dem Haus und fahre mit der U-Bahn zum Alex und von dort aus mit der S-Bahn zum Ostkreuz. Ich muß nach einem halben Leben endlich wieder mal auf dieser Strecke fahren. Ich habe ein besonderes Verhältnis gerade zu diesem S-Bahn-Abschnitt. Meine erste Bekanntschaft mit Berlin stammt aus der Zeit von 1956 bis 1961. Ich war Student in Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz) und mein Studienfreund 'Emmes' (Günter Link) kam aus Berlin. Eltern hatte er nicht mehr, aber eine Wohnung in der Kinzigstraße. Wir absolvierten zusammen die erforderlichen Praktika, soweit das zu organisieren war, in Berlin. In den Semesterferien waren wir auch oft hier, denn es gab keine interessantere Stadt in Deutschland, als Berlin. Hier gab es Ostberlin und die 'Westsektoren'. Wir wohnten im grauen und armen Osten. Von hier aus aber konnte man mit 20 Pfennigen und einer kurzen S- oder U-Bahnfahrt in den bunt schillernden Westen fahren, gucken, einkaufen, ins Kino gehen. Das Problem war das 'Westgeld'. Aber unsere Ansprüche waren sehr gering. Zum zum Schlafen ging es wieder in den Osten zurück.

Die S-Bahn gehörte zur sowjetisch besetzten Zone, deshalb zahlten Leute aus dem Ostsektor mit Ostgeld. Die Westberliner mußten 'in West' bezahlen (oder war das erst mit der Mauer so?). Zu den Absurditäten des kalten Krieges in Berlin zählt die Tatsache, daß die S-Bahn von den Westberlinern aus politischen Gründen weitestgehend boykottiert wurde. Dafür wurde die U-Bahn ausgebaut, vielfach parallel zur vom Osten betriebenen S-Bahn. Aus Geldmangel wurde die S-Bahn von der DDR einschließlich der Bahnhöfe auf Verschleiß gefahren. Besonders in Westberlin. 1989 war sie deshalb in einem sehr herunter gekommenen Zustand. Vielleicht ist das auch der Grund, warum diese Strecke erst jetzt wieder in Betrieb genommen wurde.

An den Stationen, die Grenzübergänge zwischen Ost und West waren, standen große Schilder: 'Letzte Station im demokratischen Sektor!' Das wurde auch immer angesagt.

Außerdem – und das war der Gefahrenkitzel – liefen Vopos (Volkspolizisten) an diesen Stationen durch die Züge und kontrollierten besonders die jungen Leute. Es war zwar nicht verboten, in die Westsektoren zu fahren, aber täglich verließen hunderte die DDR und man wollte die abfangen, die nicht mehr zurück kommen wollten. Das 'Abhauen' war dadurch natürlich nicht zu verhindern, aber es wurde erschwert. Außerdem war der Umtausch von Ost- in Westgeld verboten und man suchte nach Schmuggelware.

Die Station Treptower Park war so eine Schnittstelle zwischen Ost und West. Wenn dort beim 'Südring' die Türen knallten und der Zug abfuhr, dann war klar, man hatte es geschafft: Schon die nächste Station war der 'goldene Westen' und keiner konnte jetzt mehr verhindern, daß man da hin fuhr. Diese Situation war offensichtlich so beeindruckend, brisant und nervend, daß sie sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt hat. Immer, wenn ich in den vergangenen 36 Jahren vom Treptower Park in Richtung Osten – zum Beispiel nach Spindlersfeld !! – fuhr, wollte ich wenigstens 'die Weiche' sehen. Ich setzte mich immer rechts hin und gleich nach dem Abfahren des Zuges sah man unten eine Weiche und ein Gleisstück, das nach rechts auf eine Brücke und ins Niemandsland führte. Nur ich wußte noch, da geht es nach Neukölln und immer sah ich mich dort als Student lang fahren und die große Frage war: Wann wird das endlich wieder möglich sein??!

Von Emmes war das der schnellste Weg in den Westen: Von der Frankfurter Allee (damals hieß die S-Bahnstation Stalinallee) mit dem Südring in Richtung Ostkreuz. Auf dem Bahnhof Treptower Park mußte man sich möglichst klein und unauffällig machen und schon war man in Neukölln. Dort gab es viele Kinos und eine belebte, brodelnde Einkaufsstraße, die Karl-Marx-Allee. Ich kann mich kaum erinnern, was wir eigentlich außer Kino und dem Einkauf antiquarischer rororo- und Fischer-Büchern dort gemacht haben, denn wir hatten einfach kein Geld in der Tasche. Eine Westmark kostete 5 Ostmark. Einmal Kino ca. 1.50 bis 2,50 DM, soviel wie ein rororo-Buch. Und ich bekam am Anfang (1955) monatlich 110 Mark Stipendium - natürlich Ostmark. Erstaunlich war, daß man damit wirklich leben konnte. Mit Leistungszulage und Hilfsassistentengeld habe ich mich in den letzten zwei Jahren bis auf 240 Mark gesteigert. Aber auch damit konnte man in Westberlin keine großen Sprünge machen. Und so clever, dort in den Ferien zu arbeiten, waren Emmes und ich (aus unbegreiflichen Gründen) nicht.

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