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Der S-Bahn Ring ... Seite 2/2

Heute steige ich in Ostkreuz in die Bahn nach Jungfernheide. Ob es wieder einen 'Südring' gibt, weiß ich noch nicht. Ich glaube nicht, denn es gibt auch keinen 'Nordring' mehr, wie in den 50-er Jahren.Warum eigentlich nicht? Das war und ist so schön anschaulich. Jungfernheide, wo ist das?? Das kann nur über Neukölln gehen, Jungfernheide gibt es im Osten nicht. Im Bahnhof Treptower Park wird angesagt, daß dieser Zug über Neukölln fährt. Die Türen schließen sich (mit Warnton und wesentlich leiser als früher) und auch jetzt ist die Fahrt in den Westen nicht mehr aufzuhalten. Irgendwo bin ich hier 1990 mal über den Bahndamm geklettert, als ich dem Mauerverlauf in dieser Gegend mit dem Fahrrad gefolgt bin. Sonnenallee. Auch der Bahnhof war ewig geschlossen.

In Neukölln steige ich aus und gehe durch die S-Bahnbrücke. Fast ein technisches Denkmal, eine tolle, genietete Stahlkonstruktion. Bin ich früher je in diese Richtung gegangen? Ich glaube nicht. Ich drehe um und laufe die Karl-Marx-Allee runter. Nummer 168, hier war die Buchhandlung, die im Obergeschoß ein Antiquariat hatte. Hier habe ich in der Studentenzeit viele Bücher gekauft, Polgar, Stefan Zweig, Tucholsky. Heute ist hier keine Buchhandlung mehr, aber noch ist über dem Eingang schwach zu lesen: SORTIMENT UND ANTIQUARIAT. Die Zwischendecke und die Treppe zum Antiquariat ist ausgebaut, hohe Stuckdecken, ein Schild an der Tür: 'Gewerberäume zu vermieten!' Ich erkundige mich nebenan beim Konditor: Ja, seit Februar 1997 hat die Buchhandlung aufgegeben. Gleich nach der Maueröffnung war ich wieder hier in dieser Buchhandlung (wieder ohne Geld!) und habe die besondere Atmosphäre sofort gespürt. Dann war ich noch ein paar Mal dort und bei jedem Vorbeifahren mit dem Fahrrad stellten sich die gleichen Assoziationen ein: Bücher, rororo, Westberlin, Westgeld, S-Bahn, Vopos ....

Heute laufe ich die Karl-Marx-Allee runter bis zum Hermannplatz. Weihnachtsrummel, letzte Einkäufe, Hektik, Lichter, diesig, Nieselregen, noch Reste vom Glatteis auf der Straße. Am Hermannplatz steige ich in die U-Bahn und fahre (mit einem neuen Fahrschein für 3,60 DM, der alte gilt nur für zwei Stunden) in Richtung Wittenau. Auch diese Strecke kenne ich aus den 50-er Jahren. Hier war die Station Heinrich-Heine-Straße die Ostgrenze. Hier wurde man gefilzt, wenn man in den 'Demokratischen Sektor einreisen' wollte. Ich kann mich mit lebhaften Bildern im Kopf daran erinnern, daß ich über diese Strecke meinen ersten Trockenrasierer geschmuggelt habe. Er war von Philipps, rotierende Schermesser, weiß, mit einem weiß-blauen, ovalem, aufklappbarem Etui – herrlich! Dieses Wunder der West-Technik habe ich hier in der Heinrich-Heine-Straße durch die Vopos geschmuggelt.

Bei einer Kontrolle wäre der Rasierapparat für ca. 80 DM = 400 Ostmark (!!) konfisziert worden. Als ich das geschafft hatte, habe ich mich in den 'Elefant' gesetzt, eine Gaststätte, die hier an der Ecke war und heute nicht mehr existiert. Bei einem Bier für Ostgeld habe ich mich voller Wonne (unter dem Tisch) davon überzeugt, daß ich jetzt tatsächlich Besitzer eines West-Rasierers war. Das muß ca. 1956 gewesen sein, vielleicht auch im Herbst oder Winter, es war ein Wetter wie heute! Mit diesem Rasierapparat habe ich mich die ganze Studentenzeit über täglich rasiert. Keiner hatte so einen schönen Rasierer, wie ich. Es war ein Statussymbol, wie heute vielleicht ein Handy ...

Ich steige auch heute bei der Station Heinrich-Heine-Straße aus. Die U-Bahnstation sieht aus, wie vor 40 Jahren. Die gleichen Kacheln an der Wand, die Stationsschilder, die Stuckdecke. Der lange, gekachelte Gang, vorne, auf der rechten Seite, führt nach oben. Er endet neben dem ehemaligen 'Elefant' auf der Straße.

Ein schmiedeeisernes Gitter, quadratische Felder. Damit wird die U-Bahn nach Mitternacht für ein paar Stunden dicht gemacht. Auch dieses Gitter ist mindestens 50, vielleicht auch 80 Jahre alt. Ich war zu DDR-Zeiten einer der wenigen Passanten der wußte, daß hinter diesem Gitter eine U-Bahnstation lag. Das Gitter war immer zu sehen, kaum einer aber wußte noch, daß da unten die U-Bahn ohne Halt vom Moritzplatz durch Ostberlin und unter dem Alex durch nach Wittenau fuhr. Eine völlig irreale, eine gespenstische Situation.

Die Teilung von Berlin war von Betonpolitikern in Ost und West provoziert worden und von 1961 bis 1989 nur mit der Mauer und mit Gewalt aufrecht zu erhalten. In der Nacht vom 10. auf den 11. November 1989 sah ich eine Station weiter bei der Jannowitzbrücke, wie dort die vermauerten U-Bahnzugänge durch Bauarbeiter aufgebrochen wurden. Erst bei diesem Anblick wurde mir richtig klar, welche Dimensionen der politische Erdrutsch hat, für den die gerade erfolgte Maueröffnung die Initialzündung war.

Heute, fast genau 8 Jahre danach, wurde ein kleiner Schaden des kalten Krieges repariert. Es gibt noch viel mehr zu tun und es wird noch Jahrzehnte dauern, bis die Spätfolgen dieser Zeit beseitigt sind. Erstaunlich aber ist, daß es kaum noch Leute gibt, die die Zusammenhänge kennen und die sich daran begeistern können, daß der 'Ring' nun wieder geschlossen ist. Aber das kann ja überhaupt nicht anders sein, denn dazu muß man sein Leben hinter sich und nicht vor sich haben. Ohne es zu wollen wird man in solchen Situationen zum Zeitzeugen: Auch das sind die Freuden des Alters!!

Jürgen Albrecht, 22. Dezember 1997

 

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