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Abstecher nach Polen 1/2

Wo ist die Berliner Badewanne? So nannte man früher die Ostsee am Stettiner Haff. Die See vor den Inseln Usedom und Wollin. Dieser Teil der Ostsee war von Berlin aus am schnellsten zu erreichen, seit ca. 1940 gibt es die Autobahn Berlin-Stettin. Nach 1945 wurde alles anders, Stettin und die Insel Wollin gehören zu Polen und die Grenzen zwischen Polen und Deutschland verläuft zwischen Swinemünde und Ahlbeck durch die Insel Usedom.Nach der Wende ist der 'Kleine Grenzverkehr' noch einfacher geworden, als er schon zu DDR-Zeiten war: Fahren Sie mit dem Bus nach Swinemünde: Fünf Tage, vier Hotel- Übernachtungen, Halbpension, incl. Fahrt auf der Ostsee für 199 DM.'

Diese Tour buche ich und fahre mit Peter und Rollstuhl am 26. August 1996 an die polnische Ostseeküste. Wir starten um 7.30 Uhr auf dem Alex, ein großer Bus, mindestens 25 Leute wollen mitfahren. Sechs Stunden werden für die 166 km Luftlinie gebraucht. Eine Stunde Warten am Grenzübergang Pomellen, eine Stunde Wartezeit an der Fähre über die Swina ... das ergibt eine Stundengeschwindigkeit von 40 km/h. Die Straßen in Deutschland und Polen sind in entsetzlichem Zustand. In Polen existiert noch der originale Autobahnbelag - 50 Jahre alt und notdürftig repariert. Das Hotel Warta ist ein neuer Plattenbau, viele Treppen, für Peter nicht zu beherrschen. Die sehr freundliche Reiseleiterin telefoniert und wir fahren in das Hotel in der Nachbarschaft: Hotel Albatros. Alte Villa, neu renoviert, keine Treppen, Zimmer im Erdgeschoß. Die Zimmerausstattung ist spartanisch aber sauber und für diesen Preis i.o.: Tisch, zwei Stühle, zwei Sessel, zwei Betten, Dusche, WC, kleines Fernsehgerät.

Zum Frühstück gibt es Käse, Butter, Wurst und Ei, mehr, als man essen kann. Das Abendbrot besteht aus fünf Gängen: Vorspeise, Suppe, Hauptgericht, Eis, Kaffee. Das Abendbrot ist wirklich gut, aber soviel kann man nicht essen. Das Hotel Albatros liegt direkt an der Promenade. Dort kann man sich (nicht nur am Mittag) für 5 DM (= 5 x 1,82 ZL) dumm und dämlich essen: Schaschlik, Steak, Salat, Pommes Frittes, Eis, Kuchen, Apfelsinen, Bananen usw. Natürlich kann man auch in eines der vielen (einfachen) Restaurants gehen. Ich aber habe das entgegengesetzte Problem: Wie mache ich Peter klar, daß er das, was er auf dem Teller hat, nur zur Hälfte aufessen soll !?

 

Die Deutschen lieben offenbar die Polen nicht. Bei jeder Bemerkung über die Polen, wird abschätzig von ihnen gesprochen. Der Busfahrer über Mikrophon: 'Die wollen uns hier gar nicht, die wollen bloß mit uns Geschäfte machen.' ... 'Jetzt verlassen wir die polnische Wirtschaft wieder und fahren so schnell wie möglich nach Hause.' Antideutsche Ressentiments habe ich nicht bemerkt. Die Polen sind freundlich, sprechen allerdings kaum Englisch und Deutsch. Russisch lieben sie nicht (Erinnern sie uns nicht daran!), obwohl man sich damit besser verständigen kann, als in Englisch

Die Deutschen fahren nach Polen, um billig einzukaufen. Darauf haben sich die Polen eingerichtet. Überall in Grenznähe gibt es die berühmten Polenmärkte: Zeltplanen, Marktstände, Bretterbuden. Dort kann man vom polnischen Schinken über Käse und Wurst bis zur handgestrickten Schafwollsocke alles kaufen. Bilder, Korbwaren, Textilien, illegale Markenwaren, geschmuggelte Zigaretten und jede Menge Schnaps und Bier.

Zwischen Ahlbeck und Swinemünde herrscht täglich reger Verkehr. Um 10 Uhr zwei Kilometer Stau auf der deutschen Seite vor dem Parkplatz an der Grenze, wo man für eine Stunde Parken eine DM bezahlt. Am Nachmittag das gleiche wieder in der Gegenrichtung, jetzt bepackt mit Katzenhäusern, Vogelbauern, kleinen Holztischchen, Gartenzwergen (lebensgroß), Spiegeln, Bildern und imitierte Petroleumlampen für das heimische Wohnzimmer. Der deutsche Spießbürger auf Schäppchenjagd. Die Preise sind aber wirklich drastisch geringer als in Deutschland: 5 Brötchen 0,80 DM (in Berlin fast 4,50 DM), 3 Spezialbatterien für Taschenrechner 6,60 DM (in Deutschland ca. 55 DM) ein großes Badetuch 12 DM, auch nur 40 Prozent des Preises in Deutschland. Und das alles bei gleicher Qualität.

In Polen gibt es offensichtlich kein Ladenschlußgesetz. Solange ein Kunde in Sicht ist, hat das Geschäft geöffnet. In einem staatlichen Laden verkaufen mir zwei freundliche Damen gegen 22:40 Uhr noch Zucker. Weil ich kein Kilo brauche, wird die abgepackte Tüte auch noch geteilt. Das möchte ich in Deutschland mal erleben! Das gleiche Geschäft war am Vortag schon gegen 19:30 Uhr zu: Ein heftiges Gewitter hatte den Betrieb auf der Kurpromenade zum Erliegen gebracht.

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