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Eine andere Art von Mensch
 
 

Die Mutter war 22, der Vater 26 Jahre alt, ihr erster Sohn Peter ist ein Langdon Down, ein schwer behindertes Kind. Diese Behinderung ist ganz charakteristisch und tritt gehäuft bei Eltern auf, die älter als 40 Jahre sind. Sie geht auf eine Chromosomenanomalie zurück und wird seit 150 Jahren beschrieben. Ein Langdon Down ist bis auf überstreckbare Gelenke und mögliche Syndaktylien (zusammengewachsene Finger oder Zehen) gesund, aber seine geistigen Fähigkeiten erreichen selten ein höheres Niveau als das eines dreijährigen Kindes und er kann auch nur sehr schwer verständlich und unvollkommen sprechen. Alle Langdon Down sehen sich wie Brüder und Schwestern weltweit ähnlich. Es ist ein eigenartiges Gefühl, einem Bruder seines eigenen Sohnes in Vietnam zu begegnen.

Die Diagnose Langdon Down wurde gleich nach der Geburt gestellt, der Fall war eindeutig. Nicht für die Eltern. Wir studierten die einschlägige Fachliteratur und suchten nach Gegenindikationen. Aber nach einem Jahr war auch uns klar, Peter war ein Langdon Down. Ein sehr unwahrscheinlicher Zufall hatte uns erwischt, mit ziemlicher Sicherheit können wir weitere, gesunde Kinder haben. Aber die Mutationsrate der Natur ist erstaunlich hoch: 2,5% alle Neugeborenen besitzen irgendeine Abweichung vom Normalen. Es nicht bei Peter allein zu belassen, war die beste Entscheidung, die wir in dieser Situation getroffen haben. Ohne die nächsten zwei gesunden Kinder wäre ein relativ normales Familienleben kaum möglich gewesen.

Peter wuchs mit einer Schwester und einem Bruder auf und mit jedem Jahr wurden die Unterschiede deutlicher sichtbar. Er lief erst mit vier Jahren, seine Reaktionen waren unkontrolliert und völlig anders als die seiner Geschwister und trotz aller erdenklichen Förderung lernte er nie richtig sprechen. Aber wir können uns miteinander über alltägliche Dinge gut verständigen, obwohl sich Peter fast ausschliesslich mit Einwort-Sätzen äussert. Peter lernte richtig essen und er wird mit sich auch in der Wohnung alleine fertig.

Er lernte auch alle Buchstaben und Zahlen zu schreiben und zu lesen. Aber den qualitativen Schritt,

 

mehrere Buchstaben zu einem Wort zusammen zu fassen, schaffte er nie. Wenn er ein Wort lesen kann, dann nur deshalb, weil er das Wortbild erkennt. Auf der Strasse kann er sich alleine nicht bewegen, er hat zwar ein gutes Orientierungsvermögen, aber er kann den Strassenverkehr und andere Gefahrenquellen nicht einschätzen.

Mit 25 Jahren war aus der Überstreckbarkeit seiner Hüftgelenke eine doppelseitige Luxation geworden. In der Wohnung kann er sich trotz grosser Schwierigkeiten (auf dem Teppich) bewegen, aber grössere Strecken, und das fängt bei 15 Metern an, sind nur noch mit dem Rollstuhl zu bewältigen.

 

 

Inzwischen ist Peter 37 Jahre alt. Im Alter von 18 Jahren fing er an, in einer geschützten Werkstatt zu basteln und zu bauen. Heute arbeitet er täglich in einer Behindertenwerkstatt. Mit äusserster Gewissenhaftigkeit montiert er zum Beispiel Beleuchtungseinheiten für Kühlschränke. Aber täglich muss er von jemandem in diese Werkstatt gebracht und auch wieder abgeholt werden. Die Hauptlast dabei trägt wie immer die Mutter, aber auch die Geschwister und der Vater kümmern sich um Peter. In seiner Arbeit findet auch er Befriedigung und deshalb geht er gerne in seinen 'Betrieb'. Aber auf den Urlaub freut sich Peter wie jeder andere 'Werktätige' auch.

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