BACK

Alltag auf der kleinen Farm 2/4

Die Konzeption von Louisa & Sam besteht darin, neben der Arbeit noch eine Farm zu betreiben, um damit Fleisch und Gemüse für den eigenen Bedarf zu erzeugen. Entscheidender Antrieb war, dass beide für ihre Familie sicher wissen wollten, was man eigentlich auf dem Teller hat. Diese Motivation ist aller Ehren wert, erweist sich aber in der Praxis schnell als Illusion und Boomerang. Illusion deshalb, weil kein Mensch weiss, was in den Säcken ist, die man als Futter für Schweine und Geflügel in St. Paul kauft. Das wäre nur durch intensivere Feldarbeit auf der Farm zu umgehen. Die viele Arbeit, die die Tiere machen, ist der Boomerang dieser Konzeption. Und eigentlich müsste man noch viel mehr machen, ein Ende ist nicht abzusehen.

Aber Louisa & Sams sehen das nicht so eng. Sam ist ein Alleskönner, Bastler und Workoholiker. Ohne Arbeit geht es nicht und da ist so eine Farm genau das Richtig. Hier kann man ständig nageln, sägen und bauen und ganz nebenbei auch die Tiere füttern. Louisa hat den Bachelor for Design and for Education gleichzeitig innerhalb von drei Jahren an der Universität von Lethbridge gemacht und arbeitet als Lehrerin. Trotz dieser akademischen Ausbildung agiert sie ausgesprochen emotional und spontan. Sie ist eine Nativ und spirituell mit ihrem 'Creator' sehr verbunden. Was der ihr beim Sun Dancing einflüstert, ist wesentlich bestimmender für ihre Handlungen als landwirtschaftliches Wissen und praktische Erfahrung. Sie ist ein Beispiel dafür, wie wenig Verstand ein Farmer oder eine Farmersfrau in Canada oder USA besitzen, auch wenn sie auf einer der vielen 'Universitäten' des Landes studiert haben.

Die beiden haben zwei Kinder. Der Sohn ist schon 22 und studiert in Vancouver Medizin. Sheila, ihre siebzehnjährige Tochter, hat gerade die 11. Klasse absolviert und sich von der Bevormundung der Eltern befreit. Ihre Kellerwohnung unterscheidet sich kaum von einer Obdachlosen-Müllkippe unter einer Brücke.

 

Sie geht nur unregelmässig zur Schule, arbeitet angeblich jeden Abend im Kino. Wenn sie in der Nacht nach Hause kommt, telefoniert sie noch endlos und das ganze hellhörige Haus hört mit. Sie weckt Conny weit nach Mitternacht, um ihm wichtige Dinge mitzuteilen und mit dem Sonnenaufgang geht sie ins Bett, das sie erst zwischen 13 und 15 Uhr wieder verlässt. Sie hat ein eigenes Auto, aber kein Geld für Benzin, deswegen fährt sie jetzt, wo die Eltern nicht da sind, mit dem Truck 'auf Arbeit'. Ein nettes Mädchen ohne jeden Verstand in einem sehr schwierigen Alter. Sam meint, dass er überhaupt nichts machen und nur noch hoffen kann.

In dieser Familie und auf dieser Farm hat Conny ein ganzes Jahr als Austauschschüler gelebt. Der Schulbus fuhr um 8 Uhr nach Elk-Point in die Schule. Dort herrschen geordnete Verhältnisse und das in Canada übliche Schulsystem. Gegen 16 Uhr kam er wieder mit dem Schulbus zurück. Da war für Schularbeiten wenig Zeit. Auf einer Farm ist viel zu tun, die Tiere müssen gefüttert werden und immer gab es viel zu reparieren oder zu bauen. Er hat sich mit Sam gut vertragen und mit ihm viel zusammen gearbeitet und das hat ihm auch Spass gemacht. Im Haus hatte Louisa das Regime, die zeitweilig äusserst launisch und rechthaberisch war. Trotzdem hat sie Conny sehr ins Herz geschlossen. Er ersetzte ihren Sohn Mark, der vor einem Jahr ausgezogen und zum Studium gegangen war. Sheila lehnte es strikt ab, auch nur einen Handschlag auf der Farm zu tun. Abwaschen und die Küche fegen nach zehnfachen Aufforderungen, war das höchste der Gefühle. Regelmässige Essenszeiten gab es nicht, höchstens einmal versammelte man sich am Tisch zum abendlichen Dinner. Sonst bediente sich jeder aus dem Kühlschrank und liess den Abwasch für den nächsten stehen. Eine hervorragende Quelle für permanente Konflikte. Aber die ganze Familie ist ausgesprochen gutmütig und umgänglich. Louisa und Sam haben Conny als ihren zweiten Sohn adoptiert. Es wird viele Tränen beim Abschied geben.

Nächste Seite

BACK