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Unterwegs mit dem fliegenden Postboten Seite 4/5

Wozu sollen die Kinder zur Schule gehen? Was erwartet sie nach der Schule, vielleicht sogar nach dem College? Ein Leben als Lehrer in einer Aboriginal Community? Maximal. Es gibt in Australien keine Arbeitsplätze für Aboriginals. Nicht mal alle Weissen haben Arbeit. Warum die Sprache der Weissen lernen, wenn man in der Aboriginal Community die Muttersprache spricht? Die Aboriginals sprechen viele sehr unterschiedliche Sprachen und Dialekte mit Einflüssen aus dem Englischen und aus vielen anderen, südostasiatischen Sprachen. Warum etwas über Geographie, Geschichte, Religion und Mathematik lernen? Immer wird dabei die Sicht der Weissen vermittelt, alles durch die Brille der europäischen Zivilisation gesehen. Dieses ganze Wissen hat keinen Bezug zur Vergangenheit der Aboriginals und zur jetzt hier existierenden Realität. Warum den Verstand bilden und trainieren wenn absehbar ist, dass man nie damit etwas anfangen kann? Ausserdem bestimmt der Chef des Clans, was wichtig für das Leben der einzelnen Familienmitglieder ist. Er kann ein paar Brocken English und mit dem Geld umgehen, das hat für sein ganzes Leben gereicht.
Und überhaupt ... wozu Müll in den Abfallbehälter werfen, warum einen Garten anlegen, das Haus in Ordnung halten, warum die Fliegen von den Babys wedeln und warum sich um irgendeine kommunale Angelegenheit kümmern? Es sind doch Weisse da! Wenn es wirklich nötig ist, werden die das schon machen. Die Weissen wollen doch, dass wir in solchen Communitys leben. Sie haben alles aufgebaut und organisiert, sie werden es auch weiter machen, bis ans Ende aller Tage. Und wenn unser Haus zusammenbricht, auch dann brauchen wir keine Hand zu rühren, Weisse bauen es wieder auf. Das Gemüse brauchen wir nicht anzubauen und mühsam zu bewässern, das kaufen wir im General Store. Und wenn das Baby stirbt, dann macht das auch nichts, das nächste ist schon unterwegs.

Es gibt Trubel und Probleme an der Bushpiste in Kiwirrkurra. Das kaputte Mädchen mit dem roten T-Shirt hat es geschafft. Ein paar Mal musste sie unterwegs zur Tüte greifen. Jetzt wird sie von vielen Kindern freudig begrüsst und wieder in den Schoss Ihres Clans aufgenommen. Auch die Frau mit dem vor Gesundheit strotzenden Baby steigt hier aus. Zwei neue Passagiere aber machen Schwierigkeiten: Halbwüchsige Jungen, vielleicht 12 Jahre alt. Sie sind im Sonntagsstaat erschienen, grell bunte T-Shirts, das erste Mal eine lange Hose an. Aga hat entsetzlich breite, weisse Turnschuhe an und man merkt, dass er damit kaum laufen kann.

 

Für Cooma war kein Geld mehr für ein paar ähnliche Schuhe da, er ist barfuss. Die beiden verstehen nicht, warum sie ihr Gepäck abgeben und sich auf eine Personenwaage stellen sollen, die der Pilot aus den Tiefen des Laderaums hervorgezaubert hat. Die Mutter, oder ist es die Grossmutter, die sie begleitet, macht es ihnen vor. Der Vater, vielleicht ist es nicht der Vater, aber er hat hier das Sagen, redet laut und energisch auf die beiden Jungen ein, die die Köpfe hängen lassen. Wahrscheinlich ist es ihr erster Flug und jetzt, wo es ernst wird, hat sie aller Mut verlassen. Schliesslich aber werden sie überredet. Sie besteigen das Flugzeug und der Pilot schnallt sie fest.

Es gibt noch ein Problem mit einer Postsendung. Der Clanchef baut sich vor dem Piloten auf. Eine imposante Erscheinung, umgeben von seinem ganzen Clan: Drei Frauen, drei halbwüchsige Mädchen, zwei grosse Jungen und endlos viele kleine, zum Teil nackte Kinder. An sein Auto gelehnt wartet der zweitplazierte Mann des Clans, der deutlich jünger ist als der Chef, wie diese Sache jetzt hier ausgeht. Der Chef ist einen Kopf grösser als der Pilot und deutlich breiter. Um seine Wirkung zu steigern, hat er einen riesigen Cowboyhut mit breitem Band auf dem Kopf. Ein ausdrucksstarkes, dunkles, glatt rasiertes Gesicht, lange, gepflegte Haare. Als einziger der 25 hier versammelten Bewohner der Community, darunter vielleicht 5 Weisse, ist er korrekt gekleidet: Helles Hemd mit dem Cowboyschlips, lange Hose mit Gürtel, Strümpfe und geputzte Schuhe. Er diskutiert mit dem Piloten, spricht fliessend English: 'You know, I'm a teacher ....!!' Er ist wahrscheinlich deutlich mehr, als ein Schullehrer, er tritt jedenfalls so auf, als ob er der Häuptling aller in der Gibson Dessert lebenden Aboriginals wäre. Bildung schafft Selbstbewusstsein und macht Eindruck. Frauen und Kinder schweigen ehrfurchtsvoll, während der Chef des Clans mit dem Chef des Fliegers verhandelt. Dann hat man sich geeinigt und auf einen Wink des Fürsten zieht sich sein ganzes Gefolge aufgeregt schnatternd zurück. Mit zwei Autos verschwindet der ganze Clan in einer Staubwolke, noch bevor wir wieder abgeflogen sind.

Zwei Frauen mit ein paar Kindern winken den beiden Jungen nach, als wir wieder starten. Eine hält dem Flugzeug mit beiden Händen ein zappelndes Baby entgegen, als es über den Airstrip braust und abhebt: 'Guck mal, da fliegt ein grosser Vogel und darin sitzen Aga und Cooma, die Du jetzt so lange nicht mehr wiedersehen wirst!'

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