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Unterwegs mit dem fliegenden Postboten Seite 5/5

Wir fliegen nach Osten über die Gibson Dessert. Auf der linken Seite ist in der Ferne die ganze Zeit der Lake Mackay zu sehen, ein riesiger, weisser Salzsee. Nach einer halben Stunde landen wir wieder in Kintone. Getankt wird hier nicht mehr, aber wieder geht es um Post und wieder müssen ein paar Passagiere auf die Waage. Rosa steigt wieder mühevoll ein und setzt sich hinter mich. Vor dem Flugzeug produziert sich eine grosse Frau in weissem Cotton und einem viel zu auffälligen Hut. Sie ist es offensichtlich gewöhnt, sich in den Mittelpunkt zu stellen und im Mittelpunkt zu stehen. Auch sie hat Probleme, auf die Waage zu gehen. Der Pilot kann kaum über ihren stattlichen Busen hinwegsehen, aber er setzt sich durch, sie muss gewogen und das Gewicht muss notiert werden. Viele schwarze Frauen umringen sie, auch viele Kinder sind da. Alle wollen sich von Rosa und Maggi, der Krankenschwester, verabschieden. Maggi hat hier vier Wochen durchgehalten, jetzt ist endlich der Ablösetag gekommen.

Es geht los, der Pilot drängt darauf, dass auch Maggi einsteigt. Ich räume meine Lunchkiste und den Rucksack beiseite. Maggi muss natürlich hinter dem Piloten sitzen. Maggi ist in dem schwierigen Alter, wo es schwerfällt zu akzeptieren, dass man nicht mehr 35 ist und seit sie das Flugzeug betreten hat, beherrscht sie hier die Szene. Zuerst examiniert sie den Piloten: 'Larry, Dich habe ich ja noch nie gesehen, wo kommst Du her, wo bist Du bisher rumgeflogen?' 'Und hier, guckt mal alle her, das ist mein Skizzenbuch, das habe ich beim letzten Flug gezeichnet. Jetzt muss ich gleich wieder zeichnen, denn wir sind ja schon wieder in der Luft !!' ... Bis nach Alice gibt es jede Menge Gesprächsstoff, denn Maggi ist eigentlich keine Krankenschwester, sondern eine begnadete Malerin, Köchin, Musikerin, Sammlerin und Schriftstellerin. Aber mit all diesen schönen Künsten kann man kein Geld verdienen, deswegen muss sie ihr Talent in den Health Stations von Aboriginal Communitys verschleudern. Wenn sie aber genug Geld zusammen hat, dann wird sie für drei Jahre nach Europa gehen. Natürlich zuerst nach Italien, denn Italien muss jeder Künstler wenigstens einmal im Leben gesehen haben.

Ich mache Fotos von Ihr, während sie zeichnet (sie kann zeichnen!) und als sie sieht, dass ich eine Digitalcamera habe ('Ich fotografiere auch leidenschaftlich, aber die Batterie ist alle, also muss ich zeichnen ...'), gibt sie mir gleich ihre Email Adresse und die Adresse der gerade neu eingerichteten HomePage von Maggis Club: maggi_corstairs@-yahoo.com.

Die Zeit vergeht mit Maggi buchstäblich im Fluge. Ich kann kaum geniessen, dass es jetzt Wolken gibt, die sich mit ihren Schatten auf der Erde abbilden und auch die Berge wie mit einer künstlichen Oberfläche überziehen. Herrlich ist das auf den Flanken des Mt. Liebig zu sehen, wo wir gerade wieder landen. Das war die letzte Station, jetzt geht es 'Straight ahead to Alice!', erklärt der Pilot.

Wir fliegen 2000 Meter hoch und nur 200 Meter unter den Wolken, die alle in der gleichen Höhe eine gerade Unterkante besitzen. Man hat den Eindruck, als ob das Flugzeug dicht unter der Decke eines riesig grossen Raumes fliegt. Rechts bei Maggi tauchen die langen Linien der verwitterten Layer auf. Ganz verschwommen im Dunst, aber deutlich genug, sieht man dort die 900 Meter hohen Wände des Kraters Gosse Bluff,

 

ein Meteoriteneinschlag vor 130 Millionen Jahren. Dann ist tatsächlich da drüben die Glen Helen Gorge zu sehen. Ich sitze auf der falschen Seite, so ein Jammer! Aber für die Dauer von ein paar Fotos werfe ich mich Maggi an die Brust. Sie entschuldigt sich, dass ihr Cotton nicht mehr strahlend weiss ist, aber gerade deswegen ist sie ja jetzt auf dem Heimflug.

Wir landen gegen 17 Uhr in Alice Springs. Maggi setzt ihren kapriziösen Hut auf und ich kann mich nicht zurückhalten: 'Das ist kein Hut, für eine so junge und hübsche Lady!' Na da habe ich ja was angerichtet! 'Die angeblich stockkonservativen Deutschen! Dieser Mensch will mehr Farbe! Möglichst wohl noch eine Federboa, was ?! Wo ich doch so sorgfältig dieses dezente Seidentuch für den Hut ausgewählt habe. Nie wieder werde ich diesen Hut aufsetzen! Na gut, ausnahmsweise für ein letztes Foto!' Deswegen also gibt es noch ein Foto von Maggi mit Hut.

Dann ist sie so plötzlich und grusslos verschwunden, wie sie uns erschienen war. Ein Mann holt sie ab und sofort existiert ausser ihm nichts mehr auf dieser Welt. Wir anderen warten wieder auf den Shuttle Bus. Ich verabschiede mich von dem Piloten, der in 10 Stunden nicht eine Pause gemacht hat und den ich nur einmal habe in einen Apfel beissen sehen. Sicher muss er jetzt noch endlos Papiere ein-, um- und aussortieren. Mein Geld will er nicht, das wäre ausnahmsweise mal nicht seine Angelegenheit, meint er.

Der Bus kommt, wir steigen ein. Natürlich Rosa und ich als Weisse zuerst, danach die Aboriginals: Ein Mann mit zwei jungen Frauen und die Mutter mit den beiden Knaben. Als wir auf den Bus warteten, habe ich bewundernd die riesigen Turnschuhe von Aga kommentiert. Sein Blick blieb gesenkt. Auch als ich mich bückte und ihm in die Augen sah: Die Mutter lächelte milde, aber dem Jungen war nicht nach Scherzen zumute. Warum, das stellt sich heraus, als wir nach ein paar Kilometern vor dem Yirara College halten, ein grosser, weitläufiger Gebäudekomplex.

Hier steigt die Mutter mit den beiden wohl angezogenen jungen Leuten aus. Für sie beginnt heute ein neuer Lebensabschnitt. Das Yirara College ist jetzt ihr zu Hause und ersetzt für einige Zeit ihre Familie. Hier werden sie für die nächsten Jahre leben und lernen. Unter dem Bild des Gekreuzigten und täglich mit seinen Worten. Denn was stand an der Kirche von Hermannsburg: 'Selig sind die Gottes Wort hören und bewahren.' Hier befindet sich die Finke River Mission Inc. der Lutheran Church of Australia. Das ist die direkte Nachfolgeeinrichtung der Missionsstation von Hermannsburg. Sie betreibt das Yirara College, eine Secondar School ausschliesslich für Aboriginals im Alter von 12 bis 20 Jahren (Boys and Girls). 'In christlicher Geborgenheit und Mitmenschlichkeit erhalten die Studenten des Yirara College eine solide, lebenspraktische Ausbildung', heisst es in einem Prospekt.

Aga und Cooma sind hier in guten Händen. Mit der Bibel in der Hand wird man versuchen, so gut es noch geht, ihre verirrten Seelen zu retten und ihnen eine sinnvolle Ausbildung zu geben. Schliesslich hat man mehr als 120 Jahre Erfahrung in der Bekehrung von Aboriginals.

Jürgen Albrecht, Alice Springs, NT, 29. Oktober 1999

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