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Las Vegas - Super Amerika 3/4


Abends auf dem Glitzerstrip
Ich bin noch nicht abgefahren und das war gut so. Am Vormittag Schreiben und Internet in der herrlichen Uni Bibliothek. Danach war es viel zu heiss, um gegen 15 Uhr auf Reisen zu gehen. Heute stand der Camper im Schatten hoher Bäume. Eine gute Gelegenheit, die exakte Temperatur zu messen: Aussen leichtes Fieber mit 37,7 Grad, innen über Stunden die gleiche Temperatur: 36,1 Grad. Auch jetzt um 22 Uhr sind es innen noch 30,0°, aussen 28,2°. Das sind die Temperaturen, die ich liebe. Aber auf Reisen geht man möglichst mit dem Sonnenaufgang.

Gestern war ich praktisch nur an einer Kreuzung des Strip. Heute bin ich am Abend den ganzen Strip einmal rauf und runter gelaufen. Interessant, jetzt habe ich wirklich das meiste von Las Vegas gesehen und kann mir ein Bild von dieser Stadt machen, habe mehr Details gesehen. Noch einmal: Ich bewundere, mit wieviel Aufwand hier Attrappen in verkleinertem Massstab nachgebaut worden sind. Man kann es sich leisten, weil genug Geld hereinkommt und weil man zum Beispiel den Eifelturm nur 60 Meter und nicht 200 Meter hoch baut. Aber auch der Nachbau ist eine genietete Stahlkonstruktion wie das Original und auch hier kann man mit einem Fahrstuhl auf die Spitze fahren. In Venedig wurde in der Eingangshalle des Hotels eine Stuckdecke mit Ölbildern in goldgerahmten Kassetten nachgebaut. Das ist wirklich beeindruckend. Über die Rialto Brücke braucht man nicht zu laufen, da fahren Rollwege, damit die Besucher nicht stehen bleiben und den Verkehr aufhalten. Für die vielen alten (aber reichen) Menschen, die hier her kommen, wurde alles höchst bequem gestaltet. Auch im Rollstuhl kann man noch problemlos in Las Vegas Geld ausgeben. Caesars Palace, viel Wasser und viele Säulen, wurde aus Marmor gebaut. Dieses Hotel war das erste, das mit grossem Aufwand auf ein Thema ausgerichtet wurde: Die Römer. Heute wird wieder modernisiert und umgebaut und hier ist zu besichtigen, wie Schinkel ein Hochhaus im klassizistischen Stil gebaut hätte. Ich laufe bis zu Treasure Island. Das Seeräubernest aus wackligen Hütten ist an einer felsige Küste nachgebaut worden.

Auf die Spitze ist der schöne Schein beim Luxor getrieben worden. Gigantische Ausmasse hat die Pyramide und die Sphinx. Innen ist die Pyramide hohl, in die schrägen Wände sind Hotelzimmer eingebaut. Trotzdem steht noch ein riesiger Raum zur Verfügung, der in mehreren Etagen genutzt wird. Eine wirklich erstaunliche, architektonische Leistung. Auch die vielen ägyptischen Schriftzeichen sind (scheinbar) tief in den Sandstein eingemeisselt worden. Man muss genau hinsehen, um die industrielle Fertigung zu erkennen. Aber wer guckt schon so genau hin?

Freileitungen auch mitten auf dem Strip in Las Vegas. Die Amerikaner haben offensichtlich etwas gegen das Verlegen von Erdkabeln. Dafür gibt es einen ganz einfachen Grund: Kabel im Untergrund sind komplizierter und teurer, als eine Freileitung. Deshalb kann man also auch in Las Vegas, wo alles wirklich massiv und solide gebaut ist (am Strip), auch riesige Masten sehen, mit denen der schillernde Boulevard unter Strom gesetzt wird.

Es gibt auch etwas richtig Schönes, besonders am Abend und besonders für die vielen Pärchen im Honeymoon: Eine wirklich wunderbare Wasser- und Lichtorgel in einem 250 m breiten See vor dem Hotel Bellagio. Alle 10 Minuten ein neues Musikstück mit anderen Wasserspielen. Ein wirklicher Genuss für die Sinne. Trotzdem fragt sich der Ingenieur, was für eine riesige Pumpenleistung und eine enorme Steuertechnik dahinter stehen. Die Illusion ist in Las Vegas wirklich perfekt inszeniert.

In der Summe führt das zur Meinung der begeisterten Besucher aus Amerika und Asien: Hier ist alles viel schöner, viel perfekter, als das europäische Original! Zeitsparend sind hier Rom, Paris, Venedig, Florida, New York und viele andere Traumwelten an einem einzigen Strip zu besichtigen.

Der Las Vegas Boulevard ist der eigentliche Strip. Zu ihm gehört ein Areal von fünf mal zwei Meilen. Den Boulevard habe ich mir in ganzer Länge angesehen.

 

In den Parallel- und Seitenstrassen warten noch mehr Hotels und Attraktionen auf Besucher. Im Stadtplan zähle ich im Bereich des Strip mehr als 100 Hotels. Ausserhalb des Strip liegen noch einmal 25 grosse Hotels, in Downtown weitere 40. Und dabei sind die vielen kleinen Motels und Absteigen nicht mitgezählt. Innen sind alle grossen Hotels gleich: Gute bis absolut exclusive Hotels mit jedem Service, den man sich vorstellen kann und immer ist ein riesiges Spielcasino mit Showbühne angeschlossen. Welche Stadt der Welt bietet mehr und hält achzigtausend Hotelbetten bereit, von denen es bis zum Spielcasino genau so weit ist, wie zur Toilette?!

Weil man nach Las Vegas in erster Linie mit dem Auto kommt, muss für Parkplatz gesorgt werden. Jedes Hotel hat zwei Sorten von Parkplätzen: Frei zugängliche Parkplätze und solche für Hotelgäste. Alles ist frei, nur an ganz wenigen Stellen gibt es Parkuhren. Ich bin einer der wenigen, der nach Las Vegas mit dem Camper gekommen ist. Das ist hier äusserst selten. Es muss an der Klientel der Casinos liegen: Spieler fahren nicht mit einem Camper durch Nordamerika, sondern ganz gezielt nach Las Vegas!

Jeder Besucher hat freien Zugang zu allen Hotels und Casinos, alles ist sehr sauber und sicher. Die Polizei ist präsent, hält sich aber sehr dezent im Hintergrund. Nicht ein Graffiti habe ich in Las Vegas gesehen! Kein Bettler, kein Schnorrer, keine Anmache.

In den Spielkasinos dominiert der einarmige Bandit in vielen Varianten. Schon mit einem Einsatz von einem Cent kann man hunderttausend Dollar gewinnen, mit 5 Cent eine Million. Angeblich. Es gibt noch den rein mechanischen Automaten, aber die Digitaltechnik hat schon vor Jahren mit Monitor und Computer im Hintergrund Einzug gehalten.

Nur das Internet spielt in Las Vegas absolut keine Rolle. Exemplarisch kann man hier sehen, dass man in der Freizeitindustrie gegenwärtig mit Internet und digitaler Technik kein Geld verdienen kann. Die virtuelle Welt ist für die Alten nicht existent, deshalb existiert sie auch nicht in Las Vegas. Mindestens eine ganze Generation muss erst sterben. In 25 Jahren wird das komplett anders aussehen. Dann kommen mindestens die Spiele aus dem Internet. Überall sind die Baller- und Rennfahrer Spiele zu sehen. Aber das sind alles noch mechanische Automaten mit Monitor, eingeführt seit 30 Jahren. Die Leute, die nach Las Vegas fahren, brauchen das Internet absolut nicht.

In zwei Gift Shops standen die Automaten ohne Floppy die ich so liebe: Fünf Minuten für einen Dollar. Aber der erste Lichtblick: Vor dem Hotel Polo Towers hat tatsächlich ein Internet Cafe aufgemacht: 10 bis 12 Computer, gute Ausstattung, Floppy ist zu benutzen aber ... 8 Dollar für die halbe Stunde, 12 für die ganze. Zu so einem unverschämten Preis geht niemand ins Internet und der Laden ist leer. Das einzige Geschäft in Las Vegas, das nicht brummt. Auch ich verkneife es mir, von hier aus Emails zu verschicken!

Das Facit ist interessant: Welche Welt würde sich der Mensch bauen, wenn er nicht arbeiten müsste, satt wäre und in einer Welt voller Harmonie und Frieden leben würde? Alles heile Welt und keine finanziellen Probleme!? Wie würde unter solchen Randbedingungen unsere Welt aussehen?! Offenbar so wie Las Vegas: Der satte, zufriedene Mensch liebt die Bequemlichkeit und die Routine. Er will gut essen, er will unterhalten werden, er will sich nur wenig bewegen, er will Sex haben (bis ins hohe Alter) und vor allen Dingen will er seinen Verstand nicht anstrengen. Und wenn er überhaupt noch etwas neben Fressen, Ficken und Fernsehen (Leipzig 1990) machen möchte, dann kümmert er sich um die Vermehrung seines Geldes, auch wenn er davon mehr als genug hat.

Das bestätigt meine These, dass die Gier nach Mehrwert das Gattungswesen des Menschen ist. Nichts anderes interessiert den Menschen so, wie das Geld. Nicht einmal Sex. Leider kann man nicht 15 Stunden hintereinander Sex haben. Mühelos aber kann man so lange um Geld spielen.

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