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Thompson Pass und Columbia Gletscher 1/3

Übernacht auf dem Thompson Pass
Das ist nicht wahr. Ich muss träumen. Das kann einfach nicht die Wirklichkeit sein! Rechts aus dem Küchenfenster der Blick zum Thompson Pass (nur 150 m weit weg) mit den Girls Mountains im Hintergrund. Links aus dem Fenster des Arbeitszimmers hören scharfzackige, spitze Berge überhaupt nicht mehr auf ...! Blauer Himmel mit Wolken, die alle höher als die Berge sind. Solche Bilder gibt es einfach nicht! Es ist so hell, dass ich eigentlich mit Sonnenbrille schreiben müsste, aber dann sehe ich auf dem Bildschirm nichts mehr, deshalb habe ich mir diese irre Aussicht teilweise mit einem Handtuch verhängt.

Ich habe es wahr gemacht und bin gegen 14:30 Uhr von Valdez aus wieder zurück zum Thompson Pass gefahren. Nach einer guten Stunde Fahrt auf dem Richardson Highway war ich wieder hier oben auf dem Pass, 845 Meter hoch. Traumhafte Sicht, deutlich besser als vorgestern, als ich in der Gegenrichtung hier vorbei fuhr. Heute fahre ich erst über den Pass und auf der anderen Seite ein paar Kilometer wieder nach unten. Dort liegt der Worthington Glacier, er kommt von den Girls Mountains herunter. Wo vorgestern noch die Strasse tief im Schnee steckte, ist sie heute bis vor die drei Häuser am Gletscher frei geräumt. Das WC stehen noch bis zum Dach im Schnee.

Meine Wohnung stelle ich vorne an der Strasse ab und laufe der geräumten Strasse nach oben. Zu sehen ist nichts ausser einer Schneewand, drei Meter hoch, unter der auch der Gletscher begraben ist. Nasse Füsse. Die Sandalen sind für Alaska (mindestens um diese Zeit!) nicht die beste Wahl. Aber es ist warm, die Sonne knallt, der Schnee ringsherum blendet, ich schmiere mich gegen Sonnenbrand ein, als ich zurück bin. Dann koche ich mir einen Kaffee und setze mich im Liegestuhl in die Sonne. Life can not be better!

Das erste Mal betrachte ich die Landschaft mit dem Fernglas. Herrlich, wie die Sonne den Firnschnee zum Leuchten bringt. Hunderte kleiner Lawinen laufen von den trogförmigen Talwänden nach unten. Diese Täler haben Gletscher ausgehobelt. Unverkennbar. Auch diese zackigen, messerscharfen Grate hier auf der rechten Seite. Das alles ist das Werk der letzten Eiszeit. Eine geologisch ganz junge Landschaft. Das gesamte Gebirge besteht aus Schiefer. Der Gletscher kann Schiefer nicht blank hobeln, das Gestein springt und splittert. Der Gletscher gibt raue, scharfkantige Felsen frei. Mit dem Fernglas sieht man sogar den schwarzen Schutt neben den noch verschneiten Felsen liegen. Er absorbiert die Wärme der Sonne schneller, als die Felsen.

Im Liegestuhl ist es nur solange angenehm, wie die Sonne scheint. Ohne Sonne ist es sofort kalt (mit Sonne hier oben 23, ohne 18 Grad, jetzt um 17:45). Ich packe meine Sachen ein und fahre von diesem Gletscher aus wieder den Pass hoch. Gleich hinter dem Pass liegt auf der rechten Seite ein schmaler Parkplatz direkt an der Strasse. Dort stehe ich und hier werde ich übernachten. Davor eine zwei Meter hohe Schneewand, über die man kaum hinweg sehen kann. Deswegen stehe ich ganz am Ende des Parkplatzes. Eine unglaubliche Sicht nach unten. Mit dem Fernglas kann man von hier aus sehen, wie die Strasse nach Valdez in den Keystone Canyon einbiegt.


Das ist der Thompson Pass

So einen Abend, so eine Nacht und vielleicht noch so einen Morgen habe ich mir sehnlichst gewünscht. Manche Wünsche gehen tatsächlich in Erfüllung! Ich kann es noch gar nicht fassen. Vor allen Dingen, dass ich hier oben so viel Zeit habe. Ich brauche eigentlich morgen erst gegen Mittag wieder nach unten zu fahren. Ein Ticket für die Fähre habe ich nicht, aber an der Tür stand heute ein Schild: Open Thursday, 3 PM ... morgen werden wir sehen, ob das stimmt.

Jetzt ist es auf dem Thompson Pass gut eine Stunde später und ich habe gerade Abendbrot gegessen. Über dem East Peak liegt eine dicke Wolke. Der einzige Gipfel, der nicht sichtbar ist. Es ist völlig windstill, die Wolke bewegt sich nicht, wird aber immer grösser. Warum wohl? Es muss an der Sonne liegen, die auf der Westseite des East Peak den Schnee verdampft. Dort liegen grosse Gletscherfelder, man sieht sie aber nur auf der Karte.

Fast eine Stunde habe ich im Liegestuhl gesessen und mir die Gegend mit dem Fernglas angesehen. Von hier oben ist vor 8.000 Jahren noch ein riesiger Gletscher runter ins Tal geflossen. Man sieht, wie er die Ostflanke des East Peak abgehobelt und konkav ausgehöhlt hat. Von hier oben ist auf der rechten Seite genau der Trog zu erkennen, in dem der Gletscher lag. Auf der Gegenseite waren Gletscherzuflüsse. Sie haben dort oben die spitzen Grate erzeugt, mehrere solche Grate laufen senkrecht auf den Haupttrog zu, der nach unten führt. Das Schmelzwasser dieser Nebengletscher hat tiefe Querschluchten in das Gestein gesägt. Senkrechte Wände und ganz schmal. Das war kein Eis, sondern Wasser. Und das gesamte Schmelzwasser dieses riesigen Gletschers ist durch den Keystone Canyon in den Fjord abgeflossen, an dem heute Valdez liegt.

 

Im Canyon hat das Wasser eine mehr als hundert Meter hohe und teilweise nur 15 Meter breite Schlucht durch die Schieferformation gefräst. Senkrecht (!!) stehen die Schieferplatten 150 Meter hoch im Keystone Canyon. Genau dort führt jetzt die Strasse entlang. Die Goldgräber haben sich vor 100 Jahren nicht runter in den Canyon getraut, sie haben einen Trail oberhalb, aber nahe am Canyon benutzt. Schon seit 150 Jahren sind die Weissen von Valdez aus durch dieses Tal und über den Thompson Pass in das Hinterland gelangt.


Senkrechte Schieferplatten im Keystone Canyon


Strasse im Keystone Canyon: Ein Stein kam von oben ...

Wieder eine Stunde später: Die dicke Wolke über dem East Peak ist weg!! Wo ist sie hin?? Es ist nach wie vor windstill und noch scheint die Sonne. Herrlich sieht die Berglandschaft mit den flachen Sonnenstrahlen aus. Man kann einfach nicht ständig Fotos machen. Aber gucken kann man immerzu! Inzwischen läuft auch der Generator neben meiner Wohnung ... alle Systeme funktionieren und das bei dieser Aussicht! Es ist jetzt 22:17 Uhr, Sonnenuntergang um 22:30 Uhr. Auf einigen Bergspitzen ist immer noch die Sonne (wenn auch schwach) zu sehen. Im Westen ist der Horizont leicht rot, sonst ist alle hellblau - der Himmel und der viele Schnee. Es wird rapide kalt !! Nur noch 3,8 Grad, in dieser Nacht gibt es Frost! Hoffentlich friert nicht mein Wassertank ein. Aber so schlimm wird es schon nicht werden, denn die Sonne geht um 4:53 Uhr schon wieder auf, dann wird diese Gegend wieder beheizt! Fünfzehn Minuten nach dem Sonnenuntergang wird es (sehr langsam) dämmerig. Jetzt ist es im Osten nur noch blau und kalt. Die weissen Gipfel heben sich deutlich vom dunkelblauen Hintergrund ab.

Eine Stunde später gehe ich ins Bett, stehe aber dann mindestens jede zweite Stunde auf um nach den Bergen und den Sternen zu sehen. Der Ausstieg über mir im Schlafzimmer ist ein sehr praktischer Lookout! Am schönsten war es gegen ein Uhr. Da war das Maximum der Dunkelheit erreicht. Aber es war nicht dunkel, man sah, wo sich die Sonne hinter dem Horizont versteckt. Das sind die Anfänge der 'weissen Nächte'. Herrlich, wie die Berge im Blau durch das Weltall schwimmen. Deutlich zeichnen sich ihre Konturen vor dem Horizont ab. Mars und Jupiter sind deutlich zu sehen, der Grosse Wagen im Zenit. Ein ganz stark leuchtender Satellit fliegt über den Zenit. Und das alles bei völliger Windstille und größter Ruhe. Aber es ist kalt: Aussentemperatur Minus 2 Grad, Innentemperatur Null Grad. Da bedarf es schon eines ganzen Mannes, um aus dem warmen Bett zu kriechen und in die Sterne zu gucken! Gefroren habe ich Dank meiner CocaCola-Wärmflasche nicht. Aber ich musste mir den Kopf noch mit dem zweiten Kissen zudecken, die Kälte griff durch meine kurzen Haare.

Heute Morgen stehe ich gegen 9 Uhr auf. Klare Sicht, aber keine klare Sonne, sie versteckt sich hinter sehr hohen Wolken. Nach dem Frühstück mache ich meine erste Bergwanderung in Alaska. Ich steige über die Schneefelder zum nächsten Gipfel auf. Von der Position des Autos steige ich auf die linke Seite des Bergrückens, der von der Strasse direkt am Pass durchschnitten wird.
Eine herrliche Wanderung! Unbeschreibliche Rundumsicht. Die Geologie ist hoch interessant: Überall sind Schrammspuren der vorzeitlichen Gletscher auf dem Schiefer zu sehen. Eine karge Vegetation mit Moosen und Flechten, ganz ähnlich wie in Norwegen. Tierspuren von Elchen und von Murmeltieren. Gestern stand eines dieser putzigen Tiere, so gross wie eine Ratte, aufrecht auf der Strasse, ein anderes sass nur einen Meter entfernt von mir vor seinem Bau unter dem Schnee und fühlte sich deshalb sicher. Sie sind so gross wie ein Meerschweinchen, aber nicht so dick und sie besitzen einen breiten Schwanz, mit dem sie sich beim aufrechten Beobachten Ihrer Umgebung abstützen.

Gegen 11 Uhr muss ich bei herrlichem Wetter wieder runter ins Tal. In Valdez will ich auf keinen Fall die Fähre verpassen denn die nächste fährt erst in drei Tagen. Wenn ich Glück mit dem Wetter habe, dann folgt noch einmal eine solche Nacht, aber diesmal zur See !!

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