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Was ist heute noch privat?

Überlegungen nach der NSA-Affäre

 

   
Das Internet unter Kontrolle der NSA

Der Abhörskandal ist jetzt ungefähr drei Monate alt. 06.06.2013 – dieses Datum wird in die Geschichte eingehen. Es markiert den Tag, an dem die Washington Post und der Guardian erstmals Edward Snowdens Dokumente über das NSA-Spähprogramm PRISM veröffentlichten. Damit wurde Gewissheit, was viele schon geahnt haben: Wir werden bespitzelt und überwacht, sobald wir das Internet nutzen. In welchem Umfang aber die NSA im Verbund mit "befreundeten Diensten" das Internet anzapft und damit Freiheitsrechte und die Privatsphäre der Bürger verletzt, war vor dem 06.06.2013 kaum vorstellbar.

Nicht nur das Internet wird überwacht. Alles was mit dem Internet direkt oder indirekt verbunden ist, kann angezapft werden und es wird auch angezapft. Keine Software ist sicher, keine Verschlüsselung ist unknackbar, jeder hinterlässt mit seinen technischen Geräten Spuren. Passwörter sind keine mehr, Windows ist seit zehn Jahren mit TPM, einer Spionagesoftware, ausgestattet. Telefone wurden schon immer abgehört, Smartphones verraten auch, wo sich der Benutzer aufhält. Intelligente Stromzähler, der Smart-TV, die Camera mit WiFi und die Spiele-Konsolen (x-Box) verschaffen den Special Services mit Kamera und Mikrophon den direkten Zugang in die Wohnung. Der Gesichtsausdruck verrät ihnen unseren Gemütszustand.

Die Geheimdienste interessieren sich für alle digitalen Daten von jedem Bürger. Diese Dienste verfügen unbegrenzt über Geld und damit über alle technischen Mittel und Möglichkeiten, und sie werden weiter ausgebaut. Unvorstellbare Datenmengen werden gespeichert und bei Bedarf analysiert und gegen uns verwendet.

Der Kulturbruch der NSA liegt nicht in der Technik, sondern in der Zielstellung: Jeder Bürger weltweit, der das Internet benutzt, ist ein potentieller Terrorist. Diese Denkweise passt zu einer Diktatur, aber nicht in die Kultur der "Freien, westlichen Welt". Genau hier liegt der Verrat der Politik im Verbund mit den international ko- und operierenden Geheimdiensten: Mit der globalen Überwachung des Datenverkehrs durch NSA & Co, werden die hehren Werte von Freiheit, Pluralismus, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aufgegeben. Damit haben die Terroristen auf Dauer die ehemals "Freie Welt" besiegt ... Und das auch noch im Mutterland der Freiheit - In den USA! Wer hätte das noch vor fünf Jahren für möglich gehalten?! Mehr bei www.storyal.de ...

Das ist die Lage.

 

 

Spionage in Zahlen

"Machen Sie sich keine Sorgen, sagt die NSA, wir „berühren“ nur 1,6 Prozent des täglichen Internetverkehrs. Wenn das Netz, wie sie sagen, täglich 1.826 Petabyte an Informationen transportiert, dann „berührt“ die NSA also ungefähr 29 Petabyte pro Tag. Nimmt sie sie auf? Speichert sie? Analysiert sie?" Zitiert von www.freitag.de ...

Niemand kann sich mehr vorstellen, wie viel "1.826 Petabyte an Informationen" pro Tag sind. Aber man kann ausrechnen, wie viel Zwei-TB-Festplatten man benötigt, um diese Datenmenge zu speichern: 1 Petabyte = 10 hoch 15 Byte; 1Terabyte = 10 hoch 12 Byte - Also 913.000 Zwei-TB-Festplatten braucht man dazu. Bei 1,6 Prozent und 365 Tagen kommt man auf ein Speichervolumen von 5.332.000 2TB-Festplatten für ein ganzes Jahr.

Dieses Volumen ist riesig, aber heute technisch beherrschbar. Auch das Durchsuchen, Filtern und das Analysieren von Suchergebnissen ist machbar, wenn die Zahl 1,6 % der täglichen Datenmenge stimmt, was zu bezweifeln ist. Diese Überschlagsrechnung zeigt, dass es technisch durchaus möglich ist, mehr als den täglichen Datenverkehr in wesentlichen Teilen zu speichern und zu überwachen.

Das neue Datenspeicherzentrum der NSA in Bluffdale (sic!)/Utah soll eine Datenmenge von 5 Zetabyte (10 hoch 21) aufnehmen können. Das entspräche der Kapazität von 2.500.000.000 2-TB-Festplatten, also 2,5 Milliarden 2-TB-Festplatten (Fernziel = ein Yottabyte (10 hoch 24).

Man könnte auch sagen, dass sich statistisch etwa 3 Erdbewohner eine 2-TB-Festplatte bei der NSA teilen (Heute - Fernziel = x 1000 ...!). Mehr bei www.freitag.de ..., Kommentare beachten!
Hier wird das Yottabyte-Ziel infrage gestellt und relativiert: http://byggvir.de ...

 

 

Die Regierung Merkel:
Angeblich ahnungslos und tatsächlich ohne Konzept

Frau Merkel, immerhin die Bundeskanzlerin, hat von den Abhöraktionen der NSA angeblich erst aus den Medien etwas erfahren. Dem Innenminister, Herrn Friedrich, ging es ähnlich. Er flog schnell mal in die USA und kam mit der Gewissheit zurück: Es gibt keinen Abhörskandal, alles was die NSA macht, tut sie in Übereinstimmung mit Recht und Gesetz. Kanzleramtsminister Pofalla, direkt zuständig für die Kontrolle der Geheimdienste, erklärte vor dem Parlamentarischen Kontrollausschuss für die Geheimdienste, dass alle Fragen beantwortet und somit der NSA-Skandal beendet ist. So einfach ist das.

Bundeskanzler Schröder hat nach 9/11 offenbar die Büchse der Pandora mit seiner Erklärung zur "uneingeschränkten Solidarität" mit den USA geöffnet. Nie hätte ich als Bundeskanzler so eine Erklärung abgegeben! Auch Schröder war dazu nicht berechtigt, denn damit hat er deutsche Souveränitätsrechte aus der Hand gegeben. Genau so haben die USA offensichtlich diese Erklärung aufgefasst. Jetzt haben sie wahrscheinlich Innenminister Friedrich erstaunt gefragt: "Wo ist das Problem, denn wird zapfen die Leitungen doch mit Eurem Einverständnis an?!"

Die Regierung streitet nicht nur ab, von den Spionageaktivitäten etwas gewusst zu haben, sie unternimmt auch absolut nichts dagegen. Es gibt keine Aktivitäten, den Skandal aufzuklären, es gibt aber auch kein Konzept, wenigstens den Anschein zu erwecken, dass das Internet - und damit die Privatsphäre - durch Massnahmen der Bundesregierung sicherer gemacht werden könnte, und die Bürger vor dem Ausspionieren in Zukunft geschützt werden. Keinerlei derartige Aktivitäten sind bis jetzt erkennbar.

Die Bundesregierung kann sich so ein Verhalten leisten, weil sich die wenigsten Bürger dieses Landes für das Anzapfen des Internets durch NSA und andere geheime Dienste interessieren. Das Wahlvolk ist abgestumpft und wird sogar durch einen Skandal diesen Ausmasses nicht mehr überrascht. Man traut inzwischen der Politik alles zu und wundert sich nicht mehr. Ausserdem - Was soll man als Internetnutzer gegen die NSA ausrichten ...?!

Die öffentlichen Lügen und die Verharmlosung der flächendeckenden Spionage gegen das eigene Volk durch führende Politiker von Regierung und Opposition sind mehr als dreist und dafür verantwortlich, dass die Glaubwürdigkeit von Demokratie und Politik spätestens durch diesen Skandal irreparabel beschädigt worden ist.

 

 

Der Staat hat für Sicherheit zu sorgen, tut es aber nicht

"BZ: Sie müssten über den Innenminister irritiert sein. Der gibt das Problem der Datensicherheit an die Bürger zurück. Sie sollen sich selbst schützen. Gleichzeitig spricht er vom Supergrundrecht Sicherheit.
Rösler: ... Natürlich muss der Staat für die Sicherheit der Menschen sorgen, aber ein Supergrundrecht auf Sicherheit gibt es nicht. Grundrechte sind unserer Überzeugung nach Freiheitsrechte ... Zitiert von www.badische-zeitung.de ...

Richtig, es gibt kein "Supergrundrecht" auf Sicherheit. Aber Herr Rösler liegt falsch: Natürlich hat der Staat für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen! Zusätzlich: Die so hoch gelobten "Freiheitsrechte" hat der Staat zu schützen. Beispielsweise darf kein Polizist in Deutschland ohne Durchsuchungsbefehl eine Wohnung durchsuchen. Das gilt analog auch für den Post- und Datenverkehr. Wozu sonst "Datenschutz"?.

Der Staat ist also sehr wohl verpflichtet, die private Freiheit seiner Bürger = Privatsphäre zu schützen. Der Innenminister lenkt ab, wenn er den Bürgern die Verschlüsselung ihrer Daten empfiehlt. Die Verschlüsselung ist völlig sinnlos, wenn gleichzeitig der deutsche Staat der NSA in der Bundesrepublik Stützpunkte zur Verfügung stellt, wo mutmasslich Daten abgegriffen werden. Mutmasslich. Wozu sonst solche Stützpunkte?

Der einzelne Bürger ist gegen die Speicher- und Analysetätigkeit der Geheimdienste völlig machtlos. Der Nutzer kann prinzipiell seine Daten im Internet nicht schützen, weil die Dienste ganz andere technische Möglichkeiten als der normale Bürger besitzen. Wenn der Staat nicht seinen geheimen Diensten die Regeln diktiert und die dann auch strikt kontrolliert, unterwandern die Schlapphüte den Staat. Genau das ist in der Vergangenheit passiert und jetzt publik geworden. Und ich habe den Verdacht, das Eigenleben der Geheimdienste ist nicht mehr rückgängig zu machen: Dazu fehlt nicht nur der politische Wille, sondern auch die technische und die administrative Macht.

Damit hat der demokratische Rechtsstaat in der Bundesrepublik Deutschland bereits an zwei Stellen das Primat der Politik verloren: Einmal an die Wirtschaft und die Finanzindustrie und jetzt auch noch an die Geheimdienste. Dort liegt die reale Macht. Alle Macht geht vom Volke aus? Im Bundestag und bei den Wahlen werden Schaukämpfe aufgeführt. Die tatsächliche Macht liegt in ganz anderen Händen. Die Demokratie - Ein Schauspiel für das Volk, das die wahren Machtverhältnisse hervorragend verschleiert. Die NSA-Affäre beweist es. Erschreckend.

 

 

Wie schützen gegen NSA & Co

Mir war immer bewusst, dass es prinzipiell keine unüberwindliche digitale Sicherheitsschranke geben kann. Aber ich habe darauf vertraut, dass es einfach zu viele Daten sind und dass es zu komplex ist, diese Daten zu filtern und zu überwachen. Ausserdem ist es doch der blanke Wahnsinn, Zetabytes von Daten zu speichern, wenn 99,9 Prozent davon Datenmüll ist! Aber die NSA beweist mit ihrem Datenspeicherzentrum in Bluffdale/Utah, der Wahnsinn wird Realität, wenn man genug Geld in die Hand nimmt.

"Datamining" ist seit mehr als 25 Jahren ein IT-Spezialgebiet, in das auch viel Geld investiert wird für Verfahren, um riesige Datenmengen zu filtern und zu analysieren. Ursprünglich ging es darum, die Produktwerbung zu verbessern. Inzwischen geht es um Analyse und Überwachung des Verhaltens der Bürger ganzer Staaten! Die Suchverfahren wurden verfeinert und effektiviert. Heute ist es tatsächlich möglich, in einer unvorstellbar grossen Datenmenge in endlicher Zeit beispielsweise den Aufenthaltsort eines bestimmten Menschen zu lokalisieren. Unter einer Voraussetzung: Dieser Mensch hat zu diesem Zeitpunkt digitale Spuren hinterlassen und die befinden sich in der Datenbank ...!

Kryptographie ist eine uralte Wissenschaft. Durch die Digitaltechnik existieren heute ganz andere Verschlüsselungsmöglichkeiten, als vor dem Computerzeitalter gegeben waren. Gleichzeitig aber sind auch die Möglichkeiten der Entschlüsselung durch digitale Verfahren extrem gewachsen. Die 128.bit Verschlüsselung galt bisher noch als extrem sicher. Hochleistungsrechner und Spezialverfahren ermöglichen es aber inzwischen, auch diese Verschlüsselung zu knacken. Aber in den meisten Fällen ist das gar nicht nötig: Per Gesetzt wurden US-Firmen gezwungen, Hintertüren für die NSA in ihre Verschlüsselungssoftware einzubauen. Einfacher geht es wirklich nicht mehr! Grundsätzlich aber ist kein digitaler Code sicher, es ist nur eine Frage von Aufwand und Zeit, ihn zu entschlüsseln.

Daraus folgt: Es lohnt sich für den Normalo-Nutzer des Internets nicht, mit Verschlüsselungstechniken überhaupt anzufangen. Wenn ein Special Service digital in die Privatsphäre einbrechen will, wird er das schaffen. Es gibt keinen Schutz gegen NSA & Co.

 

 

Wo ist der Mensch noch privat?

Nach meiner Überzeugung ist die Privatsphäre im Internet unrettbar verloren. Der Rechts- und Kulturbruch der Geheimdienste unter Führung der NSA ist nicht mehr rückgängig zu machen. Deshalb existieren nur zwei Strategien zur Rettung der Privatsphäre:

 

(A) Nutzung alle Medien im Bewusstsein: Alle hören und lesen mit

Diese Strategie ist der Normalfall. Leider kann man sich in dieser technisierten Gesellschaft nicht mehr unbeobachtet bewegen. Damit muss man leben. Es existiert keine anonyme Privatsphäre mehr, sobald man mitten in einer Grossstadt in einer Wohnung lebt, die mit einem Internetanschluss versehen ist und mit technischen Geräten aller Art vollgestopft ist. Spione, die genug Aufwand treiben, digital in diese Wohnung einzubrechen, können auch mithören, was im Schlafzimmer unter der Decke gesprochen wird. Will man sich trotzdem unbelauscht unterhalten, muss man möglichst ausserhalb der Stadt ohne Handy, Radio oder Camera in Wald und Flur spazieren gehen.

 

(B) Konsequenter Verzicht auf alle technischen Geräte

Erstaunlich wie einfach es ist, der digitalen Überwachung zu entkommen: Man muss "nur" konsequent auf alles verzichten, was diese technisierte Gesellschaft so lebenswert macht: Alle Geräte, die Strom oder Batterien benötigen, sind vom Übel und werden aus der Wohnung verbannt. Um wirklich sicher zu sein, muss man sich im australischen Outback eine Hütte bauen und sich von Kängurus ernähren. Aber auch wer Telefon und Internet inclusive aller Geräte meidet, die darauf direkt oder indirekt zugreifen, ist für NSA & Co bereits weitestgehend unsichtbar. Er zwingt damit die geheimen Dienste, vom Computer aufzustehen und sich wieder konspirativ vor der Haustür zu postieren. Ganz altmodisch müssen dann die Spitzel mit den Mitteln der Stasi den Lebenswandel ihrer Opfer ausspionieren. Fünfzehn Prozent der deutschen Bevölkerung im Alter zwischen 16 und 74 Jahren waren noch nie im Internet. Überleben ohne Internet ist offensichtlich wirklich möglich!

 

Für die Täter, die schmierigen Spione, Agenten, Schlapphüte, Schnüffler, Zuträger, OM's und IM's aber bleibt nur Verachtung. Was müssen das für Menschen sein, die Verrat und Täuschung zu ihrem Beruf gemacht haben?! Auch die müssen lebenslang mit einem schlechten Gewissen leben, die ihr IT-Spezialwissen den geheimen Diensten zur Verfügung stellen. Sie alle lockt das Geld. Aber früher oder später wird ihnen dieses stinkende Geld im Halse stecken bleiben ... hoffe ich.

 

 

Links zu (Un-) Sicherheit im Internet

Das Ende von Demokratie und Pluralismus www.storyal.de ...

Angriffe auf die Freiheit des Internet www.storyal.de ...

Stop Watching Us: Jetzt gegen PRISM & Co kämpfen! www.chip.de ...

Zitate führender Politiker zu Sicherheit und Internet bei http://www.dradio.de ...

Heuchler gegen Ignoranten - Regierung und Opposition mit gegenseitigen Vorwürfen www.spiegel.de ...

NSA hört Einrichtungen der Uno, der EU und Botschaften ab www.spiegel.de ...

Die NSA lauscht auch von Frankfurt aus www.fr-online.de ...

Schweigen über NSA-Lauschposten in Wien wien.orf.at ...

US-Geheimdienst soll IT-Konzernen Millionen gezahlt haben www.spiegel.de ...

Belege für Verstrickung von Internetfirmen in Spionage www.zeit.de ...

Deutsche Geheimdienste in Afghanistan: 100 Jahre unermüdlicher Arbeit http://german.ruvr.ru

Britischer Geheimdienst Anzapfen von Unterseekabeln in Nahost www.focus.de ...

 

 

Jürgen Albrecht, 24. August 2013
update: 07.09.2013

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