BACK

 

VERSTÄNDIGUNGS-
SCHWIERIGKEITEN

24. Februar 1997, Montag, Hanoi

 

Heute haben unsere Lehrveranstaltungen richtig begonnen. Ein anstrengender Tag. Das Schwierigste ist, die vietnamesische Denkweise zu begreifen. Gegenseitig fehlt uns das einfachste Alltagswissen. Ein Problem sehr unterschiedlicher Kulturen.

Am Abend die dazu passende Story: Es ist 19 Uhr, wir wollen eine Pho (Suppe) essen gehen. Scharno hat in der Essenstraße eine besondere Küche entdeckt. Als wir da sind, ist es 19:10 und fast dunkel, der Laden hat schon zu. Wir gehen zurück und in die erste, vertrauenerweckende Garküche. Ganz seltsam: Hier versteht niemand unsere wenigen vietnamesischen Vokabeln (viel mehr als Suppe und Danke können wir sowieso nicht!). Sogar die Zeichensprache funktioniert in diesem Laden nicht! Die Frau versteht nicht mal, daß wir jeder eine Pho haben wollen. Als sie das nach vielen Versuchen gerade begriffen hat, kommt aus der Küche ein Junge mit gebratenen Nudeln, gedünstetem Gemüse und gebratenem Fleisch. Das sieht aber gut aus! DAS wollen wir haben, ZUSÄTZLICH zur Pho!

Das ist der Frau nicht klar zu machen. Jetzt geht sie davon aus, daß wir je eine Pho und einmal gebratene Nudeln haben wollen. Wir geben auf, nachdem wir mit Händen und Füßen zu zweit diskutiert haben und zeigen ihr jetzt, was wir für eine Pho haben wollen: Jeder eine! Erschöpft setzen uns auf die Plastikstühle im Haus, die Küche befindet sich draußen auf der Straße. Dort stehen auch Tische, einer ist leer, aber fünf oder sechs Schuhputzer lauern darauf, Scharno die Schuhe zu putzen, die es tatsächlich nötig hätten. In den ‚Laden' dürfen sie aber nicht rein. Ich bin mit meinen Super-Sandalen bei solchen Gelegenheiten immer gut aus dem Schneider.

Die Pho ist gut, wir sind zur Hälfte fertig, da kommen die gebratenen Nudeln mit Gemüse und Fleisch. Sie hat uns also doch verstanden!! Aber sie war nicht in der Lage uns das zu signalisieren. Konnte oder wollte sie es nicht ?! Ein kulturelles Problem. Trotzdem große Freude bei uns. Aber gleich folgt das nächste Verständigungsproblem:

Das Essen schmeckt vorzüglich, aber wie heißt es? Mit dem halb leeren Teller gehe ich zu der Chefin und versuche, ihr den Namen des Gerichts zu entlocken. Sie deutet meine verstümmelt ankommenden Signale so, daß wir das gleiche noch einmal essen wollen !! Verzweifeltes Gegensteuern: NEIN !! Ein Gast hat längst begriffen und ruft den Namen des Gerichts durch den Raum: XE MAU ... oder ähnlich. Ich gehe die zwei Schritte auf ihn zu, er spricht etwas English. 'Wir haben kein Problem, wir wollen von der Frau nur wissen, wie heißt das, was hier auf dem Teller ist?!' Der Gast spricht mit der Köchin, mit ihren beiden halbwüchsigen Kindern. Lächeln, Tuscheln, aber es sagt keiner, wie das Gericht heißt ...! Irgend etwas stimmt hier nicht, die Kommunikation funktioniert nicht wie sonst. Mehrfach frage ich den Mann, ob es Probleme gibt und warum: Kichern, nicht verstehen - ich gebe auf.

Wir essen den Rest, dann gehen wir bei der Chefköchin bezahlen. Die Frau, der Zeichen- und Körpersprache offensichtlich völlig unkundig, sagt etwas auf vietnamesisch. Der Englisch sprechende Gast übersetzt: 11.500 Dong pro Mann. Für das gute Essen angemessen, aber für diese Gegend hier viel zu teuer. Der Kommunikationsstress verteuert ganz offensichtlich das Essen um mehr als 50 Prozent.

Als wir bezahlt haben und beim Gehen sind, zeigt einer der halbwüchsigen Jungen auf ein Schild am Scherengitter: Dort steht in großen Buchstaben PHO XEMAU - das Gericht haben wir (wahrscheinlich ...!) gegessen. Was wie Bami Goreng zubereitet, aber anders gewürzt war, soll also eine Suppe gewesen sein ...? Mein Gott, wo sind wir hier und was ist heute los!? Gibt es hier Störsender, ist unser Signalsystem ausgefallen oder ist diese Welt hier wirklich so anders?

Auf dem Heimweg sagt Scharno: ‚Nie wieder Hanoi! Das hier ist die milde Form der Hölle!' Jetzt kauft er sich gegen meinen Protest Weintrauben: ‚Ich muß die sogar ungewaschen essen, damit ich endlich wieder Durchfall kriege und auf's Klo gehen kann!' Zweimal hat er es schon geschafft, für je einen Tag Dünnpfiff zu bekommen. Geschickte Dosierung.

Ein paar Tage später sind wir um 16 Uhr bei Van's Schwägerin verabredet. Wir laufen in diese Richtung, es ist nicht weit, höchstens 20 Minuten. Kein Mittag heute, keine Zeit, nichts gegessen. Eine alte Frau sitzt auf der Straße vor einem Topf mit siedendem Fett. Sie macht Banana-Pancake! Wir setzen uns hin, Foto, ich esse fünf, Scharno drei der herrlichen Bananen im Schlafrock - je 1000 Dong. Große Freude, als wir ihr einen 10.000-er Schein geben. Eine english sprechende Frau (ca. 40) lädt uns ein, in ihr Haus mitzukommen: ‚Sind Sie Single? Ich bin Single!' Ich sage ihr, daß ich leider schon eine Verabredung mit einer anderen schönen Frau habe, daß aber Scharno der richtige Mann für eine solche Gelegenheit ist und er hat auch gerade Zeit! Scharno aber ist diese Sache zu ungewiß und zu heiß. Außerdem hat er (wie ich) 700 Dollar in bar in der Tasche - auch er lehnt dankend ab. Sie verfolgt uns noch ein Stück, als wir gehen, weil sie angeblich den gleichen Weg hat. Prostitution in Hanoi auf offener Straße oder eine freundliche Frau, die ihre Englischkenntnisse (Lehrerin ist sie angeblich) an den Mann bringen möchte?! Die Sache ist ziemlich eindeutig.

In der Mittagspause bin ich ‚nach Hause' ins Hotel gelaufen. Auf dem Weg setze ich mich in eine Bierkneipe, schräg gegenüber dem Hotel an der Straße und bestelle mit meinem besten Vietnamesisch eine ‚Pho Ga' (Hühnersuppe) in Erwartung des Mittagessens. Erst werde ich nicht verstanden, dann Erleichterung im Gesicht der Dame, die mich bedienen will: ‚Pho Ga ??' ‚Pho Ga !!' sage ich erfreut, daß ich so gut verstanden werde. Kurze Zeit später steht eine Colabüchse auf meinem Tisch. Ich denke, na gut, das habe ich zwar nicht bestellt, aber ich bin müde, da ist eine Cola ganz angenehm. Ich warte zehn Minuten, ich warte eine Viertelstunde, aber mehr kommt nicht. Da wird mir klar: Es war nicht der richtige Tonfall, so wurde aus ‚Fooh Gaa' ...'Coo Laa ... !'. Vietnamesisch, sääh swähre Spackä!

 

26. Oktober 2002

 

BACK