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FAHRT ÜBER
DEN WOLKENPASS

18. Februar 1997, Dienstag, Hoi An

 

Scharno hat zum zweiten Mal Durchfall. Er hat in der Nacht entsprechend geschlafen und holt sich um 7:15 Medizin bei mir ab: Perenterol hilft. Ich gehe zum Frühstück. Der Banana Pancake ist sehr gut. Gegen 8 Uhr kommt ein Minibus und für 5 $/Person fahren wir damit über den Wolkenpaß nach Hoi An.

Zuerst geht es durch flaches Land, dann taucht auf der linken Seite das Meer auf. Nach 1 ½ Stunden machen wir in Phu Loc eine Pause. Ein sehr schöner Strand mit Aussicht nach rechts auf die Berge des Wolkenpaß. Scharnos Darm hat sich beruhigt. Er zieht sich die Schuhe aus und macht eine Strandwanderung. Ich ziehe es vor, einen Tee zu trinken.

Gegen 10:15 fahren wir weiter. Der Driver ist ein Sportsmann und gnadenlos gegen das Auto und gegen alle, die sonst noch auf der Straße sind. Er fährt nach europäischen Maßstäben extrem risikofreudig, schneidet fast alle Kurven und macht kurze, aber heftige Ausweichmanöver. Aber so fährt ein guter Driver hier und offensichtlich fährt er die Strecke täglich.

Jetzt geht es nach oben. Ein phantastischer Blick auf diese Bucht von Phu Loc, viele hochbeinige ‚Unterstände' im flachen Wasser. Was machen die Fischer damit? Unklar, aber es ergibt ein ganz tolles Bild. Aber leider nur im Kopf, wir fahren vorbei, ein Foto ist nicht möglich. Je höher wir kommen, desto schlechter wird die Sicht. Um 10:35 überqueren wir im Nebel (stilecht!) den Wolkenpaß.

Dann geht es runter nach Danang. Der Name ist mir aus dem Fernsehen zu Zeiten des Vietnamkrieges bekannt. Keine schöne Stadt, eine große Bucht mit vielen, auch großen Schiffen. Wir fahren ohne Halt durch und weiter in Richtung Hoi An. Ein weiterer Halt bei den Marble Mountains. Für 4 $ ersteige ich den Berg. Ein 14-jähriges Mädchen spielt Fremdenführer und erklärt mir alles. Interessant, aber nicht berauschend.

Nach einer halben Stunde geht es um 12:30 weiter und gegen 13 Uhr sind wir in Hoi An. Das empfohlene Hotel Huy Hoang ist gut für eine Nacht. Scharno legt sich zur Pflege seines Bauches ins Bett. Ich esse (viel zu teuer) in einem Traveller-Lokal und gehe dann zur Bank. 500 $ werden getauscht, ich brauche Geld, auch für die nächsten Tage in Hanoi. Alles funktioniert problemlos.

Anschließend gerate ich bei meinem ziellosen Spaziergang per Zufall in den großen, unübersichtlichen Markt am Hafen: Schöne Bilder vom Marktgewimmel, alle Leute mit spitzen Hüten. Die sind nötig, denn wie nicht anders zu erwarten, gibt es auch hier, hinter dem Wolkenpass, den berühmten Nieselregen, der einen auf Dauer völlig durchnäßt.

Ich laufe durch den alten Teil der Stadt, mache ein paar Bilder, auch in einem 120 Jahre alten Holzhaus. Ein freundlicher, älterer Herr führt mich durch sein Haus. Er spricht französisch, ich nicht, wir verständigen uns aber problemlos in English. Die Küche des Hauses ist sehenswert und heute noch in Betrieb (nicht nur hier). Ich darf ein Photo davon machen.

Dann ist es 15 Uhr und ich bin mit Scharno verabredet. Jetzt wollen wir endlich das fünf Kilometer entfernte Meer sehen, immerhin ist das Meer der Pazifische Ozean! Das Hotel verleiht Fahrräder. Wir finden jeder ein passendes und fahren 30 bis 40 Minuten durch eine schöne Gegend mit vielen Villen, die in blühenden Gärten stehen. Dann werden wir gestoppt: Die Fahrräder sind hier abzugeben, mit Fahrrädern darf keiner an die Beach, schon gar nicht, wenn er eine lange Nase hat! Nach zähen Verhandlungen mit den freundlichen, jungen Männern und nach Zahlung eines Wegezolls von 10.000 Dong dürfen wir mit den Fahrrädern weiter fahren. Noch 300 Meter und wir sind am Strand.

Eine junge Frau mit einer für vietnamesische Verhältnisse prächtigen Oberweite hat leichtes Spiel, uns in ihre Freiluftgaststätte zu locken. Sie hat ein großes Problem: Ihr Freund Willi aus Deutschland hat ihr gestern einen Brief in English geschrieben. Sie kann recht gut English, aber sie kann weder schreiben noch lesen! Wir sollen ihr unbedingt den Brief vorlesen - dafür bekommen wir auch Tee. Lisa (in Wirklichkeit heißt sie Suong) ist 19 Jahre jung, sehr munter und aufgeweckt, hübsch und neugierig. Willi aus Deutschland (29) war vor zwei Monaten hier. Sie verkaufte ihm Ananas und dabei hat es gefunkt. Drei Tage heiße Liebe, dann reiste Willi wieder ab. Das ist das Verhaltensmuster der Europäer.

Wahrscheinlich hat sich zwischen den beiden außer Herzklopfen, Händchen halten beim Sonnenuntergang und flüchtigen Küßchen wenig abgespielt (s.u.). Aus dem Brief geht das hervor und Lisa betont immer wieder: ‚He wasn't my Boyfriend, only my friend !!' Willi schreibt, wie er in Europa am Reichtum leidet, den er nicht hat, aber bei anderen sieht. Wie ihn alles ankotzt und daß er viel lieber mit Suong am Strand von Hoi An sitzen würde. Aber um in Zukunft auch Geld zu verdienen, muß er jetzt in der Schweiz studieren, leider weiß er aber noch nicht: WAS ?! Wessiprobleme: Alle müssen einmal wöchentlich zum Psychiater, um sich nicht vor die U-Bahn zu werfen.

Während wir Lisa den Brief vorlesen, fängt es richtig an zu regnen. Eine schöne Beach, klares, grünes Wasser, Sandstrand. Hohe Wellen und die rauschende Brandung des Pazifischen Ozeans. Draußen im Meer einige grüne Inseln in Sichtweite. Hier stehen ein paar Sonnenschirme und Bretterbuden. Wir sind mit vier bis sechs anderen Leuten die einzigen Badegäste. Jetzt ist hier fast noch Winter, keine Saison, nichts los.

Wir amüsieren uns mit Lisa und ihren Freundinnen. Tam (16), die wir als neunjähriges Mädchen einschätzen, besteht darauf, daß ich bei ihr eine Ananas kaufe. Ich bezahle 6.000 Dong und sie gibt freudig zu, daß ich für das Geld auf dem Markt in Hoi An zwei solche Ananas bekomme. Aber hier ist eben die Beach und bis hier her hat sie ja die Ananas schleppen müssen! Nach einer guten Stunde - der Regen hat fast aufgehört - große Verabschiedung mit Fotos. Das Foto: ‚Scharno liebäugelt mit Lisa' werden wir Willi schicken, der schickt es dann vielleicht an Lisa weiter: Ein globaler Kreisverkehr.

Wir fahren mit unseren Fahrrädern zurück nach Hoi An. Meine rote Regenplane wird vom Wind aufgeblasen wie ein Luftballon. Ein Fahrrad, ein Tag, eine Person, das macht 5.000 Dong. Wir bezahlen, es war ein schöner Ausflug. Gleich anschließend gehen wir Essen. Zwei hübsche Frauen bieten uns an, über Nacht einen Anzug für jeden von uns zu nähen. Sie sind Schneiderinnen und auf solche Geschäfte spezialisiert. Leider ... wir haben keinen Bedarf.

Wir spazieren durch die Altstadt und besichtigen Souvenirläden. Große Gongs und Glocken gibt es auch hier, aber nirgends gibt es so eine schöne und vor allen Dingen alte Glocke, wie meine. Ein interessantes Gespräch in einem Laden mit einem offensichtlichen Fachmann für antikes Porzellan. Sein bestes Stück ist eine 300 Jahre alte Eßschüssel, verziert mit Heuschrecken und der Signatur des ehemaligen Eigentümers als Diebstahlschutz. Importiertes chinesisches Porzellan, 160 mm Durchmesser, ca. 200 Dollar. Eine ähnliche Schüssel, vietnamesisches Porzellan, 120 Jahre alt, kann man für 120 Dollar haben. Das sind die Anfangspreise, da kann man sicher noch handeln. Ein sehr freundlicher, unaufdringlicher, gebildeter Herr. Hier gibt es viele solcher Läden, das Angebot sind meistens billige, neue Souvenirs. Es gibt nur wenige alte Stücke, aber es gibt sie noch zu recht annehmbaren Preisen. Dabei ist auch Porzellan aus einem vor 400 Jahren hier vor der Küste untergegangenen vietnamesisches Handelsschiff. Eine große Schüssel davon, ca. 180 mm Durchmesser ist schon für 25 Dollar zu haben.

Am Abend sitzen wir noch auf der Hotelterasse am Fluß, mit Blick auf den River und die steinerne Brücke. Scharno trinkt ein Bier, ich esse die Ananas von Tam. Helle Flecken auf dem dunklen Himmel: Was ist das? Der Mond über den Wolken, ist der wirklich so hell? Ja, ein paar Tage später stellen wir fest, daß schon wieder Vollmond ist.

Der Nachtportier (33) freut sich, daß er mit uns reden kann. Er hat eine Frau und zwei Kinder. Wir fragen nach dem Verhältnis zwischen Mann und Frau. Nach seiner Aussage gibt es in Vietnam praktisch keinen Sex vor der Ehe. Zusammen zu leben, ohne verheiratet zu sein, ist fast undenkbar, das wird von dieser Gesellschaft nicht akzeptiert. Wird eine alleinstehende Frau schwanger, dann ist das für sie und ihre Eltern ein riesiges Problem. Unverheiratete Vietnamesen zusammen in einem Hotelzimmer: Unmöglich. Ausländer mit einer Vietnamesin im Hotel: Verboten. Die Scheidung ist problemlos möglich, wenn beide Seiten danach wieder heiraten, auch das ist kein Problem. Jetzt ist klar, Lisa hatte und hat Herzklopfen, mehr war nicht möglich.

 

21. Oktober 2002

 

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