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PRIVAT UNIVERSITÄT
UND RÜCKFLUG

09. März 1997, Sonntag, Saigon/Hanoi

 

Gegen 6 Uhr war es aus mit dem Schlaf. Die ganze Nacht war unten auf den Straßen viel los. Um 6 Uhr aber standen mindestens acht Busse vor dem Hotel und hupten penetrant. Kinder und Jugendliche spielten Fußball auf der Kreuzung direkt unter meinem Balkon - offensichtlich waren die Straßen für den Verkehr gesperrt. Eine halbe Stunde später waren Busse und Menschen weg. Wahrscheinlich wurden die Leute zu Ehren des Frauentages aus der Provinz in die Hauptstadt gekarrt. Schließlich ist Vietnam offiziell immer noch ein sozialistisches Land. Jetzt machen die vietnamesichen Pioniere und FDJ-ler vielleicht eine Fahrt auf dem Saigon-River.

Ich stehe um 6 Uhr auf und sitze eine halbe Stunde später in dem schönen, hellen Frühstücksraum als erster der Gäste. Ich hole mir Ananas, Banana-Pancake und Tee. Dann habe ich hier die nötige Ruhe, um den Entwurf für das Memorandum zur Rechentechnik zu skizzieren, das ich der Hochschulleitung in Hanoi zum Abschied übergeben will. Scharno kommt gegen 7:15. Ich bin gerade fertig.

Wir frühstücken zusammen und stehen dann vor unserer Verabredung mit Prof. Ai auf der Freiluft-Terasse des Frühstücksraumes. Sonne, angenehme Temperaturen und nur mäßiger Krach von unten. Jetzt aber ist es Zeit, zu unserer nächsten Verabredung mit Prof. Ai zu starten.

Ein sehr interessantes Gespräch. Wir werden über die geplante Privat Universität informiert, die sich hier in HCMC in Gründung befindet und von der Gewerkschaft getragen werden soll. Ai ist sehr agil und lebhaft. Er empfängt uns im ‚Klub für Deutsche Wissenschaft und Technik' von HCMC. Er ist hier Gründungsmitglied und Vorsitzender. Wir reden fast zwei Stunden, er spricht sehr gut deutsch. Er erzählt ungefragt sehr viel und auf seine Sicht fixiert. Von uns will er fast nichts wissen, keine sachlichen Informationen, keine Kooperation, keine Ratschläge. Die hier entstehende Hochschule wird erst dann interessant, wenn zwei Jahre vergangen sind. Erst dann wird man wissen, was daraus geworden ist. Ai hat noch viele sozialistische Ideale, die er in die Marktwirtschaft retten will (u.a. keine Studiengebühren für Arbeiterkinder ...) Vielleicht haben wir später einmal Gelegenheit zu sehen, was aus den heutigen Utopien geworden ist.

Er kennt auch Prof. Bao, der in HCMC schon eine Privatuniversität betreibt. Leider ist es uns nicht gelungen, Prof. Bao hier zu treffen. Aber wir haben die Adresse. Auf alle Fälle ist nach dem Besuch in HCMC folgendes klar:
1. Es gibt auch hier Hochschulen, die gut ausgestattet und organisiert sind.
2. In HCMC ist der Boom noch größer als in Hanoi.
3. HCMC ist mehr westlich orientiert, als Hanoi.
4. Der Bedarf an qualifiziertem Computer Personal ist hoch, besonders im Bereich CAD.

5. Es gibt nur ein CAD-System in Vietnam: AutoCAD.
6.
DECOS ist ein hervorrragender Eisbrecher!

Wir sind 33.000 Fuß hoch, in einer Boing 767 auf dem Rückflug nach Hanoi. Planmäßige Landund 19 Uhr. Jetzt ist es 18:10, das Essen ist vorbei, draußen wird es dunkel. Es ist sehr diesig, keine Sicht, außer beim Start. Wir haben eine halbe Stunde Verspätung.

HCMC war interessant, es war die Reise wert. Wir haben von der Stadt einiges gesehen und haben einen Eindruck von dieser Boomtown gewonnen. Es gibt deutliche Unterschiede zu Hanoi: Wärmeres Klima, höhere Luftfeuchtigkeit, größer als Hanoi, mehr westlich orientiert, mehr Action. Die Menschen sind hier anders, freier, näher an Thailand. Hanoi hat eine tausendjährige Geschichte, Saigon existiert höchstens seit 300 Jahren. In Hanoi redet man abfällig über die ‚kulturlosen' Südvietnamesen. Und von Saigon aus leben in Hanoi noch die Kommunisten, die die Marktwirtschaft erst wieder lernen müssen.

Der Besuch der Tunnel von Cu Chi und der Ausflug in die Geschichte des Vietnamkrieges waren faszinierend. Gut war auch, daß wir gestern abend in Cholon gewesen sind. Ohne Cholon denkt man, die breiten, französischen Boulevards sind typisch für Saigon. Aber das stimmt nur für das Saigon der letzten 100 Jahre, davor und daneben gibt es auch hier das, was typisch für das ganze Vietnam ist: Bambushäuser, freundliche Menschen und Reisfelder. Der heutige Tag war weitestgehend vergammelt, von dem Besuch bei Prof. Ai abgesehen.

Unser Hotel war sehr gut. Es ist sehr angenehm, wenn es einen Balkon zum Heraustreten und zum Luftholen gibt, inklusive Aussicht. Das Frühstück war wirklich Spitze! Vergleichbar durchaus mit einem sehr guten Hotel in Europa. 100 DM/night ist für Vietnam sehr viel Geld, aber es war angemessen. Heute morgen war ich auch auf dem Dachgarten mit Bar und Swimmingpool. Das ist alles vergammelt und außer Betrieb. Aber es wird rekonstruiert und renoviert, spätestens in einem Jahr ist das ein wirklich gutes Hotel mit Frühstück auf dem Dach.

Um 19:04 landen wir in Hanoi. Zwanzig Minuten später habe ich meinen Rucksack und Scharno seine Tasche und wir gehen zu den Taxen. Die Taxifahrer schlagen sich fast um die Kunden! Wir vereinbaren mit einem sehr aufdringlichen Menschen: Zum Orient Hotel für 15 US$. Er sagt ja, während ein anderer neben uns her läuft und die gleiche Tour für 10 $ machen will. Trotzdem steigen wir in das Taxi des Mannes, mit dem wir uns auf 15 $ geeinigt haben. Nach höchstens fünf Minuten fängt der Mann während der Fahrt an, mit uns zu handeln. '18 $ muß ich haben, nur 18 $, nicht 20 $!!' Scharno sitzt vorn und sagt ihm, daß wir uns doch gerade auf 15 $ geeinigt haben. Der Mann spricht ganz gut English und geht uns auf die Nerven. Er fährt sehr schnell und riskant, dabei redet er ständig davon, wie wenig 15 $ sind. Wir lassen uns auf nichts ein und sagen kategorisch, er soll erst mal fahren und dafür gibt es dann 15 $.

Damit ist erst mal Ruhe und er fährt, aber er fährt wie ein Henker. Er macht das Radio laut an, um sich zu beruhigen. Er schlägt sich selber mehrfach mit der Hand auf die Backe und macht einen hoch nervösen, gehetzten Eindruck. Nie sind wir hier bisher so riskant mit einem Taxi gefahren. Hoffentlich kommen wir heil an. Wir sprechen uns ab, ihm keine Dollars zu zeigen, sondern ihm 160.000 Dong zu geben, die ich in der Tasche habe. Scharno soll noch 20.000 drauf legen, dann sind es rund 16 Dollar (1 $ = 11.000 Dong). Außerdem soll er in die Hoteleinfahrt fahren, erst wird das Gepäck ausgeladen und in der Rezeption werden wir ihm das Geld geben, da sind wir nicht alleine mit ihm.

So machen wir es auch. Wir sind froh, heil bis zum Hotel gekommen zu sein und geben ihm in der Rezeption das Geld. Als er die 180.000 Dong in der Hand hat, fängt er wieder an, daß er noch einige Dollars kriegen müßte. Ich sage ihm klipp und klar: Wir haben 15 $ vereinbart, er hat mehr als 15 $ bekommen und jetzt ist Schluß. Scharno greift in die Tasche und holt ein Bündel hervor, auch eine 50 $-Note flattert lose herum. Aus diesem Bündel pult er einen Dollar und gibt ihn diesem unsympathischen Driver. 'Der Mann ist kaputt, er tut mir leid!' Was soll man dazu sagen? Leider zählt Mitleid in der Marktwirtschaft überhaupt nicht, es geht nur um Leistung und Gegenleistungen. Und die Leistung des Drivers war zwischen sauschlecht und lebensgefährlich angesiedelt.

Anschließend packe ich aus und höre dabei in den Nachrichten der Deutschen Welle, daß es 4,7 Mio. Arbeitslose in Deutschland gibt und daß der teuerste Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik stattgefunden hat: Ein Castor-Transport (Atommüll). Das sind Probleme einer anderen Welt.

 

23. Oktober 2002

 

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