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DER MORGEN
ERWACHT IN HANOI

14. Februar 1997, Freitag, Hanoi

 

Gegen 6:30 stehe ich auf, mit dem Schlafen wird es jetzt nichts mehr. Rasieren, Duschen, Tee kochen. Es ist 6:50, als mir einfällt, ich könnte mich ja schnell mal auf der Straße umsehen: Wie wacht Hanoi am Morgen auf?

Ich gehe runter, an der Rezeption vorbei auf die Straße. Hanoi um 7 Uhr morgens: Wetter wie gehabt, bedeckt, keine Sonne, ca. 15 bis 16 Grad. Vereinzelte Fahrräder auf den Nebenstraßen vor dem Hotel. Alle Geschäfte sind hier noch zu. Scherengitter vor den Türen und Geschäftsfronten. Blumen werden mit Rikscha's angeliefert, der Blumenstand wird an der gleichen Ecke wie gestern aufgebaut. Auf der Hauptstraße Verkehr, aber höchstens ein Drittel des am Tage normalen Betriebs. Fahrräder, Rikscha's, Mopeds, wenige Autos. Jetzt kommt man gut über die Straße, sogar quer über die Kreuzung.

In der Nebenstraße beim Supermarkt sind die Marktgeschäfte schon voll im Gange: Hier ist jetzt Gemüsemarkt. Fahrräder mit zwei riesigen, geflochtenen Körben hinten an jeder Seite. Voll gepackt mit Kohlrabi, Blumenkohl, Zwiebeln und Salat. Auch mit Rikscha's werden jetzt keine Menschen, sondern Wagenladungen von Gemüse transportiert. Fast nur Frauen, viele mit den spitzen Hüten aus Reisstroh, beherrschen Transport und Handel. Einzelne kommen mit dem Fahrrad und kleineren Körben und verkaufen vom Fahrrad aus. Andere schaffen mehr Waren heran und breiten sie auf der Straße aus. Es gibt auch die Variante per pedes: Tragestange und zwei Körbe daran. Was da manchmal dran hängt, muß entsetzlich schwer zu tragen sein: 50 Kilo und mehr. Die minimale Marktvariante ist ein Korb mit Waren auf dem Kopf.

An der Ecke zur Hauptstraße eine ganze Fahrradreihe: Nur Blumen! Die Vietnamesen lieben Blumen und kaufen sie auf dem Weg zur Arbeit. Die Leute, die hier um 7 Uhr stehen, haben die Blumen 10 Kilometer vor der Stadt gegen 4 Uhr auf dem Feld geschnitten. Jetzt bringt eine solche Ladung vielleicht 10 US$, Blumen sind teuer. Wenn man das jeden Tag schafft, hat man 300 $ und das sind 280 $ mehr, als ein fest angestellter EDV-Mitarbeiter an der Hochschule für Industrielle Formgestaltung in Hanoi bekommen würde. Kein Wunder, daß der Spezialist nicht mehr da ist.

Gewürze gibt es gegenüber, eine gesonderte Reihe von Händlern: Spezialisierung. Kräuter, Peperoni, das meiste ist grün, aber es gibt auch getrocknete Gewürze. In der zweiten Reihe, an den Häuserwänden, wird das Obst angeboten: Apfelsinen, Äpfel, einheimische Bananen, Mangos, Tomaten, Weintrauben. Alles Dinge, die nicht am Morgen erst geerntet wurden. Das ist das stationäre Angebot in dieser Straße. Aber jetzt am Morgen hat das frische Gemüse vom Feld Vorrang. Hausfrauen, Suppenküchen und Restaurants (eine ganze Eßstraße ist gleich um die Ecke) versorgen sich hier für diesen Tag.

Wieviel Händler sind hier inzwischen versammelt? Mindestens 150 auf jeder Straßenseite. Lautes Gewusel, aber kein Marktgeschrei wie in Kreuzberg. Geschäftiges Treiben, alles spielt sich zu ebener Erde ab. Nur an den Häuserwänden gibt es Marktstände. Auf diesem Markt ist alles offensichtlich lange eingespielt und organisch gewachsen. Da wirkt es anachronistisch, wenn ein Polizist, stolz in billiger Uniform, von Zeit zu Zeit die Trillerpfeife ertönen läßt. Wozu? Wen meint er, was will er hier regulieren? Nichts ist hier für ihn zu tun, alle sind voll auf ihr Geschäft und die Kunden konzentriert, keine beachtet den Polizisten. Also steht er stolz neben seinem uralten Motorrad mit Beiwagen und pfeift ab und zu auf seiner Trillerpfeife. Mich lächelt er freundlich an und sagt das, was alle hier sagen, wenn sie ‚Langnasen' sehen: ‚Hello!!'

Ich hole meine Hose aus dem Hotel und suche nach einer Wäscherei in der Nähe. Mal sehen, wie das Wäschewaschen ohne Hotel funktioniert. Die nächste Wäscherei ist um die Ecke, keine 50 Schritte vom Hotel entfernt: 5000 Dong kostet das Waschen der Hose, um 17 Uhr ist sie fertig, heute natürlich. Im Hotel kostet die Hose einen Dollar = 11.000 Dong, das ist ein Gewinn von mehr als 100 % für den Hotelchef. Das Geschäft werde ich direkt mit der netten Frau von nebenan abwickeln. Wenn ich ihr ein gutes Trinkgeld gebe, ist das sinnvoller, als wenn der Hotelbesitzer an mir und an ihr verdient.

Inzwischen ist es 8 Uhr geworden, die Scherengitter werden aufgezogen. Riesige Blechkisten werden mit Rikscha's transportiert: Die Textilwaren mobiler Händler. Der Besitzer der Waren setzt sich noch auf den Gepäckträger und läßt sich auch noch fahren. Textilien werden jetzt mit langen Stangen an den Häuserwänden aufgehängt. Spätestens ab 9 Uhr sind alle mindestens für die nächsten 12 Stunden zu jedem Handel bereit.

Wir fahren zur Hochschule, denn heute beginnt der Umbau der Computer, den ich bei der Firma FTP in Auftrag gegeben habe.

 

21. Oktober 2002

 

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