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AUSFLUG
NACH MAI CHAU

10./11. Februar 1997, Montag/Dienstag

 

Es ist 7:30 Uhr im Dorf Mai Chau. Vor dem Stelzenhaus, in dem wir übernachtet haben, sitze ich an der Dorfstraße. Hier stehen Bänke und ein Tisch. Ein Bauer mit einem Wasserbüffel und einer Egge kommt vorbei. Ein zweiter. Sie kommen schon vom Feld zurück. Um 7 Uhr traf sich die Familie in der Küche, bei der wir hier zu Gast sind. Das Frühstück wird am Feuer vorbereitet. Die meisten (der wenigen) Touristen im Dorf schlafen jetzt noch.

Ein kleiner Junge steht vor dem Treppenaufgang des Stelzenhauses und hat seine Hose runter gelassen. Er pinkelt genußvoll und spielt mit seinem schönen Wasserstrahl. Die Mutter kommt von oben und freut sich, daß das so gut funktioniert. Ein Eimer wird in den Brunnen heruntergelassen, zwei größere Jungen bei der Morgentoilette mit der Zahnbürste. Feuer wird in den Häusern gemacht, der Tee ist schon fertig, die Familie versammelt sich zum Frühstück um die Feuerstelle. Auch die Oma, die kaum noch laufen kann und zu einem kleinen Kleiderbündel zusammengeschrumpft ist, schleppt sich in die Küche.

Die Häuser stehen auf dicken Baumstämmen, in ca. 2,70 m Höhe beginnt der Fußboden aus platt geschlagenem Bambus. Darauf werden geflochtene Matten aus Reisstroh gelegt. Durch die Ritzen des Bambusfußbodens werden alle Reste nach unten gekehrt, wo die Hühner schon darauf warten. Eine genial einfache Methode, um die Wohnung sauber zu halten. Das Haus hat ein Spitzdach, dicke Bambusstangen als Dachlatten, gedeckt mit Schilf. Für den Hausbau werden keine Nägel verwendet. Das Haus besitzt eine sehr große Grundfläche: Ca. 8 x 12 Meter. Diese große Fläche wird je nach Bedarf durch Tücher abgeteilt. Die einfachste Form eines Bettes ist ein Futon auf dem Bambusfußboden, gefüllt mit Schilfwedeln, und eine Decke zum Zudecken.

Über einer großen Fläche des Hauses sind Moskitonetze aufgehängt. Unter jedem würfelförmigen Moskitonetz eine oder zwei Matten und Decken: So hat man im Handumdrehen viele kleine Gästezimmer. So haben wir in der vergangenen Nacht unter einem Dach mit der hier lebenden Familie geschlafen. Die Eltern haben mit ihren Kindern auf einer erhöhte Fläche 2 x 2 Meter oder größer geschlafen, die mit Tüchern zugezogen werden kann. Jetzt werden die Fenster in den Bambuswänden geöffnet, die in der Nacht geschlossen waren.

Eine Küche ist separat angebaut, zu erreichen über einen kleinen Steg (Brandschutz!). Dort steht ein Sandkasten auf dem Bambusfußboden, rund herum laufen Bänke. Fertig ist die Feuerstelle. Katzen laufen herum. Sie lieben die warme Asche der Feuerstelle und sehen entsprechend aus. Über der Feuerstelle ist das Dach an zwei Seiten offen, damit ist der Rauchabzug und die Frischluftzufuhr gewährleistet. In der Küche gibt es Vorratstöpfe, Geschirr, eine große Schüssel, in der abgewaschen wird. Pfannen, Töpfe und Kannen sind kohlrabenschwarz. Sie werden nie abgewaschen und täglich durch das Feuer desinfiziert. Plastiktischdecken, niedrige Tische, nur 20 Zentimeter hoch, Sitzkissen und fußhohe Schemel, kleine Kunstwerke aus Bambus, mit Leder überzogen. Der einzige Brennstoff ist Holz, es gibt noch genug Wald in der Umgebung.

Jeder hat nach dem Aufstehen etwas zu tun. Die Mutter macht Frühstück. Die Kinder hängen die Tücher und Schals zum Verkauf auf Leinen vor dem Haus. Sie werden noch hier im Dorf gewebt. Die ersten Leute gehen mit kleinen Spaten schon auf die direkt um das Dorf herum liegenden Reisfelder. Der Laden gegenüber macht auf: Kekse, Bier, Souvenirs. Ein Hund reckt sich und gähnt. Seit Stunden krähen pausenlos die Hähne. Die ersten Touristen steigen die Treppe herunter. Die das Tal umgebenden hohen und steilen Berge sind noch in Wolken gehüllt, nur schemenhaft sind sie mehr zu ahnen, als zu sehen. Es weht ein leichter Wind. Es ist nicht kalt, aber auch nicht warm: 14 Grad zeigt mein Thermometer am Rucksack jetzt am Morgen.

Jetzt schälen sich auch die ersten Leute unserer Reisegruppe aus ihrer nächtlichen Verpackung. Es war so kalt, daß sich alle unter der leichten Decke noch die Anoraks angezogen haben. Ich habe hervorragend geschlafen. Ich konnte mich auch ausziehen, denn als einziger hatte ich meinen schönen Schlafsack mit. Er hat hervorragend funktioniert, ich mußte sogar unten den Reißverschluß aufmachen, es war sonst zu warm. Mit den Füßen wird auf diese Weise die Körpertemperatur geregelt. Ein Daunenschlafsack ist hier zu warm. Die Unterlage war sehr hart, aber auch daran kann man sich gewöhnen. Ein hartes, quaderförmiges Kissen für den Kopf, so groß wie ein Ziegelstein - sehr praktisch und angenehm. Gegen 4 Uhr war ein riesiger Krach: Alle Hähne des Dorfes krähten um die Wette! Nach einer Viertelstunde war dann wieder (relative) Ruhe.

Großer Andrang auf dem Stehklosett, das sich in einem Bambusverschlag neben der Küche befindet. Ein 'Bad' gibt es auch: Im Brunnen vor dem Haus hängt eine elektrische Pumpe, wird sie angeschaltet, läuft Wasser in große Gefäße aus Blech und Ton. Die unvermeidliche südostasiatische Schöpfkelle ist auch hier vorhanden und ersetzt Dusche und Badewanne. Der Fußboden im Bad ist aus weitmaschigem Bambus, das ist der Abfluß der Badewanne. Das alles funktioniert ideal, wenn es draußen 35 Grad warm ist. Jetzt aber ist es ein Härtetest, hier mit der Schöpfkelle zu duschen. Keiner kommt auf diese Idee.

Der Fernseher ist schon wieder eingeschaltet. Er wird bis zum Schlafengehen laufen, erst dann werden auch die Neonröhren an den Wänden wieder ausgemacht. Wer von den Kindern und Erwachsenen nichts Besseres vorhat, sitzt auf einer großen Matte vor dem Fernsehapparat.

Gestern und heute haben wir diesen Ausflug nach Mai Chau unternommen. Vier Stunden mit dem Bus von Hanoi entfernt in Richtung Norden. Erst sollten wir mit einer Gruppe von Amerikanern unterwegs sein, jetzt aber sind es vietnamesischer Yuppies geworden. Das ist deutlich angenehmer. Vierzehn Personen, junge, dynamische, aufstrebende Vietnamesen um die 30 Jahre, Akademiker aus Hanoi. Die Tochter von Ho hat die Reise organisiert. Für uns kostete sie 65 US Dollarpro Kopf. In Mai Chau lebt eine der vielen Minderheiten von Vietnam. Es sind Thais.

Man erkennt sie an ihren Bambushäusern auf Stelzen. Sie haben sich in ihrem kleinen Dorf, bestehend aus 10 bis 12 Häusern, auf Touristen spezialisiert. Familien laden 10 bis 15 Leute zu sich in das große Haus ein. Man kann hier mit den Einheimischen zusammen essen und wohnen. Noch ist das alles sehr naturnah und wenig gekünstelt.

Wir wandern über die Reisfelder inmitten eines tiefen Tals, klettern auf Hügel und laufen durch Buschwald. Auch hier sieht man kaum noch große Bäume. In den Kalkfelsen der Umgebung gibt es zahllose Tropfsteinhöhlen. Viele von den Stalagmiten und Stalagtiten sind zerschlagen oder abtransportiert. Sie werden in jeder Größe an der Straße nach Mai Chau zum Kauf angeboten.

Gestern saßen wir nach dem Abendbrot beim Feuer um einen großen Tontopf voll Wein. Viele Röhrchen aus Schilf o.ä. führten in den Topf und jeder konnte Wein saugen, so gut er konnte und soviel er mochte. Wir beiden Langnasen sangen den Vietnamesen etwas vor, als der Wein unsere Zungen gelöst hatte. Sie revanchierten sich mit ihren Trinkliedern. Es war ganz nett, die Unterhaltung in English klappte reibungslos, aber eine ausgelassene Partystimmung kam nicht auf. War es zu wenig Wein oder wieder ein Problem des unterschiedlichen Signalsystems? Wahrscheinlich sind wir für die jungen Leute viel zu alt und als ausländische Professoren viel zu ehrerbietig.

Gegen 22 Uhr war Ruhe im Hause angesagt. Die Moskito-Zimmer waren aufgebaut. Die Yuppies gingen noch in ein Nachbardorf, wo es Karaoke geben sollte. Bei diesem Ausflug wollten sie uns ausdrücklich nicht dabei haben. Aber nach einer Stunde waren sie auch schon wieder zurück, es kann nicht viel los gewesen sein.

Es war sehr angenehm, daß die Dorfbewohner recht unbefangen mit den Touristen umgingen und sich nicht durch Tänze, Bettelei o.ä. prostituierten. Sie haben außer der Landwirtschaft (Reis) und der Viehzucht (Büffel, Kühe, Schweine, Hühner) auch Handwebstühle, auf denen sie recht komplizierte Schals weben. Die verkaufen sie für 2 bis 5 Dollar das Stück. Ein Dollar für 4 bis 5 Stunden Arbeit am Webstuhl. Wir kaufen ein paar dieser schönen Tücher dort, wo wir sehen, daß auch wirklich gewebt wird. Kauft man solche Schals in Hanoi kann man nicht ausschliessen, daß sie in China industriell produziert wurden.

Die Tour war sehr interessant, vor allen Dingen, weil wir auch mit den Yuppies aus Hanoi ins Gespräch gekommen sind. Eine Architektin war dabei (Mss. Doan Trieu Minh). Sie arbeitet täglich 8 Stunden mit ... AutoCAD! Wir sollen sie unbedingt in ihrem Architekturbüro besuchen kommen. ( Vierzehn Tage später haben wir das auch geschafft.) Das Wetter war besser als sonst in Hanoi. Den ersten Tag haben wir sogar mit Sonnenschein erlebt. Vom Sternenhimmel aber war nichts zu sehen und es gab auch keine klare Sicht auf die schönen Berge. Schade.

 

01. November 2002

 

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