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TU DUC'S
HEILE WELT

17. Februar 1997, Montag, Hue

 

13:20 am Ufer des Perfume River nördlich von Hue. Scharno steigt als letzter in das Boot. Es schaukelt und wird mit einer langen Bambusstange vom Ufer in den Fluß gestakt.

Der Motor wird angeworfen, es geht zurück in Richtung Hue. Gerade haben wir ein regelrechtes Spießrutenlaufen hinter uns gebracht: Unzählige Händlerinnen wollten uns Bananen, Kaugummi, Nüsse und sich selbst verkaufen: ‚Take Foto!! One Dollar!'.

Händler stehen in dichter Reihe auf dem Weg zum Grabmal des Kaisers MINH MANG. In dieser Anlage sind künstlich angelegte Landschaften zu sehen. Die Gebäude sind stark verfallen, von Moos, Flechten und Stauden überwuchert. Der See und die mit höchstem ästhetischem Empfinden gestalteten Landschaft sind beeindruckend. Ein direkter Weg vom Auge zu den Emotionen. Man hat den Eindruck, daß für bestimmte Aussichtspunkte Bilder komponiert wurden, die unendliche Ruhe und Harmonie ausstrahlen. Wasser, alleinstehende Bäume, Spiegelungen, die Berge im Hintergrund - einfach phantastisch.

Noch eindrucksvoller, aber völlig anders ist die Anlage des Kaisers TU DUC. Hier hat er 1848 bis1883 gelebt (nur 153 cm groß, mit 104 Frauen und unzähligen Konkubinen) und sich eine eigene Welt geschaffen.

Beim Anblick dieser heilen Welt habe ich das erste Mal begriffen, was die chinesische und die japanische Naturreligion eigentlich zum Ziel haben: Die Harmonie und Perfektion der Natur zu bewundern. So, wie es hier gelungen ist, diese Harmonie in einer Landschaft (innerhalb einer hohen Mauer!) darzustellen. Das ist einmalig. Man kann es nicht beschreiben, das muß man sehen, fühlen und begreifen. Ich finde dafür keine Worte. Vielleicht erkennt man diese Perfektion auf den Fotos wieder. Unwahrscheinlich.

Trotzdem hatte ich den Eindruck, diese Anlage ist das Paradies der Fotografen. Jeder Blick ein absolut perfektes Motiv. Hier fotografiert man nicht, die Natur fotografiert sich selbst. Und immer wieder Details, Bonsais, Ornamente, Schnitzereien, eine von Efeu überwucherte Mauer. Alles sieht sofort anders aus, wenn man seinen Standort leicht variiert oder wenn sich das Licht ändert. Als wir diese Anlage besichtigten, war es bedeckt, dunkel und es hat teilweise sogar leicht geregnet. Sicher keine guten Fotos, aber ungeahnte Emotionen.

Wie muß das bei Sonnenschein und Wolken aussehen?! Und ein paar Wochen später, wenn hier alles blüht: Künstlich und künstlerisch überhöhte Natur. Gestern die Zitadelle und heute TU DUC: Die stärksten Eindrücke bisher in Vietnam.

Gestern sind wir von Hanoi nach Hue geflogen. Ein ganz gutes Hotel, geführt von einer Familie, sehr nette Schwestern an der Rezeption. Am Nachmittag ein Rundgang durch die alte Zitadelle, vorher über die Brücke in die Stadt. Markt, viele Leute, alle freundlich, Nieselregen, Schlamm.

Die Zitadelle ist beeindruckend. So ein großes Gelände, durch drei Kriege in diesem Jahrhundert verwüstet und zerstört. Weite, freie Flächen, wo ehemals das pralle Leben pulsierte. Ich werde an Babylon erinnert, das war eine ähnliche Situation, aber statt grün wie hier, war dort alles Khaki-gelb und braun.

Jetzt haben wir die fünf Attraktionen dieser Bootsfahrt hinter uns. Die letzte war ‚Bowl Shrine', wo die Könige ihr Wasser aus dem Fluß schöpfen ließen, eine tiefe Stelle im Fluß. Auch hier wollte man noch 22.000 Dong für die Besichtigung - der Gegenwert war nicht zu erkennen. Die anderen Sehenswürdigkeiten kosteten je 55.000 Dong (5 US$), das ist ganz schön viel Geld - für einen Vietnamesen.

Scharno und ich sind hier mit einem Japaner die einzigen Gäste an Bord. Ein Schiff, auf dem mindestens 15 Touristen gut Platz hätten. Ein mit Blech überdachtes Vorschiff, kaputte Scheiben, Vorhänge aus Plaste. Im hinteren Schiffsteil ist eine hölzerne Kabine aufgebaut. Dort lebt der Schiffer mit seiner Familie, direkt darunter rattert der Diesel. Viele solcher Boote sieht man auf dem Fluß. Große Familien wohnen so auf dem Wasser. Unser Schiff ist ein Touristenboot, gekennzeichnet durch einen Drachen am Bug. Davon gibt es in Hue vielleicht einhundert. Unser Schiffer hat Frau und Sohn (5) dabei. Auch der Knabe kann schon das Ruder halten.

Gegen 12:30 gab es ein Dinner. Es war gut, serviert auf einer Matte und dem Fußboden des Vorschiffs. Es war sehr reichhaltig und es hat gut geschmeckt und das für 2 Dollar. Die ganze Tour kostet 15 Dollar, egal wie viele Personen mitfahren. Sie geht von 8:30 bis 15:30 den Perfume River hinauf und wieder zurück.

Gerade hat sich der Skipper mit seinem Sohn zur ‚Ruhe' begeben. In eine Decke eingehüllt liegen die beiden direkt über dem ratternden Motor auf der Matte, auf der auch das Essen serviert wurde. Seine Frau steuert das Schiff den Fluß herunter, auf der rechten Seite, nahe dem Ufer. Die Landschaft ist abwechslungsreich: Gemüsefelder, Bäume, Bambus, Hütten, Menschen, Boote. In der Nähe sanfte Hügel, in der Ferne hohe Berge, die Spitzen in scharf abgegrenzten Wolken.

Auch hier ist der Himmel bedeckt - wie bisher immer - am hellsten ist es unter Mittag. Da gibt es auch keinen Nieselregen. Am Vor- und am Nachmittag senken sich die Wolken und es ist dunkel, die Luft ist voller feiner Wassertröpfchen. Wie schön muß das hier bei Sonne sein! Auch an diesen Ufern stand sicher einmal Urwald, Regenwald. Davon aber ist jetzt überhaupt nichts mehr zu sehen. Der Mensch hat auch hier ganze Arbeit geleistet.

Wenigstens ist das Wasser noch sauber. Man könnte baden, wenn es nicht zu kalt dafür wäre. Viele Fische, Krebse und Garnelen werden hier gefangen. Den Fang sieht man dann auf dem Markt wieder. Viel Leben ist auf dem Fluß. Boatpeople, Fischer, einzelne Leute mit spitzem Hut staken oder rudern mit einem Paddel ein schmales Boot. Touristenboote. Wenn es viele sind, dann sind hier heute 100 Touristen in beiden Richtungen unterwegs. Vietnam wird als Reise- und Touristenland gerade erst entdeckt. Kies und Sand werden vom Flußgrund in sehr schwerer Schürfarbeit von Hand nach oben geholt. Tief liegen die beladenen Kiesboote im Wasser. Teilweise ist diese Arbeit mechanisiert: Von Hand betriebene Winden, an denen sich mehrere Menschen abschinden, um den Schürflöffel an einer langen Stange nach oben zu ziehen.

Schwalben fliegen dicht über dem Wasser. Die Vietnamesen fangen und essen sie. Oder sie bieten die lebenden Vögel den Touristen für 2 Dollar das Stück an. Dafür dürfen sie die Tiere dann wieder frei lassen - makaber, aber auch dieses Geschäft funktioniert.

Zurück im Hotel installieren wir erst mal unsere Moskitonetze. In der vergangenen Nacht wurde ich mehrfach gestochen. Ein Nagel im Türrahmen und ein Stück Bindedraht (alles im Rucksack vorhanden) und die Nachtruhe ist gesichert. Scharno bekommt ein Netz vom Hotel. Ich zeige der netten Rezeptionsdame mein ‚Hochzeitsbett' und rate ihr dringend, solche Netze in jedem Zimmer zu installieren und gleichzeitig den Zimmerpreis um 10 % zu erhöhen.

Eine Stunde Ruhe bis 16:45. Anschließend laufen wir wieder über die Brücke zum Markt. Dort gibt es runde, braune, in Fett gebackene Kugeln, die eine Fleischfüllung haben und sehr gut schmecken. Eine ähnliche Sorte kleiner Kuchen wird auch noch angeboten: Aufgeplatzt, mit Sesam bestreut, sie schmecken noch besser.

Scharno will das Mädchen mit den Uhren noch einmal besuchen, mit der wir gestern schon geschäkert haben. Sie ist da, auch heute den gleichen, gelben Hut mit der Blume auf dem Kopf. Sie erkennt uns wieder, lacht und sortiert ihre Uhren. Ich bringe sie dazu, sich umzudrehen und dabei klaue ich ihr eine der schönsten Armbanduhren unter den Fingern weg. Begeisterung bei ihren Kollegen am Nachbarstand! Aber alles klärt sich schnell wieder auf - Spaß muß sein.

Auf diesem Markt gibt es viele Sorten von Bonbons und Keksen. Ich frage nach GINGER - keiner weiß, was das ist. Ginger ist ein sehr gutes Mittel gegen Halsschmerzen. Van hat es im Hause. Von ihm habe ich mir den vietnamesischen Namen aufschreiben lassen: MU'T GUNG. Ja, das kennt man, aber das haben wir nicht. Ein junger Mann hört das, führt uns zu einem Stand mit vielen Sorten getrockneter Früchte. Tatsächlich, hier gibt es auch Mu't gung! 500 Gramm für 10.000 Dong, nicht mal einen Dollar. Der junge Mann outet sich bei dem Handel als Cyclo-Besitzer. Er will uns mit seiner Rikscha ins Hotel zurück fahren.

Gut, aber erst müssen wir noch eine Suppe essen: Reis mit Fisch, scharf, aber sie schmeckt hervorragend. Wir sitzen auf sehr niedrigen Plastikhockern, unter einer Plasteplane. Mitten im Schlamm und mit anderen Gästen um einen heißen Topf herum. Es ist schon dunkel als wir uns beide in das Dreirad zwängen. Nur 10 Minuten dauert die Fahrt über eine Strecke, für die wir zu Fuß 25 Minuten gebraucht hätten. Eine Taxifahrt für 20.000 Dong.

Es folgt wieder eine Stunde Ruhe. Anschließend bringe ich den letzten Film weg - ich will die Kamera kontrollieren und bin neugierig auf die Bilder von Tu Duc. Dann ist es 19:45 und wir gehen zu dem Antiquitätengeschäft von gestern. Auf dem Weg dorthin sprechen uns Cyclofahrer an: Für 20.000 Dong wollen sie uns in das Nachtlokal ‚Apocalypse Now' fahren. Dancing und viele schöne, willige Frauen: ‚Nur 6Dollar für eine Stunde Bumsen!!' Um die jungen Männer los zu werden, verabreden wir uns für morgen 20 Uhr an der gleichen Stelle (da sind wir schon in Danang).

Nur so können wir in Ruhe die Antiquitäten bewundern gehen. Scharno will ein buntes, industriell gefertigtes Teegeschirr haben. Ich habe eine alte Glocke aus einem Tempel gesehen. Die Chefin, Ms. Ngoc Huy sagt, sie ist 70 bis 80 Jahre alt, die Glocke. Sie ist aus Messing und hat die Form einer großen Tasse ohne Henkel. Sie klingt phantastisch. Scharno kann nicht handeln und akzeptiert schnell, daß das Geschirr und ein Armreif aus einem Schildkrötenpanzer 15 $ kostet (sehr interessantes, gelb-schwarz geflecktes Material, aber die arme Schildkröte ...). Ich habe außerordentlichen Spaß am Handeln: Eine Uhr 37 $, die Glocke 35 $, eine geschnitzte Klapper aus schwarzem Eisenholz, ganz herrliches Material: 7 Dollar. Das alles hätte ich für 60 $ bekommen. Aber ich habe (Gott sei Dank) zu wenig Dollars mit auf diesem Trip. Für die Glocke aber reicht es, ich bekomme sie für 25 Dollar. Ganz zum Schluß, nach ellenlangen Reden und Verhandlungen. Fast Verzweiflung bei Ms. Ngoc Huy (gut gespielt). Ich gebe ihr 25 Dollar und je einen Dollar für jedes der zwei niedlichen Kinder (sie schlafen zwischendurch mal eine Runde im Schrank) und der Seelenfrieden ist wieder hergestellt.

Wir holen die Bilder ab. Auch hier arbeiten die Fotoläden lange, aber nicht die Nacht durch. Es sind zwei bis drei wirklich tollt Bilder von Minh Mang dabei: Luftwurzeln im Wasser mit Spiegelungen: Wunderbar! Hier war besseres Licht, als bei Tu Duc. Wir trinken noch ein Bier, essen eine Vegetables Soup in dem von Langnasen besetzten Café Mandarin. Dann laufen wir zurück ins Hotel. Gerade ruft Mss. Njet aus Hanoi an: Danke und beste Grüße, kein Problem hier. Wir bezahlen die Hotelrechnung - morgen ist Abreise - und gehen ins Bett. Nicht ohne vorher im Flur noch einmal die Glocke erklingen zu lassen: Man hört sie durch alle Türen hindurch in allen Zimmern des dreistöckigen Hauses!

 

21. Oktober 2002

 

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