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ABSCHLUSSFETE
UND ABREISE

13. März 1997, Donnerstag, Hanoi

 

Gegen 10 Uhr versammeln sich Studenten und Lehrer im Hörsaal - wieder nicht im großen Auditorium mit der weißen Büste von Ho-Chi-Minh. Dieser große Saal ist offensichtlich heilig wie eine Kirche! Scharno und ich setzen uns unters Volk, müssen aber gleich wieder nach vorne: Die temperamentvolle Sprecherin der Studenten - eine junge vietnamesische Frau mit brasilianischem Einschlag, groß und lebendig - überreicht uns rote Rosen und sorgfältig eingepackte Geschenke.

Um 10:20 hat es auch der Chef der Ausbildung (der Kommissar) geschafft, den Hörsaal zu erreichen, die Veranstaltung kann beginnen. Ho hält eine Rede: Große Aufgaben, viel Arbeit, gute Beziehungen zwischen Deutschland und Vietnam. Keine direkten politischen Phrasen. Dann sagt er unvermittelt: 'Und jetzt spricht Prof. Dr. Albrecht!' Darauf war ich nicht vorbereitet, aber es klappt. Spontane Reden sind immer die besten. Ich mache ein paar lustige Bemerkungen und diesmal funktioniert auch Luc, er kann gut übersetzen, wenn er will: Alle lachen und die Stimmung steigt, ist nicht mehr so steif. Ich bedanke mich für das grosse Interesse, das unsere Veranstaltungen gefunden haben. Nur zwei Wünsche bleiben offen: Die Studenten sollen nicht zulassen, daß die Tür zum Computer Labor wieder abgeschlossen wird und ich hoffe, daß wir mal wiederkommen können.

Anschließend werden mit Handschlag an die besten Kursteilnehmer die 'Urkunden' ausgegeben, je eine in Deutsch und in Vietnamesisch (wir haben sie gedruckt), alle mit großen, roten Stempeln. Danach bekommen die restlichen Leute ihre Scheine. Gute Stimmung, alle sind froh, daß jeder einen solchen Zettel bekommt, der mehr als 50 Prozent der Zeit anwesend war. So kann jeder das Gesicht wahren. Ganz wichtig in Vietnam. Spät, aber nicht zu spät fallen mir die Dolmetscher ein: Ich halte noch eine Rede und bedanke mich in aller Form bei ihnen. Außerdem entschuldige ich uns dafür, daß wir alle hier so mit Arbeit und Action genervt haben - 'Sicher haben wir damit die guten Sitten dieses Landes verletzt! Entschuldigung!' Großer Lacherfolg.

Inzwischen ist in der Eingangshalle die Tafel gedeckt. Wir haben auf unsere Kosten alle zu einem 'Europäischen Essen' eingeladen. Das entscheidende Kennzeichen: Es gibt keine Stäbchen, sonder DDR-Alu-Löffel! Die Tische sind gut eingedeckt: Toastbrot, Wurst in Bananenblättern, Bier, Cola, Schinken, Käse usw. Das ist von Ho`s Truppe (Verwaltung) sehr gut vorbereitet worden . Für 200 US$ können auf diese Weise mehr als 100 Personen bewirtet werden. Eine große, doppelte Tafel mit uns am Kopfende. Lockere Stimmung, eine schöne Fete, eine gute Stunde. Scharno und ich werden besonders von den Mädchen 'umschwärmt', langsam verlieren die Studenten ihre Scheu. Wir müssen sogar Autogramme geben - auf der Rückseite der DECOS-Bilder.

Um 16:30 hat tatsächlich der Rektor für uns Zeit, auch hier ist eine Tafel gedeckt. Essen und Bier, die Hochschulleitung ist komplett versammelt. Ho stellt noch einmal alle vor, bedankt sich. Wir sehen den Rektor hier das erste und das letzte Mal. Er hält eine Rede. Es hört sich sehr nach Sozialismus an: Laut und hohl, aber sehr freundlich. Scharno antwortet ihm, freundlich und unverbindlich. Dann sage ich auch noch was und bedaure es laut in dieser Runde, daß es keine Strategiediskussion über Design und Computer mit der Hochschulleitung gegeben hat, die wir mehrfach vorgeschlagen haben. Dafür überreiche ich jetzt dem Rektor mein Memorandum.

Der Rektor bedankt sich für unsere Hilfe und unsere Ratschläge. Jetzt aber ist das nicht der Kreis und der Zeitpunkt, sie zu erörtern, jetzt wird gefeiert. Mit großer und gekonnter Geste reicht er das Memorandum an seinen Sekretär weiter. Es wird viel Bier getrunken, der Rektor hat in der Tschechei studiert und ist seit dieser Zeit Spezialist für Pilsener Bier. Mit dem Bier wird er lauter und gesprächiger. Er spricht sogar etwas English.

Die Abteilungsleiter halten Reden. Sie weisen auf die alten (Misch-) Kulturen und die Lernfähigkeit der Vietnamesen in diesem Umfeld hin. Ich spreche von unseren Eindrücken aus Cu Chi: Damals intervenierten die Amerikaner mit Napalm, heute mit Dollars. 'Ich hoffe, daß Sie sich in der Marktwirtschaft genau so clever zur Wehr setzen werden, wie Sie es im Vietnamkrieg getan haben!' Damit treffe ich ihren Nerv und Ho bedankt sich mit bewegten Worten: 'Ja, man sieht, Ihr habt die vietnamesische Lebensart verstanden! Das nächste Mal wißt Ihr besser Bescheid!'

Es ist 17:45 und plötzlich haben es alle sehr eilig. Verabschiedung wie auf Kommando. Essen steht noch jede Menge auf dem Tisch, ungeöffnete Bierflaschen, aber alle wollen jetzt so schnell wie möglich gehen - Warum? Wohin? Das bleibt unklar. Wahrscheinlich ist jetzt ganz einfach Feierabend und da läuft ein völlig anderes Programm ab.

Am nächsten Morgen bringen uns Van und Ho mit unserem vielen Gepäck zum Flughafen. Auf der Fahrt erzählt Van lachend, daß gestern vier Studenten des 4. Studienjahres (nur das 5. Studienjahr durfte an den Computerkursen teilnehmen) beim Direktor für Ausbildung ein Antrag gestellt haben, Zutritt zum Computerraum zu erhalten. Auch sie wollen dort Computerkurse haben. Der Direktor fragte Van: 'Was machen wir nun??!' Van erzählt das strahlend und zufrieden. Besser kann unser Abgang hier nicht sein.

 

23. Oktober 2002

 

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