BACK

Eine weibliche Frau aus oberen Kreisen

   

 

FAZ Seite 48, 9. Oktober 2004, Nr. 236

 

Eine allermindestens 70-jährige Frau aus oberen Kreisen von Geisteswissenschaft und Geld, vermeintlich wirklich gut aussehend und tatsächlich weiblich, horcht in klassischem Landhaus über dem Rhein in Ruhe auf die leisen und die Zwischentöne. Warum hat die frühere Powerfrau, obschon vermögend und handverlesen, keinen Mann? Warum ist sie, wiewohl unbestimmbaren Alters und gelassen mit den Zinsen privatisierend, nicht zufrieden mit sich und ihrer Welt? Statt differenziert, kreativ und extrovertiert ihre Freiheit in vollen Zügen zu geniessen, will sie sich in die Abhängigkeit eines Mannes ohne Absonderlichkeiten aber aus bestmöglichen Kreisen begeben und mit ihm - obwohl bisher jung geblieben - herzerwärmend alt werden.

Warum so viele Illusionen? Da sie doch selbst in den allerbesten Kreisen zu Hause ist sollte sie wissen, dass es zwar Ästheten und Schöngeister zu Hauf gibt und Gourmets wie Sand am Meer. Bindungsfähigen Männer aber, die mit 65 Jahren bereits ihre Altlasten bewältigt haben, sind rar. Ihre tatsächliche Existenz ist prinzipiell infrage zu stellen. Absolut hoffnungslos aber scheint es zu sein, auf einen so gefühlsfähigen Mann zu hoffen, wie ihn sich die sehr weibliche, sehr schlanke und sehr blonde Frau in ihrem sehr romantischen Garten erträumt, der herzerwärmend, aber ohne seine lieb gewordenen Laster, alt werden möchte.

Diesen Mann müsste man erfinden oder von einem anderen Stern holen. In 100 Jahren kann man ihn vielleicht in einer Petrischale aus Stammzellen wachsen lassen. Aber auch wenn das endlich funktioniert, wie kann man dieses ideale männlichen Baby in wenigen Wochen 65 oder gar 79 Jahre alt werden lassen?

Die preußisch zuverlässige Inserentin bittet um aussagefähige Zuschriften mit konkreten Angaben. Die Geschäftsfrau erwartet Fakten, die vertraglich fixiert werden können. Liebevolle Verbundenheit wird nur als Bonus gewährt.

Wer wird ihr schreiben? Nur Männer aus ihren oberen, akademischen und handverlesenen Kreisen. Sie haben (vielleicht) alles, sie können (angeblich) alles und sie versprechen (mit Sicherheit) auch alles. Sie sind von unbestimmbarem Alter, behaupten wirklich gut auszusehen und jung geblieben zu sein. Natürlich sind sie differenziert und selbstverständlich kreativ. Nur eines vermögen sie trotz allen Vermögens nicht: Alleine mit sich und der Welt zufrieden zu sein.

Faszinierend sich vorzustellen, wie die mehr als 70-jährige, weibliche Frau, sehr jung und sehr blond, in Ruhe und Gelassenheit auf alte, angeblich jung gebliebene Männer trifft, die ihr Manko teilen: Aus den deutlich zu lauten, überdrehten Zwischentönen spricht Tristesse, Frustration, Weltschmerz und vor allen Dingen Einsamkeit. Wie die privatisierende Dame an nobler Adresse über dem Rhein sind diese exklusiven Männer dem Wahn verfallen, dass Seelenfrieden und Zufriedenheit durch Duplizierung der Vermögen, der besseren Kreise und der klassischen Werte, sowie durch die Minimierung der Altlasten und Absonderlichkeiten, erreichbar seien.

Was also ist der so weiblich extrovertierten Lady in liebevoller Verbundenheit und ohne jede Übertreibung zu raten? Rettung ist nicht von Vermögen und Unternehmertum zu erwarten. Geld, auch viel Geld, ist sehr nützlich, aber kein Garant für Zufriedenheit. Nur in den obersten Etagen der Geisteswissenschaften, wo die Bedeutung von Vermögen, Landhaus und Zinsen gegen null schrumpft, ist womöglich die existentielle Problemlösung zu finden, so es überhaupt eine solche gibt. Gelingt es, mit Vernunft und Wissenschaft über Erkenntnis und Einsicht sich selbst Gelassenheit und Wohlbehagen zu verschaffen, ist es danach ganz einfach, herzerwärmend alt zu werden - sogar allein.

Gelingt das aber nicht, bleiben nur die Lösungen übrig,
mit denen sich das gemeine Volk begnügen muss:
Fressen, Ficken, Fussball und Fernsehen.

 

Jürgen Albrecht, 10. Oktober 2004

BACK