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Die Illusion der Arbeitsmarkt-Reform

 

 

Hartz IV vom Bundestag beschlossen

Der Bundestag hat dem zwischen Regierung und Opposition vereinbarten Kompromiss bei der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum neuen Arbeitslosengeld II zugestimmt. Das Parlament billigte am Freitag (02. Juli 2004) in Berlin mit den Stimmen der rot-grünen Koalition und eines Großteils der Unions-Fraktion den Einigungsvorschlag des Vermittlungsausschusses.

Nach dem jetzt beschlossenen Gesetz stellt die Bundesregierung zur Entlastung der Kommunen statt der zunächst zugesagten 2,56 Milliarden Euro nun 3,2 Milliarden Euro als Vorauszahlung zur Verfügung. Ferner sieht der Kompromiss vor, 69 Städten und Gemeinden per Experimentierklausel zu ermöglichen, auf Wunsch allein die Betreuung der Langzeitarbeitslosen von der Bundesagentur für Arbeit (BA) zu übernehmen. Die Union wollte die Betreuung der Arbeitslosengeld-II-Empfänger ursprünglich komplett den Kommunen, die Regierung dagegen ganz der BA überlassen. Mehr ...

Hauptpunkt dabei ist vor allem die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosenhilfe zum neuen Arbeitslosengeld II. Das entspricht in Zukunft dann ungefähr der Höhe der heutigen Sozialhilfe. Außerdem soll eine Verbesserung bei der Vermittlung und Betreuung der rund 3,2 Millionen Langzeitarbeitslosen stattfinden. "Die Zusammenlegung zum künftigen Arbeitsgeld II ist der größte Schritt zur Veränderung der deutschen Beschäftigungspolitik", so Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement im Bundestag. Mehr ...

Gleichzeitig mit dem Hartz IV -Gesetz treten weitere Gesetze in Kraft, mit denen die persönliche Freiheit des Einzelnen eingeschränkt wird. In Deutschland entsteht ein Schnüffelstaat.

Quelle: Guter Rat 10/2004

 

Kritik der Sozialverbände

Vertreter der Sozialverbände haben vor "verheerenden" sozialen Folgen durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe gewarnt. Die Zahl der Armen in Deutschland werde durch das so genannte Hartz-IV-Gesetz von 2,8 auf 4,5 Millionen steigen, sagte der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Werner Hesse, der Chemnitzer "Freien Presse". Bei der Anwendung des Gesetzes will die Bundesagentur für Arbeit (BA) die Vermögensverhältnisse von Arbeitslosen notfalls auch per Hausbesuch überprüfen. Mehr ...

Heftige Kritik an der Hartz-Reform übte der Sozialverband Deutschland (SoVD). Besonders kritisch sehe er die Auflage, wonach Langzeitarbeitslose auch ihre Lebensversicherung aufbrauchen müssen, sagte der Präsident des SoVD, Adolf Bauer. Es sei "kurzsichtig und unsinnig", diese Altersrücklagen anzugreifen, sagte Bauer. Auf diese Weise produziere die Reform eine neue Altersarmut. Die Betroffenen müssten im Alter voraussichtlich Sozialhilfe in Anspruch nehmen.

Der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, warnte ebenfalls vor den Folgen der Reform. "Wir gehen davon aus, dass es eine halbe Million mehr Kinder in der Sozialhilfe geben wird." Schon jetzt müssten eine Million Kinder von Sozialhilfe leben. Auch die Details der Gesetze bezeichnete Hilgers als verheerend. So gebe es künftig keine einmaligen Beihilfen für Kinderbekleidung oder Einschulung mehr, sondern nur noch pauschalierte Beträge. Er habe die "ganz große Sorge, dass wir in die alte Fürsorge- und Almosenpolitik zurückfallen", sagte der Präsident. Mehr ...

 

Armer Staat - keine Jobs und kein Geld

Aus meiner Sicht geht es bei den 'Hartz-Gesetzen' vorrangig um die Minimierung der Kosten der Arbeitslosigkeit. Alles andere ist Augenwischerei, denn mit dieser 'Reform' wird nicht ein Arbeitsplatz geschaffen, vom steigenden Aufwand der Verwaltung der Arbeitslosigkeit abgesehen. Das aber traut sich kein Politiker dem Wähler zu sagen, denn es ist keine Perspektive in Sicht. Die hohe Arbeitslosigkeit in Deutschland (und der EU) ist strukturell bedingt und in erster Linie eine Folge der Globalisierung. Die Globalisierung verlagert Arbeit dorthin, wo sie am billigsten ist. Das erzeugt gerade auch in den wohlhabenden Ländern Massenarbeitslosigkeit und massive Steuerausfälle. Ein armer Staat aber kann kein sozialer Staat mehr sein.

Dieser Teufelskreis ist real und seit Jahren für jeden erkennbar. Aber kein Politiker will dem Wahlvolk diese schlechte Nachricht überbringen. Regierung und Opposition reden um den heissen Brei herum. Im Gegenteil, sie vermitteln mit der 'Arbeitsmarkt-Reform' den Eindruck, sie hätten Lösungen für diese Probleme. In Zukunft wird man den Arbeitslosen (wie in den USA) einreden, dass sie selber Schuld sind an ihrer Arbeitslosigkeit. Und zu einem grossen Teil stimmt das sogar. Wer sich selber nicht bewegt, hat nichts mehr zu Lachen. Die Arbeitslosen werden finanziell unter Druck gesetzt, 'jede zumutbare Arbeit' anzunehmen. Gleichzeitig soll die Arbeitsvermittlung deutlich verbessert werden - das aber ist Aktionismus und Illusion. Ein Arbeitsvermittler soll ab 2005 nur noch für 45 Arbeitslose zuständig sein, jetzt betreut er bis zu 180 Arbeitslose. Was aber soll ein Arbeitsvermittler vermitteln, wenn landesweit Jobs abgebaut und Arbeitsplätze ins Ausland verlagert werden?!

Ich bin für offene Worte und die Wahrheit in aller Konsequenz: Hartz IV heisst im Klartext: Deutschland muss auf Dauer mit einer hohen Sockelarbeitslosigkeit leben und der Staat hat kein Geld mehr, die Arbeitslosen in der bisherigen Weise zu alimentieren. In absehbarer Zukunft wird es in Deutschland immer weniger Arbeitsplätze geben, egal wie viele staatliche Vermittler tätig werden. Deshalb wäre es nur folgerichtig, die staatliche Arbeitsvermittlung einschliesslich aller Arbeitsämter komplett abzuschaffen. Milliarden Euro sind damit jährlich einzusparen. Dieses Geld wird dringend in den Kommunen gebraucht, denn hier muss die Sozialhilfe organisiert werden ... solange es noch etwas zu verteilen gibt.

 

Worum es wirklich geht - Ein Kommentar

DIE ZEIT (gekürzt): Es ist das Ende einer langen – und lange gemeinsam gepflegten Lebenslüge, die über Jahrzehnte den Gewerkschaften und den Arbeitgebern das Leben ungemein erleichtert hat. Sie haben als Tarifpartner, frei von staatlicher Bevormundung, die Preise für Arbeit festgelegt. Die Arbeitslosen haben sie bei der Bundesanstalt für Arbeit abgeliefert. Die hatte ursprünglich den Auftrag, aus den Beiträgen der Arbeitslosenversicherung jene zu unterstützen, die ohne Job waren. Seit Mitte der siebziger Jahre aber bauen wir einen stetig wachsenden Sockel der Massenarbeitslosigkeit auf. Die Beiträge der Arbeitslosenversicherung reichen längst nicht mehr aus, die Kosten der Massen- und der Langzeitarbeitslosigkeit zu decken. Also springt seit langem der Staat in die Lücke, was nichts anderes bedeutet: Den Arbeitgebern und den Gewerkschaften werden die sozialen Kosten ihrer unsozialen Arbeitspreispolitik durch den Staat abgenommen.

Und was passiert jetzt? Jetzt ist Schluss mit lustig. Nach dem Konzept von Hartz IV müssen nicht nur die Empfänger von Sozialleistungen möglichst schnell vermittelt oder qualifiziert werden. Die Tarifpartner müssen nun endlich auch an die künftigen Arbeitslosen denken, die sie selber miterzeugen – an deren Zorn, Wut und Enttäuschung.

Ergänzung von Al: Diesen Paradigmenwechsel haben nicht etwa deutsche Politiker bewirkt. Die Globalisierung erzwingt ihn. Weder Brand noch Kohl haben die Folgen der Globalisierung richtig eingeschätzt (... die Rente ist sicher!). Kohl hat der Globalisierung mit der Einführung des Euro sogar Vorschub geleistet. Schröder hat wenigstens erkannt, was nicht mehr länger zu verheimlichen ist: Der Staat steht vor der Pleite. Die Globalisierung dreht ohne jede Alternative dem Sozialstaat den Geldhahn ab. Jede Regierung ist dagegen machtlos, egal welche Partei oder Koalition am Ruder ist.

 

Wie überleben trotz Globalisierung ?

Die Globalisierung der Wertschöpfung ist die eigentliche Ursache der Arbeitslosigkeit in Deutschland und Europa. Die Globalisierung ist nicht aufzuhalten. Jeder Politiker phantasiert, der in den nächsten Jahren eine Verringerung der Arbeitslosigkeit in Deutschland verspricht. Er verbreitet höchstens Optimismus.

Deutsche im arbeitsfähigen Alter tun gut daran davon auszugehen, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland zunimmt, der Staat über immer weniger Geld verfügen wird und der Sozialstaat am Ende ist. Wie kann man trotz Globalisierung überleben: Hilf Dir selber, erwarte nichts von anderen und erst recht nichts vom Staat. Glaube keinem Politiker! Kein Politiker kann Dir einen Arbeitsplatz verschaffen. Alle Politiker reden nur und wollen wiedergewählt werden, um ihren gut bezahlten Job zu behalten.

 

Hilf Dir selber

  • Frage Dich, welche Arbeitsplätze prinzipiell nicht von Deutschland ins Ausland verlagert werden können (Gepinkelt wird immer ...).
  • Hohe Qualifikation ist eine Arbeitslosenversicherung - aber keine Gewähr für einen Job.
  • Ziehe ins deutsche Kernland, der Osten Deutschlands ist auf Dauer chancenlos.
  • Suche Dir eine(n) finanziell potente(n) Partner(in), das verdoppelt das Budget.
  • Setze Kinder in die Welt und sorge für Dein Alter.
  • Mach' eine Firma auf. Mit Arbeit kann man sich zwar über Wasser halten, Geld verdienen aber kann man nur dadurch, dass man andere für sich arbeiten lässt.
  • Folge den Arbeitsplätzen ins Ausland. Verkaufe alles was Du in Deutschland hast und profitiere vom Wertgefälle, zum Beispiel in Südostasien.

 

 

NACHTRAG: Die Hartz-Hysterie

Ein Artikel im SPIEGEL 33/2004, Seite 22: Die grosse Hartz-Hysterie
Deutschland in Angst: Die geplanten Sozialkürzungen versetzen nicht nur die wirklich Betroffenen in diffuse Untergangsstimmung. Die Strategen von CDU und FDP gehen bereits auf Distanz - zu sich selbst. Hauptprofiteure der lustvoll geschürten Panik ist die PDS.

Kommentar Al: Die Sozialleistungen verschlechtern sich für die Arbeitslosen, die Bezieher von Sozialhilfe aber werden teilweise besser gestellt. Hartz IV bedeutet eindeutig Sozialabbau. Im europäischen Massstab liegen die deutschen Sozialleistungen inzwischen am unteren Ende der Leistungsskala. Aber solange es überhaupt noch etwas zum Verteilen gibt, ist für Panik kein Anlass. Irreführendes Wunschdenken aber ist die Behauptung, dass mit Hartz IV Arbeitsplätze geschaffen werden. Dieser Umbruch verdient nicht den Namen 'Arbeitsmarktreform', denn Hartz IV schafft keine Jobs, sondern erhöht den Leidensdruck. Mehr Schwarzarbeit wird die Folge sein.

Diese Regierung besitzt kein Konzept gegen die Arbeitslosigkeit. Sie belügt die Wähler und ist nicht einmal in der Lage, handwerklich ordentlich zu arbeiten. Merkel & Co. sind genau so unfähig, von der PDS ganz zu schweigen. Das eigentliche Dilemma: Wenn der Staat keine Steuern mehr einnimmt, gibt es auch nichts zum Verteilen. Wenn es keine Jobs mehr gibt, ist also die dringlichste Frage: Wo bekommt der Staat Geld her? Es ist ja jede Menge Geld da, der Staat hat nur keinen Zugriff darauf. Eine grundlegende Steuerreform, von der nicht ein Politiker redet, ist alles entscheidend für den Massenwohlstand in Deutschland.

Hier einige Bilder aus dem Spiegel-Artikel, die an detaillierten Beispielen zeigen, was wirklich passieren wird.

 

Noch ein Nachtrag ...

Die Titelstory des SPIEGEL 34/2004, Seite 22: Das verunsicherte Volk
Deutschland im Hartz-Fieber: Was die Regierung als 'grösste Sozialreform' der Bundesrepublik preist, empfinden die Betroffenen als Sozialabbau ohne Beispiel. Die Angst vor dem Absturz treibt die Menschen auf die Strasse (Montagsdemonstrationen) - doch zu den Reformen gibt es trotz Fehler keine Alternative.

9,3 Prozent hört sich gut an.
Im Juli 2004 aber beträgt die Arbeitslosigkeit in Sachsen-Anhalt 20,7 Prozent.
Durchschnitt für die ostdeutschen Länder: 18,7 Prozent
Das sind die offiziellen Zahlen.
In Wirklichkeit sind heute mindestens 30 Prozent
der arbeitsfähigen und arbeitswilligen Bevölkerung im Osten Deutschlands arbeitslos!

 

Jürgen Albrecht, 03. Juli 2004
update: 08.11.2007

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