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Helmut Kohl und die Stasi Akten


Am 4. Juli 2001 erhielt Helmut Kohl Recht. Er hatte vor der 1. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin gegen die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes der ehemaligen DDR geklagt (VG 1 A 389.00). Damit konnte er verhindern, dass die Bundesbeauftragte ihn betreffende Unterlagen des Staatsicherheitsdienstes für die Forschung, politische Bildung oder für die Verwendung seitens der Medien zugänglich macht. Seine Klage stütze sich auf § 32 Abs. 1 Nr. 3 des Stasi-Unterlagen-Gesetzes vom 20. Dezember 1991 (BGBl. I, S.2272), der wie folgt lautet:

(3) Personenbezogene Informationen dürfen nur veröffentlicht werden, wenn die Personen, über die personenbezogene Informationen veröffentlicht werden sollen, eingewilligt haben, oder es sich um Informationen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder Amtsträger in Ausübung ihres Amtes, soweit sie nicht Betroffene oder Dritte sind, Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes, soweit es sich nicht um Tätigkeiten für den Staatssicherheitsdienst vor Vollendung des 18.Lebensjahres gehandelt hat, oder
Begünstigte des Staatssicherheitsdienstes handelt und durch die Veröffentlichung keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen der genannten Personen beeinträchtigt werden.

Der SPIEGEL urteilte: 'Das Gericht gab mit dem Urteil dem Opferschutz Vorrang vor dem öffentlichen Interesse an der Aufklärung der Stasi-Arbeit. Eine zehnjährige Praxis der Stasi-Akten-Behörde wird damit als unrechtmäßig eingestuft. Das Amt hatte seit seiner Gründung 1991 Akten über Prominente herausgegeben, so weit sie nicht die Privatsphäre der Betroffenen verletzten. Kohl hatte als Chef des Bundeskabinetts jahrelang selbst die Rechtsaufsicht über die Behörde.'

In letzter Instanz untersagte der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts am 08. März 2002 die Herausgabe der Dokumente an Journalisten und Wissenschaftler durch die Stasiakten Behörde (BVerwG 3 C 46. 01). Damit wies das Gericht die Revision der Bundesbeauftragten für die Stasi Unterlagen, Marianne Birthler, zurück. Der Aktenstreit war beendet. Entscheidend für die Bestätigung des ersten Urteils war der Opferschutz. Bei diesem Streit geht es letztlich um zwei Fragen: Wer ist Betroffener, wer Begünstigter? Und: Geht der Opferschutz auch über die Privatsphäre hinaus? Die deutschen Gerichte haben Kohl und mit ihm allen 'Betroffenen' maximalen Opferschutz zugebilligt. Auch die Tatsache, dass so nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter geschützt werden, wurde in Kauf genommen.

 

 

 

Dieser Gerichtsbeschluss hatte drastische Folgen. Seither liegen über 2.000 Anträge von Wissenschaftlern und Publizisten praktisch auf Eis, die sich mit Personen der Zeitgeschichte befassen. Die Stasi Unterlagen sind in grossen Teilen nicht mehr zugänglich. "Betroffene oder Dritte" sind letztlich fast alle, mit denen sich die Stasi beschäftigt hat. Damit wurde der Forschung zur Aufarbeitung der DDR Geschichte eine wesentliche Grundlage entzogen.

Nicht nur die Arbeit der Gauck Behörde wurde stark eingeschränkt. Ausstellungen wurden geschlossen, Publikationen aus dem Verkehr gezogen, auch die Homepage der Behörde (www.bstu.de) wurde praktisch zensiert. Ein Beispiel zeigt, wie weit die Konsequenzen dieses Urteils gehen: Eine WebSite beschäftigt sich unter dem Titel STASIOPFER mit der Aufarbeitung von MfS Unrecht. Vom Infoarchiev dieser Seite führte ein Link zur Mfs Mitarbeiterdatenbank. Der Berliner 'Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit' hat jetzt diesen Link mit der Androhung von Freiheitsstrafe oder Geldbuße bis zu 250.000 € gekappt. Ein ehemaliger Stasizuträger hat als 'Betroffener' Opferschutz reklamiert und für 'Informationsfreiheit' gesorgt.

Nur noch der Bundestag kann jetzt durch eine Gesetzesänderung die gegenwärtige Praxis des Umgangs mit den Stasi Unterlagen korrigieren. Am 26. April 2002 fand eine Anhörung von Experten im Innenausschuss des Bundestages statt. Danach zeigten sich offiziell alle Parteien einig darin, dass der jetzige Zustand unhaltbar ist. SPD und Grüne wollen das Gesetz noch vor den Bundestagswahlen im Herbst ändern. So eilig hat es die CDU nicht. Viele CDU/CSU Abgeordnete halten den Streit um die Stasi Akten mangels Sachkenntnis für eine "linke Verschwörung". Auch wenn Frau Birthler eine 'Grosse Koalition der Vernunft' fordert, eine schnelle und wirkungsvolle Novellierung des Gesetzes ist fraglich.

Der Streit um Kohl's Stasi Akten wirft ein sehr seltsames Licht auf die deutsche Justiz. Helmut Kohl verletzt mit seinem Ehrenwort in der CDU Spendenaffäre eindeutig geltendes Recht. Er wird weder in Beugehaft genommen, noch verurteilt, sondern darf sich mit 300.000 DM freikaufen. Trotz öffentlichem Rechtsbruch gilt er vor Gericht als ein nicht vorbestrafter, unbescholtener Bürger. Jetzt wird dem Historiker Kohl noch in letzter Instanz bescheinigt, dass der Schutz seiner Privatinteressen wichtiger ist, als die historische Aufarbeitung der DDR Diktatur und die Enttarnung der Stasi Täter.

Recht hat offenbar mit Gerechtigkeit und dem 'gesunden Menschenverstand' nichts zu tun. Alle sind gleich, nur ein paar sind gleicher. Wasser auf die Mühlen der Politikverdrossenheit.

Jürgen Albrecht, 28. April 2002

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Wie geht's weiter ??

09. Juni 2002: Kein Konsens in Sicht

05. July 2002: Der Bundestag hat gestern die Novelle des Stasi-Unterlagen-Gesetzes verabschiedet. In der neuen Fassung des Gesetzes ist die Abwägung zwischen den Interessen der Opfern und dem Informationsrecht der Öffentlichkeit präziser geregelt. Die Entscheidung über die Herausgabe von Akten liegt (wie bisher) bei der Stasi-Unterlagen-Behörde von Marianne Birthler.

Eine unerwartet positive Regelung. Aber Kohl geht in Revision und bis zum Bundesverwaltungsgericht.

 

 

27. Juli 2004:

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