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3. Einstieg in die Religion 4/5

Statistik

Nasser war ein gläubiger Muslim, aber er hatte kein Interesse daran, Religion und Politik zu vermischen. Das erschien ihm rückständig. Genau das aber taten kleine islamische Parteien, die Nassers Aufstieg zur Macht unterstützt hatten. Die wichtigste von allen, die Muslim Bruderschaft, begann sich ihm entgegenzustellen, oft mit Gewalt. Nasser zerschlug sie 1954, sperrte mehr als 1000 ihrer Anführer ins Gefängnis und exekutierte sechs von ihnen. Einer der Eingesperrten, Sayyid Qutub, ein zerbrechlicher Mann mit einem feurigen Federhalter, schrieb ein Buch im Gefängnis 'Signposts on the Road' (Wegweiser). Dieses Buch markiert den Beginn des politischen Islam oder den Beginn dessen, was oft als 'islamischer Fundamentalismus' bezeichnet wird.

In diesem Buch bezeichnet Qutub Nasser als einen respektlosen Muslim und sein Regime als nicht mit dem Islam vereinbar. Er ging noch weiter, alle modernen arabischen Regime sind ebenso schlecht und unislamisch. Qutub stellte sich einen besseren Staat vor, eine tugendhafte Politik, die auf strikter Einhaltung islamischer Prinzipien basiert. Ein hehres Ziel für orthodoxe Muslime seit 1880. Als die Regime des Nahen Ostens in den zehn Jahren nach Nasser repressiver wurden und sich keine wirtschaftlichen Erfolge einstellten, nahm die Attraktivität des Fundamentalismus zu. Ihr Einfluss wuchs, weil die Muslim Bruderschaft und ähnliche Organisationen vor allen Dingen versuchten, der Bevölkerung einen Sinn für ihr Daseins in einer sich ändernden Welt zu geben. Kein Führer des Nahen Ostens hat versucht, etwas ähnliches zu tun.

In seinem grundlegend Werk 'The Arab Predicament (Zwangslage)', erklärt Fouad Ajami: 'Der Ruf der Fundamentalisten hat Resonanz, weil er Männer einlädt mitzumachen, selber etwas zu tun. Das steht im Kontrast zu allen politischen Kulturen, die ihre Bürger nur zu Zuschauern machen. In einer unsicheren, verwirrenden Zeit, schafft persönlicher Kontakt in vertrauter Umgebung Sicherheit.' Die Fundamentalisten gaben den mit ihrem Los unzufriedenen Arabern, eine kraftvolle, oppositionelle Stimme.

Die arabische Welt ist eine politische Wüste ohne wirklich funktionierende politische Parteien, ohne freie Presse, wenig Raum für unterschiedliche Meinungen. Als Folge davon wurde die Moschee zu einem Ort der politischen Diskussion. Und die fundamentalistischen Organisationen haben mehr zu bieten, als nur Reden. Von der Muslim Bruderschaft bis zu Hamas und Hizbullah, erbringen alle Leistungen im Sozialwesen: Medizinische Hilfe, Beratung, temporäre Wohnunterkünfte. Für alle, die ein öffentliches Sozialwesen befürworten ist es beunruhigend zu sehen, dass im Nahen Osten diese intoleranten Gruppen als kommunale Sozialwesen in Erscheinung treten.

Der islamische Fundamentalismus bekam 1979 einen gewaltigen Schub, als Ayatolla Khomeini den Schah von Iran absetzte. Die iranische Revolution zeigte, dass ein kraftvoller Führer in der Lage war, für Gruppen der Gesellschaft zu handeln. Ausserdem war dabei zu beobachten, dass in einer angeschlagenen Gesellschaft sogar fortschrittliche Kräfte - Bildung und Technologie - im Aufruhr verteufelt werden können.

Bis in die 70-er Jahren hinein waren die meisten Muslime des Nahen Ostens Analphabeten und sie lebten in Dörfern und Städten. Sie praktizierten eine Art von Strassen-Islam, der sich sehr den lokalen Gepflogenheiten angepasst hatte. Pluralistisch und tolerant beteten diese Leute oft Heilige an, gingen zu kleinen Altären, sangen religiöse Lieder und erfreuten sich an religiöser Kunst. Alle Technik ist im Islam unerlaubt (Im Iran war man in dieser Beziehung nicht ganz so streng). Aber in den 70-er Jahren begannen die Muslime, ihre angestammten Wohngegenden zu verlassen und ihre religiösen Erfahrungen waren nicht mehr an einen speziellen Ort gebunden. In der gleichen Zeit lernten sie lesen und sie stellten fest, dass von den Fundamentalisten ein neuer Islam gepredigt wurde. Ein abstrakter Glaube, nicht verwurzelt in historischen Erfahrungen, dafür aber puritanisch und basierend auf der Auslegung des Koran. Das war Hoch-Islam, im Gegensatz zum Strassen-Islam.

 

Ayatollah Khomeini benutzte eine sehr nützliche Technologie - die Audiokassette. Seine Reden wurden damit im Land verbreitet und sie wurden das Vehikel der Opposition gegen das repressive Schah-Regime. Aber Khomeini benutzte nicht allein die Sprache des Islam als ein politisches Werkzeug. Intellektuelle, desillusioniert von der halbherzigen oder überschnellen Modernisierung, die ihre Welt in Unordnung brachte, schrieben Bücher gegen die 'Westvergiftung' und nannten die modernen Iraner - halb im Westen, halb im Osten - entwurzelt. Gestandene Intellektuelle, oft schrieben sie vom Komfort von London oder Paris, wurden Kritiker des amerikanischen Säkularismus und seiner Konsumkultur und verlangten nach einer islamische Alternative. Als solche Theorien in der arabischen Welt kursierten, wurden Alternativen nicht von den Ärmsten der Armen eingefordert, für die der Westen eine magische Anziehungskraft hatte (Essen und Medizin). Nach islamischen Alternativen schrien die halbgebildeten Horden, die in die Städte des Nahen Ostens strömten, auf der Suche nach Bildung oder einem Job im Westen.

Der Islam ist in grossen Teilen eine egalitäre Religion, aber er hat auch eine grosse Anziehungskraft für Leute, die sich schwach und kraftlos fühlen. Seit Sayyid Qutub handeln die Fundamentalisten mit dem, was nicht zu greifen ist. Sie fragen, ob die Leute 'gute' Muslime sind. Gleichzeitig scheint es so, als ob kein Muslim die Autorität zur Beantwortung der Frage besitzt, was einen 'redlichen' Muslim auszeichnet. Diese Frage erfüllt die muslimische Welt mit Angst. Und hier kommen wir zum Versagen nicht nur der Regierungen, sondern auch der intellektuellen und sozialen Eliten. Moderate Muslime kritisieren nur sehr zögerlich und vorsichtig den Fanatismus der Fundamentalisten. Wie die moderaten Menschen in Nordirland haben sie Angst, offen ihre Meinung zu sagen.

Den schlimmsten Park mit dem Teufel aber haben die Monarchisten am Persischen Golf abgeschlossen, besonders Saudi Arabien. Die Saudis haben sich auf ein gefährliches Spiel eingelassen. Um von den Schwächen im eigenen Land abzulenken, haben sie religiöse Schulen und Zentren gegründet, die eine rigide, puritanische Form des Islam verbreiten - den Wahhabismus. In den letzten 30 Jahren sind aus den von den Saudis gegründeten Schulen Zehntausende von halbgebildeten, fanatischen Muslims hervorgegangen, die mit grossem Misstrauen auf die moderne Welt und die Nichtmuslime blicken. In ihrer Weltsicht ist Amerika das grösste Übel.

Dieser exportierte Fundamentalismus hat nicht nur die arabischen Gesellschaften infiziert, sondern auch Länder ausserhalb der arabischen Welt, wie zum Beispiel Pakistan. Während seiner elfjährigen Herrschaft suchte der Diktator Zia ul-Haq nach Alliierten. Er fand sie in den saudischen Fundamentalisten. Mit der Hilfe saudischer Finanziers und Funktionäre errichtete er im ganzen Land Koranschulen (madrasas). Sie waren für ihn temporär hilfreich, aber sie haben die soziale Struktur Pakistans unterhöhlt.

Wenn es einen entscheidenden Grund für das Erstarken des islamischen Fundamentalismus gibt, dann ist es das totale Versagen der politischen Institutionen in der arabischen Welt. Die muslimischen Eliten haben ihre Augen vor der Realität verschlossen. Konferenzen in islamischen Zentren diskutieren immer noch lieber über den 'Islam und seine Umfeld', als die Fehler der gegenwärtig herrschenden Regime heraus zu arbeiten. Während die moderate Mehrheit mit anderen Dingen beschäftigt war, wurde der Islam von einer fanatischen Minderheit vereinnahmt und vergiftet. Leute, die brutale und verächtliche Einstellungen zu Frauen, Bildung, Wirtschaft und dem moderne Leben generell vertreten. Ich habe das in Indien erlebt, wo ich aufgewachsen bin. Der reiche, farbenfreudige, pluralistische und lebensfrohe Islam meiner Jugend hat sich in ein mürrischen, puritanischen Glauben verwandelt, überwacht von einfallslosen Theokraten und religiösen Kommissaren.

Der nächste Abschnitt handelt davon, wie die Vereinigten Staaten der islamischen Welt helfen können. Aber wenn die Muslims nicht selber die Leute stoppen, die ihre Religion pervertieren, wird ihnen niemand von aussen beistehen können.

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