| Nasser war ein gläubiger 
            Muslim, aber er hatte kein Interesse daran, Religion und Politik zu 
            vermischen. Das erschien ihm rückständig. Genau das aber 
            taten kleine islamische Parteien, die Nassers Aufstieg zur Macht unterstützt 
            hatten. Die wichtigste von allen, die Muslim Bruderschaft, begann 
            sich ihm entgegenzustellen, oft mit Gewalt. Nasser zerschlug sie 1954, 
            sperrte mehr als 1000 ihrer Anführer ins Gefängnis und exekutierte 
            sechs von ihnen. Einer der Eingesperrten, Sayyid Qutub, ein zerbrechlicher 
            Mann mit einem feurigen Federhalter, schrieb ein Buch im Gefängnis 
            'Signposts on the Road' (Wegweiser). Dieses Buch markiert den Beginn 
            des politischen Islam oder den Beginn dessen, was oft als 'islamischer 
            Fundamentalismus' bezeichnet wird. In diesem Buch bezeichnet Qutub 
            Nasser als einen respektlosen Muslim und sein Regime als nicht mit 
            dem Islam vereinbar. Er ging noch weiter, alle modernen arabischen 
            Regime sind ebenso schlecht und unislamisch. Qutub stellte sich einen 
            besseren Staat vor, eine tugendhafte Politik, die auf strikter Einhaltung 
            islamischer Prinzipien basiert. Ein hehres Ziel für orthodoxe 
            Muslime seit 1880. Als die Regime des Nahen Ostens in den zehn Jahren 
            nach Nasser repressiver wurden und sich keine wirtschaftlichen Erfolge 
            einstellten, nahm die Attraktivität des Fundamentalismus zu. 
            Ihr Einfluss wuchs, weil die Muslim Bruderschaft und ähnliche 
            Organisationen vor allen Dingen versuchten, der Bevölkerung einen 
            Sinn für ihr Daseins in einer sich ändernden Welt zu geben. 
            Kein Führer des Nahen Ostens hat versucht, etwas ähnliches 
            zu tun.  In seinem grundlegend Werk 'The 
            Arab Predicament (Zwangslage)', erklärt Fouad Ajami: 'Der Ruf 
            der Fundamentalisten hat Resonanz, weil er Männer einlädt 
            mitzumachen, selber etwas zu tun. Das steht im Kontrast zu allen politischen 
            Kulturen, die ihre Bürger nur zu Zuschauern machen. In einer 
            unsicheren, verwirrenden Zeit, schafft persönlicher Kontakt in 
            vertrauter Umgebung Sicherheit.' Die Fundamentalisten gaben den mit 
            ihrem Los unzufriedenen Arabern, eine kraftvolle, oppositionelle Stimme. 
             Die arabische Welt ist eine politische 
            Wüste ohne wirklich funktionierende politische Parteien, ohne 
            freie Presse, wenig Raum für unterschiedliche Meinungen. Als 
            Folge davon wurde die Moschee zu einem Ort der politischen Diskussion. 
            Und die fundamentalistischen Organisationen haben mehr zu bieten, 
            als nur Reden. Von der Muslim Bruderschaft bis zu Hamas und Hizbullah, 
            erbringen alle Leistungen im Sozialwesen: Medizinische Hilfe, Beratung, 
            temporäre Wohnunterkünfte. Für alle, die ein öffentliches 
            Sozialwesen befürworten ist es beunruhigend zu sehen, dass im 
            Nahen Osten diese intoleranten Gruppen als kommunale Sozialwesen in 
            Erscheinung treten. Der islamische Fundamentalismus 
            bekam 1979 einen gewaltigen Schub, als Ayatolla Khomeini den Schah 
            von Iran absetzte. Die iranische Revolution zeigte, dass ein kraftvoller 
            Führer in der Lage war, für Gruppen der Gesellschaft zu 
            handeln. Ausserdem war dabei zu beobachten, dass in einer angeschlagenen 
            Gesellschaft sogar fortschrittliche Kräfte - Bildung und Technologie 
            - im Aufruhr verteufelt werden können.  Bis in die 70-er Jahren hinein waren die meisten Muslime des Nahen Ostens Analphabeten und sie lebten in Dörfern und Städten. Sie praktizierten eine Art von Strassen-Islam, der sich sehr den lokalen Gepflogenheiten angepasst hatte. Pluralistisch und tolerant beteten diese Leute oft Heilige an, gingen zu kleinen Altären, sangen religiöse Lieder und erfreuten sich an religiöser Kunst. Alle Technik ist im Islam unerlaubt (Im Iran war man in dieser Beziehung nicht ganz so streng). Aber in den 70-er Jahren begannen die Muslime, ihre angestammten Wohngegenden zu verlassen und ihre religiösen Erfahrungen waren nicht mehr an einen speziellen Ort gebunden. In der gleichen Zeit lernten sie lesen und sie stellten fest, dass von den Fundamentalisten ein neuer Islam gepredigt wurde. Ein abstrakter Glaube, nicht verwurzelt in historischen Erfahrungen, dafür aber puritanisch und basierend auf der Auslegung des Koran. Das war Hoch-Islam, im Gegensatz zum Strassen-Islam. |  Ayatollah Khomeini benutzte eine 
            sehr nützliche Technologie - die Audiokassette. Seine Reden wurden 
            damit im Land verbreitet und sie wurden das Vehikel der Opposition 
            gegen das repressive Schah-Regime. Aber Khomeini benutzte nicht allein 
            die Sprache des Islam als ein politisches Werkzeug. Intellektuelle, 
            desillusioniert von der halbherzigen oder überschnellen Modernisierung, 
            die ihre Welt in Unordnung brachte, schrieben Bücher gegen die 
            'Westvergiftung' und nannten die modernen Iraner - halb im Westen, 
            halb im Osten - entwurzelt. Gestandene Intellektuelle, oft schrieben 
            sie vom Komfort von London oder Paris, wurden Kritiker des amerikanischen 
            Säkularismus und seiner Konsumkultur und verlangten nach einer 
            islamische Alternative. Als solche Theorien in der arabischen Welt 
            kursierten, wurden Alternativen nicht von den Ärmsten der Armen 
            eingefordert, für die der Westen eine magische Anziehungskraft 
            hatte (Essen und Medizin). Nach islamischen Alternativen schrien die 
            halbgebildeten Horden, die in die Städte des Nahen Ostens strömten, 
            auf der Suche nach Bildung oder einem Job im Westen.  Der Islam ist in grossen Teilen 
            eine egalitäre Religion, aber er hat auch eine grosse Anziehungskraft 
            für Leute, die sich schwach und kraftlos fühlen. Seit Sayyid 
            Qutub handeln die Fundamentalisten mit dem, was nicht zu greifen ist. 
            Sie fragen, ob die Leute 'gute' Muslime sind. Gleichzeitig scheint 
            es so, als ob kein Muslim die Autorität zur Beantwortung der 
            Frage besitzt, was einen 'redlichen' Muslim auszeichnet. Diese Frage 
            erfüllt die muslimische Welt mit Angst. Und hier kommen wir zum 
            Versagen nicht nur der Regierungen, sondern auch der intellektuellen 
            und sozialen Eliten. Moderate Muslime kritisieren nur sehr zögerlich 
            und vorsichtig den Fanatismus der Fundamentalisten. Wie die moderaten 
            Menschen in Nordirland haben sie Angst, offen ihre Meinung zu sagen. 
             Den schlimmsten Park mit dem Teufel 
            aber haben die Monarchisten am Persischen Golf abgeschlossen, besonders 
            Saudi Arabien. Die Saudis haben sich auf ein gefährliches Spiel 
            eingelassen. Um von den Schwächen im eigenen Land abzulenken, 
            haben sie religiöse Schulen und Zentren gegründet, die eine 
            rigide, puritanische Form des Islam verbreiten - den Wahhabismus. 
            In den letzten 30 Jahren sind aus den von den Saudis gegründeten 
            Schulen Zehntausende von halbgebildeten, fanatischen Muslims hervorgegangen, 
            die mit grossem Misstrauen auf die moderne Welt und die Nichtmuslime 
            blicken. In ihrer Weltsicht ist Amerika das grösste Übel. 
             Dieser exportierte Fundamentalismus 
            hat nicht nur die arabischen Gesellschaften infiziert, sondern auch 
            Länder ausserhalb der arabischen Welt, wie zum Beispiel Pakistan. 
            Während seiner elfjährigen Herrschaft suchte der Diktator 
            Zia ul-Haq nach Alliierten. Er fand sie in den saudischen Fundamentalisten. 
            Mit der Hilfe saudischer Finanziers und Funktionäre errichtete 
            er im ganzen Land Koranschulen (madrasas). Sie waren für ihn 
            temporär hilfreich, aber sie haben die soziale Struktur Pakistans 
            unterhöhlt. Wenn es einen entscheidenden Grund 
            für das Erstarken des islamischen Fundamentalismus gibt, dann 
            ist es das totale Versagen der politischen Institutionen in der arabischen 
            Welt. Die muslimischen Eliten haben ihre Augen vor der Realität 
            verschlossen. Konferenzen in islamischen Zentren diskutieren immer 
            noch lieber über den 'Islam und seine Umfeld', als die Fehler 
            der gegenwärtig herrschenden Regime heraus zu arbeiten. Während 
            die moderate Mehrheit mit anderen Dingen beschäftigt war, wurde 
            der Islam von einer fanatischen Minderheit vereinnahmt und vergiftet. 
            Leute, die brutale und verächtliche Einstellungen zu Frauen, 
            Bildung, Wirtschaft und dem moderne Leben generell vertreten. Ich 
            habe das in Indien erlebt, wo ich aufgewachsen bin. Der reiche, farbenfreudige, 
            pluralistische und lebensfrohe Islam meiner Jugend hat sich in ein 
            mürrischen, puritanischen Glauben verwandelt, überwacht 
            von einfallslosen Theokraten und religiösen Kommissaren.  Der nächste Abschnitt handelt davon, wie die Vereinigten Staaten der islamischen Welt helfen können. Aber wenn die Muslims nicht selber die Leute stoppen, die ihre Religion pervertieren, wird ihnen niemand von aussen beistehen können. | |