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Real Utopia in der Salzwüste von Utah 4/5

Das Conference Center
Von den Protestierern laufe ich in Richtung des Conference Center und werde auf der Strasse neben dem Center von einem freundlichen Helfer angesprochen - diesmal männlich und im schwarzen Anzug - ob ich mir nicht das Auditorium in diesem Hause ansehen möchte. Dazu gibt es gerade eine gute Gelegenheit, bevor eine Konferenz beginnt.

Mehrfach werde ich im Inneren des weitläufigen Gebäudes, an den Palast der Republik in Berlin erinnert ...! Dieses Conference Center hat die gleiche Funktion: Es soll Stabilität und Solidität ausstrahlen, es soll imponieren und beeindrucken und es soll dem Stolz auf die eigene, besondere Gesellschaftsordnung ein Denkmal setzen. Hier findet heute die 'Stake Conference General Session' von Tonga (!) statt. Mindestens tausend Menschen sind angereist, alle im Sonntagsstaat, oft deutlich mit Übergewicht und immer mit vielen Kindern. Sie halten hier in der Zentrale ihrer Kirche die (jährliche?) Session ab. Sie beginnt um 11 Uhr und ich kann noch schnell ein paar Fotos von dem beeindruckenden Raum machen.

Das Programm nennt nur die Namen der obersten Kirchenführer und druckt zwei Lieder in der Sprache Tongas ab. Als die Türen zu sind, hört man die Konferenz in den Foyers über Lautsprecher. Es hört sich an wie ein Gottesdienst, wieder mit schöner Chormusik. Der Begriff 'Conference' ist sicher etwas hoch gegriffen. Hier wird nicht öffentlich über religiöse, wirtschaftliche oder strategische Fragen diskutiert. Die sind im Hintergrund längst entschieden. Man kann sich dem erbaulichen Teil und dem Familientreffen widmen. Das ist der grosse Vorteil von Organisationen, die nicht demokratisch geführt werden.

Die BY University in Provo
Die Sonne scheint und der Weg ist klar: Nach dem Konzert im Tabernacle will ich nach Provo und mir dort noch die Universität ansehen. Ich fahre der Sonne entgegen und bin bald auf dem HWY 15, er führt direkt nach Las Vegas. Das erste Mal fahre ich durch das Gewirr einer amerikanischen Strassenkreuzung. Sechsspurige Autobahnen verknoten sich hier. Aber alles ist ganz einfach wenn man weiss, in welche Richtung man fahren will (South) und wohin. Man braucht nur noch selten die Spur zu wechseln und kann nur hoffen, dass die vorbei brausenden Brummer auch in ihrer Spur bleiben. Problemlos fahre ich bis zu einer separater Ausfahrt der Universität. Immer gerade aus, bis es nicht mehr weiter geht, und nach 84 Kilometern ist man auf dem Campus der BY University.

Auf der Suche nach einem Übersichtsplan laufe ich über das weiträumige Gelände und frage mich zur Bibliothek durch. Auf diesem Weg sehe ich schon, dass diese Universität christlich ausgerichtet ist: Es ist Sonntag und viele Studenten kommen mir mit der Bibel entgegen. Überall strahlt mich Jesus an, auf dem Campus existiert eine grosse Mormonenkirche und nicht zuletzt heisst diese Universität: Brigham Young University (BYU). Brigham Young ist der Mann, der die Mormonen nach Salt Lake City geführt hat und dafür von ihnen 1847 zum Präsidenten gewählt wurde.

Die Brigham Young University in Provo, Utah, ist eine Privatuniversität, getragen von The Church of Jesus Christus of Latter-Day Saints (LDS). Über das Internet kann man sich ausführlich informieren: www.byu.edu. Der Campus macht den gleichen Eindruck wie der Temple Square: Grosszügige Bauten, gediegen, edles Material, massive Holzmöbel, sauber, ordentlich und sicher. Für die Sicherheit sorgt eine eigene BYU Police.

 

Viele junge, fröhliche Menschen, aber ohne Tatoos, Piercings, gestylte Haare oder auffällige Kleidung, aber deutlich farbenfroher angezogen, als die Sisters in Schwarz und Grau. Überall auf dem Campus Blumen, Skulpturen, Bilder. Die bildende Kunst der Mormonen weist erstaunliche, aber nicht zufällige, Parallelen zum 'Sozialistischen Realismus' auf. Die Universität besitzt Lehrstühle in den Bereichen: Englisch, Mathematik, Physik, Ingenieurwesen, Biologie, Medizin, Soziologie, Kunst und Kommunikation, Lehrerbildung, Sprachen und Management. Separater Bestandteil der Universität ist das LDS Institute of Religion. Ausser der Hochschulreife ist für die Immatrikulation an dieser Universität erforderlich, dass der Student 'be living in harmony with the BYU Honor Code and the BYU Dress and Grooming Standards'.

Die Kosten für ein halbes Jahr (Fall and Winter Semester) betragen für Non-LDS Studenten 11.660 US$ (LDS 10.180 $). Darin sind Lehre, Personalkosten, Unterbringung im Internat und Lehrmaterial enthalten. Es existieren unterschiedliche Programme, um diese Kosten zu finanzieren. Fast alle der 25.000 Studenten sind Weiss, auch einige Asiaten studieren hier, aber in den zwei Tagen meines Aufenthalts sind mir nur zwei Black People begegnet. Ich bin überzeugt, dass der Qualitätsstandard dieser Universität hinsichtlich der Lehrkräfte, der Betreuung und der Ausstattung deutlich über dem amerikanischen Durchschnitt liegt.

Zensiertes Internet an der BYU
Zwei Tage arbeite ich in den schönen Räumen der Bibliothek, zusammen mit vielen Studenten. Auch hier stehen viele Computer, das Internet funktioniert, aber es wird zensiert, wie man es in einer religiösen Institution (vielleicht) erwarten kann. Wählt man eine 'falsche' Adresse, dann läuft man bei einem Hinweis auf, dass diese Seite entweder illegales Material enthält, oder von diesem Terminal aus nicht zu erreichen ist. Der SPIEGEL ONLINE steht hier zum Beispiel auf dem Index. Die Suchmaschinen funktionieren, alle Suchergebnisse werden angezeigt, erst beim öffnen der Dokumente entscheidet sich, ob man diese Seite sehen darf, oder nicht.

Wie willkürlich so ein System funktioniert zeigt sich, als ich unter dem Stichwort 'Mormonen' recherchiere. Ich finde durch Zufall eine deutsche Seite mit einer Anleitung, wie man sich einen Schein zur Besichtigung eines Mormonentempels 'erschleicht': Die Fragen, mit denen man bei der Beantragung des 'Tempelscheins' rechnen muss, sind fein säuberlich von 1. bis 14. aufgeführt! Und diese Anleitung kann ich mir in der vermeintlich stark gesicherten BYU-Bibliothek ausdrucken!

Die Nutzung von Emails und das Chatten widersprechen offenbar dem BYU Kodex. Alle BYU-Studenten verfügen über ein User ID. Ob und wie man damit Emails erhalten oder verschicken kann, bleibt unklar. Über dieses User ID können natürlich bei Bedarf alle Aktionen eines Studenten im Internet kontrolliert überwacht und auch noch selektiv zensiert werden. Ich versuche, ein Guest ID zu bekommen. Das gelingt mir auch nach mehrfachen Anläufen nicht. Meine Korrespondenz mit Europa, die ausschliesslich über Email läuft, kann ich hier also nicht abwickeln. Damit ergibt sich für mich in der Library der BYU eine ziemlich schizophrene Situation: Ich kann zwar diese Story über die Mormonen mit 'FTP via www' ins Internet schieben und so mein Web aktualisieren. Aber ich kann mich für diesen Service nicht beim Office of IT der BYU, Howard McDonald Building, mit einer freundlichen Email bedanken.

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