Real Utopia in der Salzwüste von Utah 5/5
Ein widersprüchliches
Facit Aber dieser entscheidende
Vorteil wird mit gravierenden Nachteilen erkauft: Offensichtlich gibt
es bei den Mormonen einen starken Zentralismus und Dirigismus. Die
absolutistische Führung besitzt das Meinungsmonopol, es gibt
Denkverbote und mit Sicherheit verbotene Fragen. Solche Restriktionen
sind in der heutigen Zeit unannehmbar, ja gefährlich. Sie müssen
im alltäglichen Leben zu Konflikten führen. Auf der anderen
Seite scheinen die Mormonen aber einen erstaunlichen Pragmatismus
zu besitzen der sie in die Lage versetzt, in Konfliktfällen Kompromisse
zu finden. Schon allein die Tatsache, dass sie ein strikt religiös
ausgerichtetes Gemeinwesen innerhalb eines demokratischen Rechtsstaat
aufgebaut haben, weist auf ihre Flexibilität hin. Denn natürlich
muss im Zweifelsfalle immer gelten: Bundesrecht vor Landesrecht. Es könnte sein, dass sich bei den Mormonen ähnliche Verhältnisse wie im Sozialismus eingestellt haben: In Wissenschaft, Technik und Wirtschaft ist Pragmatismus mehr oder weniger gewollt und vorhanden. Ideologische (gleich religiöse) Grund- und Glaubenssätze aber stehen weder zur Diskussion und erst recht nicht zur Disposition. Trotzdem ist die Utopie der Mormonen deutlich erfolgreicher als die der Kommunisten: Ihr Staat im Staate ist wohlhabend, wirtschaftlich stabil und existiert schon mehr als 150 Jahre - der ehemals weltweit agierende Sozialismus ist dagegen nach maximal 70 Jahren 1989 implodiert. |
Im Gegensatz zu den DDR Bürgern
werden die Mormonen nicht mit Gewalt in Schacht gehalten, sie sind
frei und können (scheinbar) tun und lassen, was sie wollen. Die
Mechanismen, mit denen sie bei der Stange gehalten werden, sind psychologisch
wesentlich geschickter und subtiler konstruiert. Sie funktionieren
solange einwandfrei, wie keine verbotenen Fragen gestellt werden. Die so naiven Kommunisten
hätten von den Mormonen lernen sollen: Man kann alles anders
machen, als in den bisherigen Gesellschaftssystemen. Aber das private
Streben nach Mehrwert und die Geld- und Zinswirtschaft abschaffen
zu wollen, das ist eine zu hoch gegriffene Utopie. Ein verhängnisvoller
Irrtum mit weitreichenden Folgen. Jetzt kennt man die Schwachstellen
dieser Utopien - wie könnte 'Optima Utopia' aussehen? Von den
Mormonen kann man dazu vieles über Geld und Wirtschaft lernen,
das beste des 'real existierenden Sozialismus' war der Dialektische
Materialismus und das Bildungssystem. Zwei Dinge müssten bei
der nächsten Utopie qualitativ neu gefasst werden: Die 2000 Jahre
alten christlichen Vorstellungen von Leben und Tod sind mindestens
seit dem 18. Jahrhundert überholt. Analoge, sogar die gleichen
Moralvorstellungen können auch von einer wissenschaftlich fundierten
Sicht auf die Natur und das Leben abgeleitet werden. Eine solche Weltsicht
verbietet das Denken nicht, sondern macht es zur Pflicht. Der Zerfall
der Familie zeigt, dass die christliche Einehe in der technischen
Zivilisation nicht mehr funktioniert. Es wird ein neues Sozialsystem
benötigt, das die Generationen wieder zusammenführt. Vielleicht
könnte das Clan System der Aboriginals in die heutige Zeit adaptiert
werden? Immerhin haben sie damit friedlich 50.000 Jahre in enger Sozialgemeinschaft
und im Einklang mit der Natur gelebt. Deutlich länger als jede
der bisherigen Kulturen der Menschheit. Sind die Mormonen so reformfreudig? Kein etabliertes System kann sich von innen heraus grundlegend reformieren. Sind die Kommunisten zu einem qualitativ neuen Anlauf fähig? Sie haben bei ihrem ersten Versuch viel zu wenig Intelligenz gezeigt und ihn noch nicht einmal im Ansatz verarbeitet. Ich setze auf die Dritte Welt. Nur die Armen, die weder Eigentum noch Historie mit sich herumschleppen, könnten sich wieder auf den langen Treck nach Utopia aufmachen. Jürgen Albrecht, 10.09.2001, BYU Provo, Utah, USA |
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