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Leichen als Spektakel und Geschäft 2/2

Mehrfach habe ich Gunter von Hagen im Fernsehen bei Talkshows erlebt. Er argumentiert nüchtern und ruhig mit der Selbstverständlichkeit des Todes, mit der Faszination der Komplexität, die besonders von den Ganzkörperpräparaten ausgeht und mit der Nähe seiner Präparate zur Kunst. Damit man ihm seine künstlerischen Ambitionen besser abnimmt, hat er sich wie Beuys angewöhnt, nie mehr den schwarzen Hut abzunehmen und immer mit Weste aufzutreten. Wie originell! Seine Argumente aber sehe ich durchaus auch in dieser Reihenfolge. Für mich hat der Tod nie etwas Schreckliches gehabt, das Sterben gehört einfach zum Leben dazu. Die Natur ist das Faszinierendste, was es überhaupt gibt und sie ist ausserordentlich ästhetisch. Der Mensch ist das komplexeste Lebewesen, das wir kennen und gerade diese Präparate zeigen überdeutlich, wie wenig wir von diesem autonom agierenden System, von uns selber, verstehen. Exemplarisch zeigen das die primitiven Prothesen, die wir nur mit grosser Mühe in der Lage sind, in unseren Körper einzubauen. Ich sehe mir deshalb diese Präparate mit der gleichen Faszination an, mit der ich eine Mücke unter der Lupe betrachte, Canyons bewundere, die Flüsse in kilometerdicke Steinplatten gesägt haben und mit der ich vor einer vom Menschen unberührten Natur stehe.

Aber gegenüber dieser Ausstellung gibt es einen gewaltigen Unterschied: Damit sich diese Faszination einstellt, brauche ich Ruhe und Einsamkeit. Nur so ist man wirklich in der Lage, sich die Situation bewusst zu machen und über Konsequenzen nachzudenken. Den hervorragenden Ausstellungskatalog kann man in Ruhe betrachten. Auf die Ausstellung und ihren Rummel kann ich leicht verzichten, denn beim Betrachten der Bilder wird mir schnell klar, dass ich keinerlei Bedürfnis verspüre, mich in die Kunststoff Unsterblichkeit zu retten. Ich denke so, wie die Aboriginals in Australien: Wenn das Leben vorbei ist sollte das, was davon übrig geblieben ist, so schnell wie möglich wieder in den natürlichen Kreislauf zurück kehren. Zu den grössten menschlichen Illusionen gehört der Glaube, dass man mit seinem Dasein individuelle Spuren in dieser Welt hinterlassen kann.

Der Ausstellungsmacher redet von Besinnlichkeit, Faszination und der Kontemplation über den Sinn des menschlichen Lebens. Das genaue Gegenteil aber ist bei dieser Ausstellung der Fall: Besucherströme, Touristenscharen, Medienrummel, Reklame und Vermarktung - Ein riesiger 'Event'. Der geschäftstüchtige Pathologe hat mit diesem Tabubruch vor allen Dingen eine lukrative Geldquelle entdeckt und wie nicht anders zu erwarten, sind hier Krankheiten, Leichen und der Tod zum exhibitionistischen Geschäft verkommen.

 

Die Ausstellung ist sehr gut besucht, sie wird professionell und gnadenlos vermarktet. Nicht das Wunder des Lebens steht im Vordergrund, sondern vor allen Dingen geht es um Geld: Eintritt 22.- DM, Katalog 36.- DM. Bücher 25,- DM, Videos, Puzzle, Poster, T-Shirts, Broschüren, Mousepads, Kalender und andere Devotionalien sind gegen Barkasse zu haben. 850 Besucher stündlich zwischen 11 und 19 Uhr, bis zu 50.000 Besucher pro Woche. Eintrittskarten kann man sich auch über das Internet bestellen: www.koerperwelten.com . Dann braucht man sich auch nicht in die Warteschlange einzureihen. Natürlich wird man nicht umsonst bevorzugt behandelt: 'Servicezuschlag 7,- DM pro Ticket'. Besucherführungen, Hotelbuchungen, Kartenvorverkauf, Gruppenbesuche, Anfahrtswege, warme Würstchen und Coca Cola, Öffnungszeiten, Telefon und Emailadresse ... hier ist an alles gedacht. Eine Überschlagsrechnung ergibt, dass täglich zwischen 130 und 160.000 DM eingenommen werden. Fünf Monate Ausstellung - Reingewinn nach Abzug von Kosten und Steuern mindestens zehn Millionen Mark.

Der entscheidende, nicht in Geld zu beziffernde Clou aber ist, dass man sich hier auch gleich noch zur posthumen Plastifikation anmelden kann. Unter dem Motto 'Endlich Unsterblich', kann jetzt jeder nach dem steinzeitlichen Eismann, den Pharaonen und Lenin, seinen Körper mumifizieren lassen. Endlich kann der Opa Kindern und Enkeln sein dauerhaft konserviertes Gehirn oder seine nett präparierte Hüftprothese schenken. Wenn man den Nachkommen ein grosses Haus hinterlässt, kann man sie sogar mit einem Ganzkörperpräparat beglücken. Der clevere Präparator hat nicht nur sein Verfahren patentiert, er sorgt auch für die massenhafte Anwendung, schafft neue Bedürfnisse und weltweit Arbeitsplätze. Mediziner werden jetzt nicht nur bis zum Tode sondern in grosser Zahl auch nach dem Tode als Präparatoren gebraucht. Gunter von Hagen ist inzwischen nicht nur Leiter des Instituts für Plastination in Heidelberg, sondern auch der Chef ähnlicher Institute in China und Kirgisien. Weitere Filialen sind vorprogrammiert. Heil und Sieg dem, der die Wirtschaft ankurbelt!

Ein 'Körperspender' wird im Ausstellungskatalog mit folgender Argumentation zitiert: 'Grabpflege: Das ist ja die letzte Möglichkeit, dem anderen das Fell über die Ohren zu ziehen.' Dieser Spender ist von der angeblichen Unsterblichkeit so fasziniert, dass er den so offensichtlichen Geschäftssinn des weltweit agierenden Plastinators nicht mehr wahrnimmt. Ein untrügliches Zeichen für ein wirklich gutes Geschäft.

Jürgen Albrecht, 21. April 2001

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