BACK

 

Die Sieger der Geschichte Seite 6/6

Die Fehler der Genossen
Schon ganz wenige der vielen Fehler, die von den führenden Genossen gemacht wurden, reichten zur Implosion des gesamten sozialistischen Lagers aus:

Erstens ist man schon beim Konzept des Sozialismus von grundsätzlich falschen Voraussetzungen ausgegangen: Die Menschen sind weder gleich noch kollektive Wesen, sondern subjektive Individuen. Sie sind nicht selbstlos genug. Für keine der vielen, schönen Utopien.

Zweitens wurde auf Zentralisation gesetzt und auf verteilte Intelligenz verzichtet. Damit wurde die Komplexität der menschlichen Gesellschaft völlig unterschätzt. Ausserdem hatte der Zentralismus zur Folge, dass jede private Initiative ins Leere lief. So ein entmanntes System hat keine Chance, wirtschaftlich mit dem Kapitalismus zu konkurrieren. Buchstäblich eine Todsünde.

Drittens wurden der Dialektische Materialismus zwar als 'Wissenschaftliche Weltanschauung' propagiert, gleichzeitig aber seine fundamentalen Grundsätze konsequent ignoriert. Schon der Verzicht auf die Negation der Negation zum Beispiel macht den Sozialismus zu einer starren Religion: Widersprüche werden nicht gelöst und jede weitere Entwicklung wird verhindert. Die Folge ist Stagnation, sie impliziert den eigenen Untergang.

Das reicht schon. Hätte man nur diese drei Fehler vermieden, wäre ich jetzt nicht in Australien! Wir würden jetzt noch im Sozialismus leben und wären in 'ewiger' Freundschaft mit der noch existierenden Sowjetunion verbunden!

 

Ein persönliches Facit
Bei dieser Story waren für mich die Gesichtspunkte DDR und Religion vorrangig. Ich habe den Aspekten, die eine Religion kennzeichnen, Tatsachen aus dem DDR-Alltag gegenüber gestellt. Ich bin aussserstande, über die DDR emotionslos und objektiv zu urteilen. Ich nehme an jedem, der sein Leben in der DDR gelebt hat, wird es ähnlich gehen. Wir sind alle noch zu sehr in die neuere Geschichte involviert. Deswegen sind manche meiner Generalisierungen sicher ungerecht.

Die Grundaussage scheint mir aber ein objektiver Tatbestand zu sein: Ein Staat, der totalitär und intolerant über das Macht- und das Meinungsmonopol verfügt, entwickelt sich zwangsläufig zu einer repressiven Diktatur. Es ist völlig unerheblich, ob sich das Meinungsmonopol in einer Religion oder einer Ideologie manifestiert. Religiöse 'Gottesstaaten' und ideologisch geprägte Diktaturen unterscheiden sich nicht qualitativ in ihrer Wirkung auf die jeweiligen Staatsbürger. Die Bürger sind wehrlos physischer Repression und intellektueller Bevormundung ausgesetzt.

Das alles ist nicht neu, die Geschichte der menschlichen Zivilisation ist voller Paradebeispiele: Die Chinesischen und Ägyptischen Dynastien, Römische, Französische und Deutsche Kaiserreiche, Nazideutschland, Iran, Israel, die Diktaturen des 'Sozialistischen Lagers' und eben auch die DDR.

Wie soll man diese Befunde anders interpretieren, als dass sich in der DDR eine fanatische Diktatur mit deutlich religiösen Zügen etabliert hatte? (fanatisch = eifernd, mit blinder Überzeugung, intolerant, dogmatisch, rigoros, starrsinnig; religiös = fromm, gläubig, vertrauensselig, ergeben, heilsgewiss)

Es ist mir sehr schwer gefallen, den Begriff 'fanatisch' auf die DDR anzuwenden. Den Ausschlag gab folgender Gesichtspunkt: Die Machthaber des 'Sozialistischen Lagers' waren eher zu einem globalen Atomkrieg bereit,

 

als dass sie sich rationalen Argumenten oder der Gewalt gebeugt hätten. Es war auch damals eindeutig klar, was ein solcher Krieg bedeuten und welche Auswirkungen er haben würde. Wer auch mit dieser Konsequenz an seinen ideellen Überzeugungen festhält, ist für mich ein Fanatiker. Aber das gilt uneingeschränkt natürlich auch für die Gegenseite, die aus genau den gleichen Gründen mit dem Atomkrieg gespielt hat.

 

Pluralismus - auch eine Religion?
Dass diese Interpretation der DDR als unfreiwillige Religionsgemeinschaft nicht an den Haaren herbeigezogen wurde zeigt sich, wenn man versucht, mit der gleichen Methode den Pluralismus der Bundesrepublik als Religion zu sehen.
Erstaunlicher Weise funktioniert das nicht:

Es gibt kein philosophisches, 'einzig rechtmässiges' Denkgebäude, keine 'Lehre'. Gerade die Meinungen, Überzeugungen und Wertvorstellungen sind nicht normiert. An Stelle eines Meinungsmonopols existiert Meinungsvielfalt. Die Parteien und viele unterschiedliche Organisationen haben es schwer, ihre Ideen dem Volk gegen eine grosse Konkurrenz als 'wahre Lehre' zu verkaufen . Pluralismus ist das Gegenteil von Zentralismus. Ein gewisser Zentralismus existiert trotzdem, aber er ist auf das Notwendigste beschränkt, das zur Führung eines Staates erforderlich ist. Mit ihren Bürgern hat die Bundesrepublik kaum Schwierigkeiten, weil der Pluralismus dem Einzelnen die grösstmöglichen Freiheiten beschert und der Staat von seinen Bürgern ausser Steuern nichts will. Ein Wertesystem ausserhalb der Gesetze gibt es nicht, das Geld ist das einzige, erstrebenswerte Ziel. Die Bräuche sind rudimentäre Überreste der Christlichen Religion. Tabus existieren nur in soweit, als dass die Gesetze einzuhalten sind. Aber wer genug Geld hat, kann sich auch darüber legal oder illegal hinwegsetzen, er lebt in einer tabulosen Gesellschaft. Es gibt keinen Wahrheitsanspruch, keine Missionierung oder Bekehrung. Das ist nicht mehr erforderlich. Jeder der in diesem Gesellschaftssystem lebt, begreift auch ohne Bildung, Parteilehrjahr und Agitation, dass nur eines zwingend erforderlich ist: GELD. Die Heilsgewissheit ist der sicheren Erkenntnis gewichen, dass jeder von (fast) allen Übeln dieser Welt erlöst ist, wenn er über genügend Geld verfügt.

Es funktioniert nicht, aus der Bundesrepublik eine Religionsgemeinschaft zu machen. Die Demokratien nach westlichem Muster sind wirklich qualitativ andere Systeme als religiös oder ideologisch geprägte Diktaturen. Man kann ihnen vorwerfen, keine hehren, ethisch-moralischen Ziele, Wertvorstellungen oder Visionen zu verfolgen. Das tun sie tatsächlich nicht. Genau das aber ist der Grund, weshalb sie auf jede Form der Indoktrination verzichten können.

Pluralistische Gesellschaftssysteme vermeiden nicht nur die drei oben genannten Fehler, sie sind genau gegensätzlich strukturiert: Das Individuum besitzt grösstmögliche Freiheiten, die Intelligenz jedes Einzelnen ist gefragt, kein Tabu behindert die Flexibilität. Das sind die Grundpfeiler von Global Business und Global Culture.

Voraussetzungen für den Pluralismus sind die Entwicklungen der letzten fünfzig Jahre. Hier nur die Stichworte: Wissenschaft und Technik, universelle Wertefunktion des Geldes, Globalisierung der Wirtschaft, hoher Bildungs- und Lebensstandard. Nur unter solchen Bedingungen kann sich eine Gesellschaft den Pluralismus leisten. Sobald sich diese Voraussetzungen drastisch verändern, wird die Gesellschaft wieder anfällig für Ideologien und Religionen aller Spielarten.

 

Jürgen Albrecht, Lighthouse Exmouth, WA, März 2000

05102000

BACK