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Die Werbung steuert das TV-Programm

 

Eine kurze und lakonische Meldung in der Zeitung: Die Sendung ‘Bitte melde Dich’ wird eingestellt. Der Grund ist interessant: Die Sendung auf Sat 1 (ein Privatsender) hat gute Einschaltquoten. Es werden bis zu 5 Millionen Zuschauer erreicht, das ist in Deutschland ein Marktanteil von 18 %. Aber auch 25 % würde nicht reichen. Es kommt auf die Struktur der Zuschauer an und die stimmt hier nicht: Der Großteil des Publikums ist über 50 Jahre alt. Diese Altersgruppe ist für die Werbewirtschaft uninteressant. Also raus mit der Sendung, eine andere Show muß erfunden und auf diesem Sendeplatz ausgestrahlt werden. Auch sie sollte mindestens 5 Millionen Leute erreichen, aber bitte die Altersgruppe zwischen 25 und 35 Jahren.

Die Leute über 50 haben doch alles. Sie sind in Haus, Garage und Garten voll eingerichtet, sie haben mindestens zwei Messersets a 8 Messern im Holzblock, sie haben auch drei Kochtopfsysteme und auf Aspirin und Klosterfrau Melissengeist sind sie auch schon festgelegt. ‘Festgelegt’ scheint überhaupt das Schlüsselwort für diese Altersgruppe zu sein. Sie sind nicht uninteressant - im Gegenteil, sie haben ja Geld in der Tasche und auf der Bank. Das Problem aber ist, daß sie durch Werbung nur noch sehr schwer in ihrem Konsumverhalten zu beeinflussen sind. Sie sind beim Kaffee, beim Bier, beim HiFi-System und beim Auto auf eine Marke ausgerichtet. Für die haben sie sich vor Jahren entschieden. Sie sind fest programmiert und nur mit rationalen Argumenten (Preisvorteil, Funktion) und extremem Aufwand umzupolen.

Ganz anders die Yuppi’s, die anfangen, sich eine Wohnung einzurichten. Wenn sie erfolgreich sind, sitzt das Geld locker und sie wollen ‘in’ sein, im Trend und in der Szene mitschwimmen und mitreden können.

 

Die Szene ist der Zeitgeist, kurzlebig und fast ausschließlich emotional geprägt. Kein Mensch kann erklären, warum ein ‘Insider’ (Es gibt ein Fachwort: Szenegänger ...!) heute unter keinen Umständen mehr ein Sakko von BOSS kauft, auch wenn es gestern noch rasend chic und der letzte Schrei war. Heute ist es einfach ‘out’ und heute muß jeder, der etwas auf sich hält, einen Blazer von Armani haben, denn der wurde gerade von seinem schwulen Freund erschossen. Wer fragt da noch, warum Armani ‘in’ ist ...? Is doch klaaah, oder ... die Frage ist nur, wie lange.

Interessant ist dabei nur noch, wie strikt und konsequent das Fernsehprogramm auf die jeweilige Zielgruppe ausgerichtet ist. Es geht überhaupt nicht darum, irgendwelche vermißten Leute, seien sie jung oder alt, wiederzufinden und ein Happy-End zu zelebrieren. Naiv, wer so denkt. Es geht um den Verkauf von Bier, Autos und Aktienfonds. Nur die Werbepotenz einer Sendung zählt bei den ‘Privaten’ und diesem Ziel wird das sogar das Entertainment rigoros untergeordnet. Von anderen möglichen Funktionen des Fernsehens gar nicht zu sprechen.

Spätestens jetzt habe ich endlich begriffen, warum es mir so schwer fällt, auf den 30 TV-Kanälen neben der Tagesschau noch eine für mich halbwegs interessante Sendung zu finden !! Und wenn ich doch für eine halbe Stunde etwas finde, dann ist es bei ARD oder ZDF. Gott erhalte uns wenigstens je einen öffentlich-rechtlichen Radio- und TV-Kanal in den nächsten 20 Jahren !! Was danach zu hören und zu sehen ist, stört mich nicht mehr.

Jürgen Albrecht, 23. März 1998

 

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