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Macht korrumpiert

 

Das ist längst bekannt: Macht korrumpiert. Aber nie war es besser zu beobachten, als jetzt bei der neuen Regierung. Seit vielleicht 50 Tagen ist die Regierung aus Sozialdemokraten und Grünen an der Macht. Das erste Mal überhaupt, dass die Grünen in einer Bundesregierung sitzen. Die beobachte ich besonders genau, denn ich habe sie gewählt. Warum? Sie waren eine mitunter sehr chaotische Truppe mit aufmüpfigen Vorstellung, eine intelligente Opposition mit neuen, ungewöhnlichen Ideen. Es hat ungefähr 20 Jahre gedauert, bis aus einer Bürgerrechtsbewegung eine an der Regierung beteiligte Partei geworden ist. Auf dem Weg dahin wurde noch schnell die Ost-Partei Bündnis 90 aufgeschluckt, die sich nach der Wende gebildet hatte.

Keine 20 Tage an der Macht hat es gedauert, bis aus den lebhaften, unkonventionellen Grünen stinknormale Politiker und Parteiapparatschiks geworden sind. Das fing schon an, bevor die Regierung überhaupt gebildet war, als es nämlich um die Posten und um die Macht ging. Da wurden alle Ossis vom ehemaligen Bündnis 90 ausgebootet. Die Pfründe wurden unter den Grünen aufgeteilt, die auf diesen Moment 10 Jahre länger, als die Ossis gewartet hatten. Nicht ein Ossi bekam einen Job ab, Gunda Röstel aus Dresden war schon vorher Sprecherin und blieb es auch. Schon vor Jahren hat Konrad Weiss das kommen sehen und hat sich aus der Politik zurück gezogen, wie auch andere. Das waren (zu ?) intelligente, integere Leute.

Ich dachte, mich tritt ein Pferd, als ich die ersten Statements von Joschka Fischer und Jürgen Trettin hörte. Na ja, dachte ich, die müssen vielleicht noch das richtige Sprechen lernen. Aber inzwischen ist klar, die sprechen jetzt genau so hohl, unverbindlich und mehrdeutig, wie alle Politiker. Atomausstieg. Der Kanzler macht das mit der Stromwirtschaft alleine und einigt sich auf 2020. Trettin ist nicht beteiligt und findet gar nichts dabei, dass aus fünf Jahren jetzt 20 wurden oder werden. Joschka Fischer. Wie hat der sich nur über die Beteiligung der Bundeswehr an Friedens-Einsätzen der Nato im Ausland (Balkan) öffentlich aufgeregt!! Das ist keine drei Jahre her. Jetzt greifen die USA und England den Irak mit ihrer geballten Kriegsmaschinerie an: Ohne ein Mandat der UNO, schlimmer noch, gegen den ausdrücklichen Willen des Sicherheitsrates. Und der Herr Aussenminister Fischer sagt, daran sei Saddam Hussein, der Diktator von Baghdad schuld. Auch bei der SPD keine Empörung gegen die USA, logistische Hilfe wird angeboten.

Bei diesem Irak-Krieg sieht man das Dilemma exemplarisch: Aus der Opposition heraus sieht man die Lage objektiver, man kann sich Menschenrechte, Moral und Prinzipien leisten. Sobald man an der Macht ist, befindet man sich plötzlich (und unerwartet ?) in einer völlig anderen Situation:

 

Jetzt ist man Partei, sitzt mit im Boot, man hat Interessen zu wahren, die vorhandene Machtstruktur zu berücksichtigen, darf das sowieso labile Gleichgewicht in verschiedenen Regionen nicht gefährden. Natürlich verhalten sich die USA idiotisch und als Weltpolizist, aber das sind doch ‚unsere Freunde‘!! Wir können uns doch wegen so einer ‚Lappalie‘ nicht auf die Seite der Russen und Chinesen schlagen!

Genauso sieht es bei Israel aus. Jeder sieht, was das für ein unmöglicher Staat ist, wie dort täglich die Menschenrechte gegenüber den Nachbarstaaten und den Palästinensern verletzt werden, wie ständig ein nicht erklärter Krieg mit Bombenangriffen und Raketen von Israel gegen seine Nachbarn geführt wird. Aber Israel ist ja nur der Stellvertreter, die USA stehen dahinter und wollen auf diese Weise die explosive Situation im Nahen Osten stabilisieren. Und die USA sind doch ‚unsere Freunde‘ ... also können wir doch nicht gegen Israel sein. Brechreiz. Es kotzt mich an.

Aber genau so ist Politik: Ein absolut schmutziges Geschäft. Vom sicheren Port lassen sich hervorragende Ratschläge erteilen. Da kann man es sich auch leisten (wie ich es öfters tue), diesen religiös fanatischen Staat Israel an den Pranger zu stellen. Objektiv hat man damit auch recht: Für die Existenz dieses Staates am Rande von Europa kann man sich nur schämen. ABER: Was würde ich tun, wenn ich heute Aussenminister von Deutschland wäre? Ich würde ganz schnell meine Meinung revidieren und aus ‚Einsicht in die Notwendigkeit‘ das Gegenteil von dem tun, was ich vorher noch laut propagiert habe. Und das (wahrscheinlich über weite Strecken) aus voller Überzeugung !!! Genau das ist jetzt bei Fischer und Trettin in Reinkultur zu beobachten.

Was ist daraus zu schliessen: Ich kann mir Moral und eine Meinung nur deshalb leisten, weil ich mich früh genug und aus den o.g. Gründen entschieden habe, kein Politiker zu werden. Es war richtig, dass ich spätestens am Ende meiner Polygraph-Zeit (Ende der 60-er Jahre) zu der Überzeugung gekommen bin: Ich bin anders als ein Politiker strukturiert. Ich könnte diesen Spagat nicht aushalten, könnte mich nicht so verbiegen, nicht so ein Chamäleon werden, wie es bei diesem Job erforderlich ist. Gott sei Dank habe ich mich trotz einiger Versuchungen immer an diese Überzeugung gehalten.

Und noch eine Konsequenz hat das, was ich jetzt bei den Grünen beobachte: Man kann, wenn überhaupt, immer nur die wählen, die nicht an der Macht sind. Offensichtlich kann man sich nur in der Opposition Charakter, Gerechtigkeit, Wahrheit und Moral leisten. Das scheint systemimmanent zu sein und genau das geht mir grundsätzlich gegen den Strich.

Jürgen Albrecht, 25. Dezember 1998

 

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