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Boom bei Handys

 

Seit gut fünf Jahren gibt es ‚Handys‘. Das sind mobile Telefone, mit denen man nicht über eine Strippe mit dem Telefonnetz verbunden ist, sondern über Funk. In diesen fünf Jahren wurde das erforderliche Funknetz deutschlandweit ausgebaut und die Zahl der Handybesitzer stieg von Null auf mindestens 8 Millionen. Allein das D2-Netz konnte im Verlauf des Jahres 1998 einen Zuwachs von 2,4 Millionen Neukunden verbuchen !! Man kann deshalb davon ausgehen, dass grob geschätzt mindestens jeder zehnte Einwohner von Deutschland ein Handy besitzt.

Rechnet man dagegen, dass eine Minute telefonieren mit so einem Handy bis zu 1,5 DM kostet, aber auch in der billigsten Zeit nicht weniger als 50 Pfennige, so ist der Umsatz zu erklären, der alleine beim Betreiber des D2-Netzes für 1998 in der Grössenordnung von 7,5 Milliarden DM liegen wird. Unglaubliche Zahlen.

Das ist wieder so ein Geschäft, in das ich nicht eine müde Mark investiert hätte, weil ich von meinen Bedürfnissen und meiner Lebensweise ausgegangen wäre. Wozu und wann brauche ich (und jeder andere private Mensch) ein Handy ??! Die einzige Situation, die ich mir rückschauend für das Jahr 1998 vorstellen könnte, wäre ein Unfall im australischen Outback gewesen, den ich nicht hatte. Bei so einer Situation aber wäre es nicht schlecht, wenn man ein mobiles Telefon dabei hätte, um Hilfe an die Unfallstelle zu holen. Auch da habe ich mir ein Handy verkniffen, es hätte rund 25 AU$ pro Tag gekostet und das ist nicht einmal die Aussicht auf schnelle Hilfe bei einem eventuellen Unfall wert.

Aber meine Bedürfnisse sind nicht die Bedürfnisse der grossen Masse. Die Masse will telefonieren: In der U-Bahn, im Kino, auf der Strasse, im Kaufhaus, im Fahrstuhl, beim Zahnarzt, auf dem Bahnhof und wahrscheinlich auch beim Pinkeln muss manch einer Bescheid sagen (wem nur ??), dass er gerade beim Pipimachen ist.

 

Auch in meiner Vorlesung in Halle piepsen die Handys und in der Konsultation mit dem Professor wird der Student ans Telefon gebeten. Gerade unter jungen Leuten gehört es absolut zum guten Ton, ein Handy zu haben.

Für die Anschaffung eines Handys spricht in den wenigsten Fällen die dringende Notwendigkeit, ein Handy ist Kult, das Handy ist IN. Es gibt überhaupt nicht so viele Fälle, wo ein mobiles Telefon sinnvoll ist, wie es Handys gibt. Sobald es Mode ist, spielen solche funktionalen Überlegungen ja auch überhaupt keine Rolle. Warum ist der Schlips heute breit und nicht schmal? Nur der Zeitgeist kann auf solche Fragen die richtige Antwort geben.

Das alles wundert mich eigentlich nicht (mehr). Mich wundert aber, wie viele bereit sind, dafür richtig Geld auszugeben. Das mobile Telefonieren ist entsetzlich teuer und die Abrechnungen sind völlig unübersichtlich. Und noch ein weiterer Gesichtspunkt ist erstaunlich: Es gibt immer mehr technische Kommunikationsmöglichkeiten, aber die Kommunikation zwischen den Menschen nimmt nicht zu !! Eher ist das Gegenteil der Fall. Wenn man mal Gespräche über das Handy auf der Strasse mithört: Es ist völlig trivial, worum es da geht. Das Gespräch könnte man auch getrost sein lassen oder drei Stunden später von zu Hause über das Telefon mit der Schnur führen. Das normale Telefon ist in Deutschland immer noch deutlich teurer als z.B. in den USA, aber kostet nur ca. 20 - 30 % so viel wie über das Handy.

Über Geschmack und Mode lässt sich nicht streiten, auch nicht über das Handy. Mit mir jedenfalls wird man damit kein Geschäft machen können. Sicher kommen die Handys genau so schnell aus der Mode, wie sie in Mode gekommen sind. Dann werden auch die Preise fallen

Jürgen Albrecht, 22. Dezember 1998

 

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