BACK

 

Höllenfahrt mit Gegenverkehr

 

So ein schöner Titel. Er stammt leider nicht von mir. So ist ein Artikel im SPIEGEL 49/1998 überschrieben, der sich mit den Vorstellungen der katholischen Kirche von Seele, Himmel und Hölle befasst.

Gestern sprach ich mit Conny über die Frage, ob der Mensch in der Lage ist, diese Welt zu erkennen. Bei diesem Thema kommt man ganz schnell auch zu den Religionen. Conny ist aus eigenem Entschluss mit 14 Jahren aus dem katholischen Religionsunterricht ausgestiegen. Schon in diesem Alter hat man offensichtlich eine Allgemeinbildung, mit der man die Widersprüche zwischen der katholischer Lehre und den Naturwissenschaft erkennt. Damals ging es nicht um solche komplexen Fragen wie Seele oder Höllenfahrt, sondern um ganz ‚einfache‘ Dinge wie zum Beispiel die ‚Ausgiessung des heiligen Geistes‘ bei der Konfirmation. Der Pastor fragte Conny, ob er denn darauf vorbereitet sei und Conny konnte mit dieser bevorstehenden Ausgiessung überhaupt nichts anfangen. Deswegen wollte er sich auch nicht konfirmieren lassen. Es war wohl im Religionsunterricht nicht gelungen, den Schülern zu vermitteln, was das sein sollte und welche Bedeutung es haben könnte.

Ähnliche Schwierigkeiten scheint die Kirche zu haben, wenn man sie nach der Seele oder nach Himmel und Hölle fragt. Die offiziellen Vorstellungen der Kirche von diesen zentralen Kategorien der christlichen Lehre sind auf dem Bildungsniveau der Menschen vor 2000 Jahren stehen geblieben. Man könnte auch sagen, es handelt sich um blühende Phantasie, denn es existiert nichts, was diese Vorstellungen wissenschaftlich stützt oder als Beweise angeführt werden könnte. Aber genau das ist das heutige Problem: Die Menschen sind so stark von Naturwissenschaft und Technik beeinflusst (rational versaut, sagt MJ dazu ...), dass sie sofort und immer nach Beweisen fragen, misstrauisch gegen alles sind, was unbewiesen ist und es kaum noch Bereitschaft gibt, etwas nur deshalb zu glauben, weil es mit grösster Autorität behauptet wird.

Aus dieser Situation resultieren mindestens zwei Konflikte:

Die christliche Kirche ignoriert einfach dieses Problem. Dabei handelt sie so, wie alle Religionen, die vor der gleichen Problematik stehen. Offensichtlich ist das der einzige Ausweg: Die Religionen können ihre Heilsgeschichten einfach nicht mit den Naturwissenschaften in Übereinstimmung bringen. Alle Wunder lösen sich dann in Luft auf, die Story wird absolut trivial und alles, was mystisch und geheimnisvoll ist, existiert nicht mehr.

 

Aber gerade wegen der Mystik und der ‚nicht zu begreifenden Wahrheiten‘, wollen die Menschen ja an die Existenz von Gott glauben. Sie suchen den emotionalen Rausch und nicht die rationale Erkenntnis. Warum eigentlich? Der Rausch ist vieldeutig und lässt jede Menge Spielraum für die Phantasie. Die Erkenntnis aber ist eineindeutig. Zwischen Naturwissenschaft und den Religionen gibt es also einen antagonistischen, nicht aufzulösenden Widerspruch. Und es ist einfach dumm von der katholischen Kirche, sich in Diskussionen über ihre Jenseitsvorstellungen und die stoffliche Form der Seele verwickeln zu lassen: Deckt man sie auf, sind sie banal, trivial und wissenschaftlich unhaltbar. Würde man sie im mystischen Dunkel lassen, wäre das psychologisch wesentlich geschickter.

Ein zweites Problem: Natürlich gibt es auch naturwissenschaftliche Hypothesen, Modellvorstellungen, die noch nicht, nicht oder sogar niemals beweisbar sind. Weil wir es aber gewöhnt sind, ständig nach Beweisen zu fragen und auch ständig Beweise präsentiert zu bekommen, werden unbewiesene Hypothesen schnell als ‚Esotherik‘ oder ‚Moderne Religion‘ abgetan. Das ist ungerecht und behindert das Denken in Feldern, die prinzipiell nicht mit Beweisen arbeiten können. Ein Beispiel: Ich bin heute ‚überzeugt‘ (ich könnte auch sagen ‚ich glaube es‘ ...!), dass die Grundaussage des Dialektischen Materialismus ‚Die Welt ist erkennbar‘ unhaltbar und auch nur ein ‚Glaubenssatz‘ ist. Damit aber wird an der ‚Grundfrage der Philosophie‘ (mindestens nach Meinung der Materialisten) gerüttelt. Aber ich kann nicht beweisen, dass ich recht habe, genau so wenig, wie man mir beweisen kann, dass die Welt erkennbar ist. Alle Beweise der beiden streitenden Parteien sind spekulativ. Ich behaupte z.B. dass es ganz einfach ist, Fragen aufzustellen, die nie zu beantworten sind: z.B. Woher stammt die Energie und Materie des Urknalls?. Aber solche nicht zu beantwortenden Fragen sind noch kein Beweis. Ein anderes Beispiel ist das Nachdenken über die Frage, ob es in diesem Universum andere Formen von Intelligenz gibt. Eine extreme Hypothese in dieser Richtung: Das Universum ist ein Experiment einer anderen Intelligenz. Nie wird man Beweise für so eine These haben. Trotzdem muss es möglich sein, über solche Dinge nachzudenken, ohne gleich in die esoterische Ecke gestellt zu werden.

Über solche Fragen kann man heute mit einem Schüler der 10. Klasse (16 Jahre) diskutieren.

Das ist doch toll und lässt hoffen, oder ?

Jürgen Albrecht, 23. Dezember 1998

 

BACK