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5 Mark für den Liter Benzin

 

Wahlkampf in Deutschland. Jetzt ist die Zeit der 'Kampagnen', die Parteien kümmern sich um ihr Wahlvolk. Den Begriff Kampagne habe ich das erste mal ca. 1956/57 gehört. Wir bereiteten an der Uni den Fasching vor. Am Rhein sagt man dazu, '...in der diesjährigen Kampagne wird der Rosenmontragszug ...'. In der DDR waren Kampagnen verpönt. Bei jeder Aktion wurde betont, daß das eine ganz wichtige, einmalige Sache ist, die nicht zur Kampagne, sondern zum Dauerzustand werden muß. Trotzdem fielen wir von einer Kampagne in die andere. Die Parteien der heutigen Bundesrepublik sprechen ohne Scheu von der Kampagne für die Landtags- oder Bundestagswahl. Es gibt sogar ein noch besseres Wort: Die Parteien sind sehr besorgt, ob sie denn auch 'kampagnefähig' sind. Wenn nicht, müssen sie sich unbedingt darum bemühen, daß sie kampagnefähig werden.

Die Parteien schätzen das Wahlvolk meistens richtig ein: Keine komplizierten Sachverhalte, griffige Formeln und das Volk ist vergeßlich, die Kampagne muß in den letzten 14 Tagen bis zur Wahl laufen. Vorher und nachher kann man das Volk wieder vergessen. Die SPD tritt mit dem 'Slogan Innovation und Gerechtigkeit an'. Nie hätte ich mich damit in den Osten getraut, wo es auch acht Jahre nach der Wiedervereinigung noch schreiende Ungerechtigkeiten gibt. Das Motto der CDU? Ich weiß es nicht. Offensichtlich überlegt die CDU noch, welches Schlagwort am unverbindlichsten ist. Die Grünen wollten besonders gut sein und schrieben auf ihre Plakate: 'Ein Liter Benzin: 5 Mark !!' Damit meinten sie, endlich müßte ein Einstieg in die ökologische Steuerreform erfolgen, Besteuerung der Energie = weniger Energie = gut für die Umwelt. Heute kostet der Liter Benzin 1,60 DM, in zehn Jahren müßte er 5 DM kosten. Davon reden die Gutachter und alle Parteien, das ist logisch, das ist vernünftig, das kommt an, sollte man meinen ...

Weit gefehlt! Nie haben die Grünen bei Landtagswahlen solche Einbrüche erlebt, wie derzeitig: Bis zu 50 % weniger Stimmen. Die Rot-Grüne-Koalition mit Schröder an der Spitze ist nach 15 Jahren jetzt endlich in greifbare Nähe gerückt. Mit 5 Mark wurde sie verspielt. Die Grünen zittern, ob sie im September über die 5%-Hürde und in den Bundestag kommen. Jetzt würden sie es nicht schaffen, die Umfragen sind verheerend.

 

Und das alles nur wegen diesen 5 Mark für den Liter Benzin. Man kann sich nicht vorstellen, wie sensibel die einfältige, BILD lesende Volksseele reagiert: Das ist der Angriff auf die Freiheit! Man will der Deutschen liebstes Kind still legen. Das Auto, für die meisten der entscheidende Lebensinhalt, das Gerät, in das man nach Haus oder Wohnung am meisten investiert. Viele gehen nur zur Arbeit, um sich mit dem Lohn das Auto zu kaufen. Sie fahren pro Jahr damit 6.000 Kilometer, putzen es aber in der Woche dreimal. Und jetzt kommen die Grünen und wollen 5 Mark für den Liter !!!!! Keiner begreift den Zusammenhang mit dem Umweltschutz, keinen interessiert Umweltschutz, wenn es um's Auto geht. Keiner hört hin, daß die 5 Mark erst in 10 Jahren erreicht sein sollen – wer kann schon sagen, was in 10 Jahren ist! Alles keine Argumente. Nichts anderes als der Satz: '5 Mark für den Liter Benzin' kommt beim schlichten Volke an. Das aber ist unannehmbar, also kann man die Grünen nicht mehr wählen.

Basta.

Interessant, auf welchem Niveau der Deutsche Michel reagiert und ansprechbar ist. Und weil das so ist, wird er auch so behandelt. Von den Politikern, die am besten 'ankommen', wenn sie die einfache Sprache des Volkes sprechen und auf diesem Niveau agieren. Von den Medien, die alle komplizierten Sachverhalte weglassen oder in die späten Nachtstunden verlegen und die Masse mit Spielen, Sex und Crime bedienen. Und vor allen Dingen von der Werbung die weiß, daß sie auf den Bauch, zwischen die Beine und auf die Tränendrüse zielen muß, um die gewünschte Wirkung zu erreichen.

Mir fällt wieder das Plakat ein, das kurz vor der ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl in Leipzig auf dem Opernplatz zu sehen war (ich war zufällig an diesem Tag in Leipzig). Kohl war zu einer Wahlkampfveranstaltung angereist. Ein kleines Grüppchen, das gegen den großen Vereinheitlicher Front machen wollte, entrollte ein 3 x 5 Meter großes Plakat:

FRESSEN FICKEN FERNSEHEN FUSSBALL

Der Fußball ist von mir, der Rest ist Original. Damit ist alles gesagt.

Jürgen Albrecht, 05. April 1998

 

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