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5 Millionen Arbeitslose

Gab es in Deutschland jemals mehr Arbeitslose als heute? Nach 1945 jedenfalls nicht. Wie es Anfang der 30er-Jahre ausgesehen hat, weiß ich z.Z. nicht. Jetzt aber haben wir (wieder) einen Nachkriegsrekord erreicht. Im Februar 1998 wurden offiziell 4.823.184 gezählt. Das erste Mal wurde eine so exakte Zahl angegeben. Schon allein das ist verdächtig. Inoffiziell wurde bekannt, daß alle Arbeitslosen, die älter als 58 sind, weggelassen wurden, damit noch eine Zahl unter 5 Mio. erreicht werden konnte. Tatsächlich aber sind es ca. 6 Mio. Arbeitslose, denn mindestens eine Million wird unter Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM), Qualifizierungsmaßnahmen und anderen Aktionen versteckt.

Die Bundesanstalt für Arbeit operiert mit diesen geschönten Zahlen und danach sind per Februar 1998 12,6 % aller Arbeitsfähigen arbeitslos, in Westdeutschland sind das 10,5%, in Ostdeutschland 21,1 %. Das muß man sich mal vorstellen: Jeder fünfte ist in den 'neuen Ländern' offiziell arbeitslos, real wird es fast jeder Dritte sein. Und das in der Gegend, wo vor 8 Jahren noch die DDR mit Vollbeschäftigung existierte. Da kann man viel von fehlender Effektivität und Mangelwirtschaft reden, die Tatsache bleibt: In der DDR gab es keine Arbeitslosigkeit, im Gegenteil, es fehlten Arbeitskräfte. So deutlich, daß 40.000 Vietnamesen ins Land geholt wurden!

Die Arbeitslosigkeit ist das schlimmste Ergebnis der Wiedervereinigung. Gleich danach kommt das Wirken der Treuhand, jener staatlichen Einrichtung, die die gesamte DDR-Wirtschaft 'privatisiert' hat. Das heißt: Verkauft an die nationale und internationale Privatwirtschaft. Der Verkaufserlös beträgt ca. 350 Milliarden DM - aber nicht etwa Gewinn, sondern Verlust: Schulden in Höhe von 350 Milliarden DM sind bei der Privatisierung entstanden. Das muß einem erst mal jemand erklären. Das bedeutet z.B., daß Deutschland Millionen (wieviel, bleibt unter der Decke) dafür bezahlt hat, damit ABB den ehemaligen DDR-Betrieb Dampfkesselbau Bergmann Borsig, Berlin, übernimmt. Also nicht nur verschenkt wurden die Betriebe, sondern es wurde auch noch Bargeld in Milliardenhöhe dazu gelegt. Offiziell wurde das damit begründet, daß Altlasten (Umwelt, Bauten) saniert werden mußten, daß nur damit garantiert werden konnte, daß die Betriebe weiter produzieren, daß in neue Technik investiert wurde und daß damit die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Tatsächlich ist das Gegenteil passiert. Das Geld wurde kassiert und der Betrieb wurde in den letzten 5 bis 7 Jahren ausgeschlachtet und als möglicher Konkurrent des Mutterunternehmens platt gemacht. Deshalb die hohe Arbeitslosigkeit im Osten.

Ich glaube, es hat in der gesamten Geschichte der Industrialisierung noch nie so einen Fall von Verschleuderung von Industrievermögen gegeben.

Sicher ist das die größte Verschrottung funktionstüchtiger Industrieanlagen aller Zeiten gewesen . Auch das ist einmalig: Mindestens 90% aller Fahrzeugbesitzer haben ihre fahrtüchtigen Autos zwischen 1990 und 1993 weggeschmissen!

Parallel dazu hat sich in den letzten 10 Jahren die Strukturkrise in Deutschland verschärft. Globalisierung, Automatisierung und Effektivierung sind die Stichworte. Man kann heute einen Kühlschrank, einen Fernseher, eine HIFI-Anlage, weitestgehend automatisiert und ohne Menschen produzieren und an jeder Stelle der Welt für 300 bis 400 DM verkaufen. Arbeitsplätze entstehen nur noch im innovativen HighTech-Bereich und im Dienstleistungssektor. Deutschland aber setzt immer noch auf Autos, Schiffe, Maschinenbau Kohle und Stahl. Der Strukturwandel findet auch in Deutschland statt, aber nicht planmäßig und nicht in Jahren, sondern in Jahrzehnten, nur der Not gehorchend und bei Verschleuderung von Milliarden für die Subventionierung perspektivloser Unternehmen. An der Produktion von Mikrochips für die Computerindustrie hat Deutschland einen weltweiten Anteil unter 1 %. Dienstleistung ist gut, aber woher bekommen die Leute, die Dienstleistungen (z.B. Tourismus, Handwerk, Gastronomie) in Anspruch nehmen sollen und wollen, das Geld dafür her ?!?

Die gegenwärtige Regierung in Deutschland ist nicht in der Lage, effektiv für den Strukturwandel oder für die Schaffung von Arbeitsplätzen etwas zu tun. Als normaler Bürger, als 'Mann auf der Straße', hat man den Eindruck, alles wird den 'Selbstheilungskräften des Marktes' überlassen. 'Der Staat ist nicht dazu da, Arbeitsplätze zu schaffen!' sagt Arbeitsminister Blühm. So kann man das sehen. Das ist dann das Kontraprogramm zur Planwirtschaft a la DDR. Was bleibt sind Beschwörungsformeln wie z.B. die von Kohl: 'Die Arbeitslosenzahlen werden bis zum Jahr 2000 halbiert!!' Das war seine Rede noch bis vor einem Jahr. Jetzt tut er für Arbeitsplätze nicht mehr als vorher, aber er redet wenigstens nicht mehr von der Halbierung, die aus dem Nichts kommen sollte.

Was kann man in so einer Situation einem 15-jährigen Schüler (Conny) raten, der dabei ist, sich auf ein Arbeitsleben in Deutschland vorzubereiten:

1. Du mußt reich geboren werden.
2. Heirate eine reiche Frau.
3. Drehe ein 'Ding', das Dir 30 Mio. DM einbringt.
4. Gründe ein Geschäft, am besten in einem Entwicklungsland.
5. Qualifikation ist keine Garantie für Arbeit.
6. Wenn Du in Deutschland bleibst, richte Dich auf frühe Arbeitslosigkeit ein.

Jürgen Albrecht, 15. Februar 1998

 

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