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Sklavenjäger, Sklavenhändler und Sklavenhalter

Das haben wir doch alle in der Schule gelernt: Früher gab es Sklavenhalterstaaten. Das ist doch unendlich weit weg, Mesopotamien, Rom ... mindestens 2000 Jahre ist das her.

Denkste. Erstens gab es ja über das Mittelalter hinaus praktisch in allen Staaten Mitteleuropas die Leibeigenschaft. Das war die Art, in der früher Landwirtschaft betrieben wurde. Im Prinzip war es eine (milde) Form von Sklaverei. Und weil es außer der Landwirtschaft und dem Handwerk kaum produzierende Bereiche gab, war das die vorherrschende Produktionsweise. Dem Produzenten gehörte nicht nur das Land, die Gebäude und die Werkzeuge, sondern auch die Menschen, die auf diesem Land lebten. Wie lange ist es her, daß das hoc primae noctae in Deutschland abgeschafft wurde? Formal vielleicht vor 150 Jahren, de facto wahrscheinlich aber erst mit dem II. Weltkrieg.

Mit der Entdeckung und Kolonialisierung von Nord und Südamerika wurde dort die Sklaverei erst von den Kolonialisten eingeführt, während sie in Europa zurück ging. In Übersee entwickelte sich auch eine ganz andere Form von Sklaverei: In Afrika wurde professionell über hunderte von Jahren Jagd auf Menschen gemacht. Afrikaner wurden gejagt, eingefangen, in Lager deportiert und von dort als Arbeitssklaven über den großen Teich nach Nord- und Südamerika exportiert.

Dieses Geschäft haben die Portugiesen im 15. Jahrhundert erfunden und dominiert. Die Engländer stiegen im 16. Jahrhundert in das Geschäft ein und machten den Portugiesen Konkurrenz. Frankreich, Holland, Dänemark und Nordamerika beteiligten sich später auch an diesem einträglichen Handel. Hier waren die Deutschen mal nicht führend, sie waren keine ‚Seemacht‘ und sind erst zu spät auf diesen Zug aufgesprungen.

Die Kolonialgeschichte ist auch die Geschichte der Sklaverei der Neuzeit. Wer bei der Eroberung von Kolonien erfolgreich war, konnte auch im Sklavenhandel erfolgreich sein, denn er hatte ein in dieser Hinsicht auszubeutendes Territorium.

Offiziell abgeschafft wurde die Sklaverei erst im 19. Jahrhundert. Dänemark machte 1792 den Anfang, 1807 folgte ‚GROSS’britannien. Aber in Frankreich wurden die Sklaven erst 1848 frei, in den Niederlanden erst 1863 und in Amerika offiziell sogar erst 1865. Seitdem sind erst 130 Jahre vergangen! Dabei muß man bedenken, daß die Existenz eines entsprechenden Gesetzes noch lange nicht gleichbedeutend mit der Abschaffung der Sklaverei ist. Praktisch im gesamten 19. Jahrhundert gab es weltweit noch Sklavenjagd, Sklavenhandel und Sklaverei im großen Stil.

Und auch in unserem zuende gehenden Jahrhundert. Erst die Deklaration der Menschenrechte durch die vereinten Nationen 1948 (erst 1948 !!) stellt einen Qualitätssprung für den Umgang der Menschen miteinander dar.

Das bedeutet aber nicht, daß es heute keine Sklaverei mehr auf der Welt gibt. Was anderes als Sklaverei ist es, wenn ich nach Thailand fahre und mir von dort – ganz legal und ohne Geld – eine thailändische Freundin mitbringe? Und der Menschenhandel, der aus allen Teilen der dritten Welt den Nachschub für die Bordelle in Mitteleuropa liefert, was ist das anderes als die aktuelle Form von Sklavenjagd, Sklavenhandel und Sklaverei.

Daß Menschen ihre Mitmenschen versklaven ist für einen Menschen der heutigen Zeit nicht zu fassen. Unbegreiflich. Entsetzlich. Vor allen Dingen, daß das heute und jetzt immer noch passiert, ist unfaßbar. Jedenfalls für mich.

Es gibt Zahlen für Amerika: Ca. 12 Millionen Sklaven wurden in den Jahren 1450 bis 1890 von Afrika nach Amerika verschleppt. Mindestens 10 Millionen Afrikaner sind Opfer der Sklavenjagd geworden, es können aber auch 100 Millionen gewesen sein, die die Jagd und den Weg von Afrika bis Amerika nicht überlebt haben, keiner hat die Verluste gezählt.

Ich wurde durch eine kleine Notiz in der Zeitung auf das Problem aufmerksam: Die Administration von Präsident Clinton, USA, ist nicht bereit, sich für die Sklaverei in Nordamerika bei den heutigen Nachkommen der Sklaven zu entschuldigen. Alle ‚Schwarzen‘ in den USA sind ausnahmslos Nachkommen von Sklaven, die weiße Amerikaner ins Land geholt und als Sklaven gehalten haben. Ihr Ansehen bei den Weißen ist heute noch entsprechend. Der Sklaverei folgte die Apartheid, die erst seit 25 Jahren (offiziell) abgeschafft ist. Alle Leute mit dunkler oder brauner Hautfarbe erinnern die weißen Amerikaner an ihre unrühmliche Vergangenheit. Das nervt ... oder ?

Und im Angesicht dieses jahrhundertelangen schreienden Unrechts mit Millionen von Opfern (von den ausgerotteten Ureinwohnern Nord- und Südamerikas war bisher überhaupt noch nicht die Rede ...), im Angesicht dieser historischen Fakten streiten die Vertreter der deutschen Juden um ein Denkmal für den jüdischen Holocaust, fußballfeldgroß, am Brandenburger Tor.

Tucholsky hat in einem völlig anderen Zusammenhang mal geschrieben: ‚Merkt Ihr nischt ??!‘

Jürgen Albrecht, 29. August 1997

 

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