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Nachdenken über Israel... Seite 3/3

Ich frage mich, wie es kommt, daß ich mich so intensiv mit dem Thema Juden und Israel befasse. Mir scheint, es hat zwei Gründe.

Erstens bin ich vom 2. Weltkrieg geprägt. Als kleiner Junge habe ich viel davon selbst noch erlebt. Die Verbrechen der Nazis an den Juden, die mir sehr früh bewußt wurden, habe ich immer verabscheut. Dadurch hat eine Solidarisierung mit den Juden stattgefunden, später gefestigt durch das Lesen der Werke von Feuchtwanger, Thomas Mann, Stefan Zweig und anderer. Durch diese Bücher kam ich mit jüdischer Kultur in Verbindung. Persönliche Kontakte mit Juden hatte ich nicht, es gab keine in der DDR. So einfach.

Der zweite Aspekt kommt mit Sicherheit aus der DDR-Vergangenheit. Ich habe durch meinen DDR-Bildungsweg den Antifaschismus verinnerlicht und den Antisemitismus genauso selbstverständlich verdammt, wie den Faschismus. Antisemitismus war praktisch identisch mit Faschismus. Natürlich war mein Geschichtsbild und mein philosophischer Hintergrund durch die DDR-Ideologie verbogen. Aber gerade deshalb sieht man, daß das bundesdeutsche Pendant genau so verbogen ist, nur in anderer Richtung! Uns waren aber diese Verbiegungen im Gegensatz zu den Bundesdeutschen bewußt. Ich kann mich noch genau erinnern, wie entsetzt ich war, als plötzlich Yasser Arrafat neben Honecker in der Loge der Staatsoper auftauchte. Damals waren die Palästinenser erst dabei, ihre Terrorstrategie aufzugeben. Aber es war klar, das Recht auf das Land, war auf der Seite der Palästinenser.

Über die Juden und Israel habe ich einfach zu wenig gewußt. In der DDR gab es dazu nur dirigierte Informationen: Die offizielle Unterstützung der Palästinenser, ohne Erläuterung der Hintergründe. Überraschend ist für mich im nach hinein die Tatsache, daß sich auch die DDR jeder deutlichen Kritik der israelischen Politik enthalten hat. Wollfsohn liefert dazu interessante Fakten.

Wirklich schwer getroffen hat mich die Erkenntnis, daß ich mit meinen Ansichten für den Zentralrat der Juden ein Antisemit bin. Ich ein Antisemit, ein Faschist?!! Unfaßbar, unsäglich und unbegreiflich.

So ge- und betroffen durch diese Klassifizierung und Gleichsetzung kann nur ein Ossi sein. Ich bin davon überzeugt, daß Wessis das alles nicht mehr sehen, denn sie sind mit diesen Konflikten aufgewachsen und haben sie längst "bewältigt", sprich: Verdrängt. Die berühmte Wende stellt althergebrachte, zementierte Strukturen und Sichtweisen nicht in Frage.

Ich halte es für längst überfällig, daß sich die deutsche Politik von Israel distanziert. Nicht von den Juden. Aber umsomehr von der Politik eines provokanten Staates, der die Menschenrechte, das Völkerrecht und die UNO täglich mißachtet.

Jürgen Albrecht, 25. Februar 1995

 

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