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Darf's denn auch ein Ossi sein ? 2/2

Ein Sieger- und Gewinnertyp war und bin ich seit mindestens einem halben Jahrhundert. Notgedrungen bin ich sparsam, Tausender gebe ich nicht aus. Wenn ich mal einen habe, werde ich ihn mir genau ansehen. Partnerinstitute können an mir nichts verdienen, denn ich suche keine Partnerin, lebe alleine und bin damit ganz fröhlich und zufrieden.

Soviel die faszinierende Übereinstimmung. Jetzt aber wird es schwierig, denn jetzt müssen wir mit entscheidenden Unterschieden fertig werden: Der erfolgreichen Unternehmerin könnte ich bestimmt mit Rat und Tat zur Seite stehen. Welche Figur aber mache ich neben ihr beim 'hochkultivierten Lebensstil mit Klasse'? Was sagen die Partygäste wenn sie erfahren, daß ich erst 1993 das erste Mal in der Toscana war, daß ich die Bronzetüren des Baptisteriums und seinen wahnsinnigen Fußboden vorher nur von Bildern kannte?

Was werden sie zu meinem Englisch sagen? Russische Gäste, mit denen ich mich hervorragend unterhalten könnte, werden nur selten eingeladen. Sechzig Jahre bin ich schon alt, aber einen Anzug aus Kaschmir kann ich mir immer noch nicht leisten. Wie sieht das aus, ein Glencheck einfach nur aus Schurwolle. Und sehe Sie doch Gnädigste, diese Schuhe! Natürlich keine italienische Maß- und Handarbeit.

Das wäre alles noch zu ertragen und zu kaschieren. Aber absolut passen muß ich ja bei Grundbesitz im In- und Ausland. Schon 'sehr vermögend' übersteigt meine Vorstellungskraft. Ich habe meinen Kindern angekündigt, daß ich ein großes Fest gebe, wenn ich das erste Mal im Leben 5.000 DM netto im Monat verdient habe. Aber noch fehlen einige Prozente. Die gegenwärtigen Aussichten auf eine Nullrunde im öffentlichen Dienst lassen die Chancen für diese Fete schwinden.

 

Habe ich dem 'sehr vermögend' nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen, so muß ich spätestens beim Grundbesitz im In- und Ausland einsehen, daß ich hier der falsche Mann am falschen Platze bin. Zwanzig Jahre haben wir in Köpenick auf dem Grundstück gerackert und gebaut. Hinter jedem Ziegelstein und jeder Rolle Dachpappe steht eine Beschaffungs Odyssee. Die in Klein- und Handarbeit entstandene Hütte ist als Wohnhaus zu klein, als Gartenlaube zu groß.

Gott sei Dank hilft uns die Wende aus dem Dilemma: Der im Grundbuch eingetragene Eigentümer besichtigt seinen Grundbesitz, für den er in den letzten 40 Jahren weder die Kaufsumme noch Steuern bezahlt hat. Er unterbreitet uns ein ultimatives Angebot, wir akzeptieren verschreckt und werden erst in 25 Jahren die Schulden wieder los sein.

Im Gegensatz zu dieser Misere, der Grundbesitz im In- und Ausland! Nie komme ich als 'echter' Partner für diese vielleicht sogar sympathische Dame in Betracht. Denn was kann Witz und Charme eines schlanken Nichtrauchers gegen Grundbesitz im In- und Ausland ausrichten? Nichts. Sofort, wenn er sich mit seinen Grundbuch- und Kontoauszügen ausweisen muß, steht er im Regen und wird als der erkannt, der er ist: Felix Krull, der mit herzlichem Lachen und geistreichen Reden versucht, in der hoch kultivierten Welt der alten Bundesrepublik maßlos glücklich zu werden.

Aber die Powerfrau mit ihren intelligenten Kindern hätte ja keine Klasse, würde sie nicht sofort durchschauen, daß sich da ein viel zu hoch pokernder Ossi als Wessi verkleidet hat!

Eine typische, aufschlußreiche Story aus dem deutschen Alltag. Kaum zu glauben, wie allgegenwärtig die jüngere deutsche Geschichte ist und wie rigoros sie Deutsche von Deutschen noch auf lange Zeit trennen wird.

Jürgen Albrecht, 26. April 1996

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