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Die Tagesschau im Internet

Gestern um 16:42 Uhr habe ich meine erste Online Transaktion mit der AMEX Bank über die Bühne gebracht. Damit habe ich mit meinem privaten Rechner den derzeitigen technischen Zustand erreicht, der heute maximal möglich ist. Das ist die gegenwärtige Online Situation in Deutschland:

Die Installationen sind schwierig, die an einem Rechner erforderlich sind, um den Onlinebetrieb zu ermöglichen. Für einen Laien ist das nicht zu schaffen: Es ist eine ISDN-Karte zu installieren. Die Software des Providers (T-Online) ist zu installieren und einzurichten. Für das Home-Banking ist eine gesonderte Software erforderlich. Drei Wochen lang hat die ISDN-Karte einen Interrupt-Konflikt erzeugt, den erst gestern durch den Einsatz von Spezialisten beseitigt werden konnte.

Der Onlinebetrieb ist nicht plattformunabhängig. INTEL, UNIX, Macintosh und andere Rechner, überall andere Hardware, andere Software und andere Installationsprobleme. Bei INTEL-Rechnern gibt es mindestens vier Varianten: DOS, Windows 3.11, Windows 95 und Windows NT. Für NT gibt es kaum ISDN Hard- und Software. Am besten klappt die Installation wahrscheinlich unter Windows 95. Ich habe auf meinem Rechner NT und Windows 3.11 und habe den Onlinezugang unter 3.11 installiert. Unter NT hätte die ISDN-Karte statt 199 DM 1800 DM gekostet und es gibt keine Banksoftware unter NT, ob T-Online unter NT läuft, ist unklar. Facit: Riesige Vielfalt und große Verwirrung!

Ohne Provider (beispielsweise T-Online) kommt man nicht ins Internet. Das kostet ein ISDN-Anschluß: 51,- DM pro Monat Grundgebühr, 5 Pfennig pro Minute Internet (unabhängig von der Tageszeit). Telefongepräche sind extra zu bezahlen und die Kosten sind abhängig von der Tageszeit: 30 Min. maximal 2,40 DM, minimal 0,96 DM.

Im Internet existieren gegenwärtig 60 Millionen Adressen = Homepages. Das Internet boomt : TV- Sender, Radio, Zeitungen, Städte, Hochschulen, Firmen, Privatleute ... alle gehen in diesen Monaten online. Man rechnet bis zum Jahresende mit 150 Millionen Adressen weltweit. Der Boom kommt aus Amerika und deshalb ist English die Sprache des Internets. Das Angebot ist chaotisch, es ist nur mit Suchmaschinen zu beherrschen. Aber gerade die weltumspannende Vielfalt und die totale Freiheit dieses Mediums (Zensur ist praktisch unmöglich) machen das Internet hoch interessant. Die Freiheit des Internets wird die Gesellschaft verändern, Diktaturen haben Probleme, ihr Volk bei der Stange zu halten (China, Vietnam u.a.). Bombenbauer, Neonazis, Pädophile und andere Randgruppen nutzen dieses Medium heute schon ungeniert.

Werkzeuge zur Produktion von Internetseiten entwickeln sich sprunghaft. Das führende Produkt ist gegenwärtig Microsoft Frontpage. Wieder MS, die Gelddruckmaschine von Bill Gates. Er wird mit seinem Internet Explorer auch den Netscape Navigator verdrängen, diese Offensive hat gerade begonnen.

Das Internet hat in den letzten zwei Jahren eine ungeheure Dynamik entwickelt. 1994 wußten nur Insider etwas von der Existenz des Internet. Im Sommer 1994 hat uns Jörg Dannenberg in Halle vorgeführt, wie man mit Netscape online geht.

 

Begeistert war niemand, denn es gab kaum interessante Adressen im Internet und die Geschwindigkeit des Seitenaufbaus war entsetzlich langsam. Trotzdem konnte man sich schon damals schnell und einfach Treiber aus dem Internet beschaffen.

Auch heute läßt die Geschwindigkeit noch viel zu wünschen übrig. Der ISDN-Anschluß überträgt offiziell 64 kbps. Ich habe noch nicht viel mehr als 10 kbps an meinem Rechner gesehen. In Halle haben wir eine Leitung von 2 mbps, aber erreicht werden auch nur 10 Prozent davon. In den nächsten Wochen wird die Leitung in Halle auf 30 mbps erweitert. Nutzbar ist diese Geschwindikgeit kaum, der nächste Server ist das nächste Nadelöhr.

Was kann ein Privatmann heute mit dem Internet anfangen? Weltweit recherchieren nach Informationen, Software beschaffen (downladen), Post verschicken (E-Mail), Bestellungen auslösen, Nachrichten lesen, hören und sehen, Bankgeschäfte tätigen, und auf Shopping Tour gehen. Internet Geld gibt es noch nicht und das Risiko des Einsatzes der Kreditkarte im Internet ist hoch. Generell ist die Qualität und die Benutzerfreundlichkeit noch viel zu gering und alles wird durch die geringe Geschwindigkeit gebremst. Es ist einfach nicht akzeptabel, wenn es eine Minute dauert, bis eine Homepage (ohne Grafik !) aufgebaut ist.

Home Banking ist bei American Express und mindestens 50 anderen Banken in Deutschland heute möglich. AMEX (USA !) ist nicht führend, andere Banken sind schon ein Jahr länger online. Nach der Ankündigung hat es bei AMEX fast ein Jahr gedauert, bis jetzt die Möglichkeit von Home Banking geschaffen ist. Nur drei Dinge sind mit der Software von AMEX möglich: Kontostand, Überweisungen und Kontoauszug. Die Software ermöglicht nur die minimalsten Funktionen und ist noch dazu nicht gut zu bedienen. Kein Vergleich beispielsweise mit Quicken. Wird der AMEX-Rechner vom System angewählt, so gibt es in 8 von 10 Fällen eine Fehlermeldung.

Die Dresdener Bank verwendet Quicken als Schnittstelle, das ist wesentlich geschickter. Für den Bankverkehr benötigt man generell ein Paßwort (5 Stellen: PIN) und für jede Überweisung noch einmal eine Transaktionsnummer (6 Stellen: TAN). Die TAN's werden dem Kunden per Brief zugeschickt ... nicht gerade vertrauenerweckend. Den PIN kann der Nutzer ständig verändern. Das ist bestimmt noch nicht das endgültige Sicherheitssystem, aber das ist heute der Stand der Technik.

Als Fazit kann man sage, das Internet entwickelt sich gerade im Jahr 1996 ganz rasant. Es ist aus der Zivilisation der ersten Welt schon nicht mehr wegzudenken. Das Internet wird zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor. Dazu wurde der Aufbau der Datennetze in den letzten fünf Jahren durch staatliche Mittel umfangreich gefördert. Die Angebote für den Nutzer des Internets stehen hinsichtlich Inhalt und Form absolut erst am Anfang, aber ihre Bedeutung wird zunehmen. Es ist nicht abzusehen, wohin sich dieses Medium in den nächsten 20 Jahren entwickeln wird.

Jürgen Albrecht, 20. August 1996

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