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Rechtschreibreform in Deutschland

In Deutschland wird über eine Rechtschreibreform gestritten (...was ist 'richtig': Rechtchreibe- Rechtschreibungs- oder Rechtschreibreform?). Seit mehr als 20 Jahren arbeiten Experten aus Deutschland, der Schweiz und Österreich verbissen an diesem Problem. Die Rechtschreibung und Interpunktion soll vereinfacht werden. Vor einem halben Jahr hat sich die Kultusministerkonferenz für die Rechtschreibreform entschieden. Seitdem gibt es ein entsprechendes Gesetz und eine Übergangsregelung, erst im Jahr 2005 soll die neue Schreibweise die einzig rechtmäßige solche sein.

Worum geht es bei der Reform? Aus meiner Sicht sind es nur Lappalien, die geändert werden sollen. Ein paar Fremdwörter werden eingedeutscht, damit heißt es z.B. nicht mehr Philosophie, sondern Filosofie (oder Filosofi ?), das nur in der Deutschen Sprache verwendete 'ß' fällt weg und wird durch "ss' ersetzt, aber nicht generell wieder gibt es Ausnahmen. Es gibt Änderungen in der Groß- und Kleinschreibung aber keine klare Linie. Außerdem sollen viele Kommaregeln gestrichen werden, die ich sowieso nie begriffen habe. Das ist schon alles. Es ist eher ein Reförmchen als eine Reform. Früher war mal von genereller Kleinschreibung und anderen radikalen Einschnitten die Rede. Das ist alles vom Tisch. Übrig geblieben ist der kleinste gemeinsame Nenner dieser drei Länder. Das, was keinem der Filologähn wirklich weh tut.

Jetzt, Monate, nachdem die Würfel gefallen sind, fängt in den deutschen Landen ein riesiges Geschrei an. Der Sohn eines Lehrers sagte zu seinem Vater: 'Jetzt mußt Du aber endlich was unternehmen!' Erst nach diesem Anstoß schreibt Papa einen Protestaufruf und schickt ihn zur Unterschrift an die Elite der deutschsprachigen Schriftstellen. Die unterschreiben auch sofort - es kostet ja nichts - und die Medien haben kurz nach dem Sommerloch und kurz vor der Frankfurter Buchmesse ein Thema für endlose Headlines, Essays und Kommentare.

Plötzlich und unerwartet ist sich scheinbar ein ganzes Volk gegen einen Haufen Pedanten, Krümelkacker und Sesselfurzer einig: Diese Reform ist keine, das ist nur Schnulli, der viel Geld kostet. Wir bleiben beim alten System!

Aber so einfach ist das nicht, Gesetz ist Gesetz. Die Leute, die sich von Berufs wegen tagtäglich mit der Sprache befassen, sind zu spät aufgewacht. Jeder fragt sich jetzt natürlich hämisch, wo haben denn die Ritter der Feder und der Schreibmaschine, wo die Macher der Printmedien und die Chefs der Verlage in den letzten 20 Jahren gelebt? Reich-Ranitzki und sein Quartett, das sich endlos über nichts streitet: War es in Deutschland, eingebunden in diese Gesellschaft? Ist die Sprache und ihre rechte Schreibung, die sie doch existentiell betrifft, völlig an ihnen vorbeigegangen?

Warum das völlige Desinteresse in der Vergangenheit und die Hysterie in der Gegenwart?! Keiner kann die Fragen beantworten, keiner will solche Fragen hören. Jetzt geht es nur darum, die Reform zu verhindern. Der Protest schweißt die Langschläfer zu einer mächtigen Allianz zusammen.

 

Mir persönlich ist das ganze Geschrei völlig egal. Nach dem Motto 'Man gewöhnt sich an alles', hätte ich keine Probleme, dass Doppeless zu akzeptieren, zumal mir der Speller des Computers schon sagen wird, wie ich das schreiben soll. Mir ist klar, daß jede Rechtschreibung nur ein schlechter Kompromiß zwischen Sprache und Schrift sein kann. Beides sind völlig unterschiedliche, noch dazu dynamisch sich entwickelnde Medien, die man nicht normieren kann. Deshalb ist es aus meiner Sicht völlig egal, welche Vereinbarung getroffen wird, sie ist immer willkürlich.

Einen Aspekt aber finde ich hoch interessant, und daraus kann noch was werden: In dieser Situation wird eine spannende Frage neu gestellt: Müssen wir denn überhaupt eine eineindeutige Rechtschreibeordnung haben, an die jeder per Gesetz gebunden ist?? In dieser freiesten aller freien Welten und in einer Zeit, in der es fast anrüchig ist, sich an überkommenen Werten festzuklammern, wird der Ruf laut: Jedem freien Bürger muß es erlaubt sein so zu schreiben, wie er es für sich persönlich richtig hält. Weg mit der Bevormundung des Staates beim Schreiben von Liebesbriefen, jeder Schriftsteller hat seine aigenä Ortohgravieh. Jeder macht mit dem Satz, den er in die Welt setzt, das, was ihm gerade einfällt. Diese Sichtweise paßt haargenau in den Werteverfall, die Überbetonung der persönlichen Freiheit und den überall zu beobachtenden Niedergang jeder Art von Kultur.

Ich bin gegen die strikte Reglementierung des Schreibens. Nur aus einem einzigen Grund: Man kann die rechte Schreibung nur setzen und verordnen, das Medium Sprache läßt ein anderes Vorgehen überhaupt nicht zu. Alle grammatikalischen Spitzfindigkeiten sind nutzlos, weil Eindeutigkeit und Wahrheit hier nicht existieren. Auf der anderen Seite wäre es für den Informationsfluß wirklich hinderlich, wenn jeder so schreiben würde, wie er spricht. Entsetzlich, die E-Mails eines Bayern oder eines Sachsen aus dem Erzgebirge lesen zu müssen.

Zwischen diesen Polen muß ein Mittelweg gefunden werden. Mit dem DUDEN ist dieser Mittelweg vorhanden: In der Schule wird eine (willkürlich) normierte Schreibung gelehrt und zensiert. Im wahren Leben wird sie dann nicht mehr so ernst genommen.

Nachdem sich die Aufregung auf dem deutschen Hühnerhof gelegt hat wird man feststellen: Es gilt der DUDEN oder eine andere autoritär gesetzte Normierung für die deutsche Schriftsprache. Sie wird der lebendigen Sprache nicht gerecht, trotzdem ist sie nützlich. Und niemand wird vor Gericht gezerrt, der die offizielle Schreibung einfach ignoriert.

Wozu also das ganze Geschrei?!

Jürgen Albrecht, 30. Oktober 1996

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