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Juden in Deutschland

Lange habe ich nichts mehr zu den Juden in Deutschland und Israel geschrieben, ihre Situation aber habe ich aufmerksam verfolgt. Es hat sich nichts geändert: Juden und Palästinenser in verbissenem Kampf, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Die Israelis sind der Meinung, ihnen gehört das Land, weil vor 2000 Jahren ihre Väter hier wohnten und sie von Gott beauftragt sind, jetzt und hier den Staat Israel aufzubauen. Die Palästinenser werden mit brutaler Gewalt aus ihrer Heimat vertrieben und sie wehren sich mit brutaler Gewalt dagegen. Ein tödlicher Kreislauf.

Er erreichte in den letzten Monaten traurige Höhepunkte: Israels Geheimdienst ermordet Palästinenserführer und führt Krieg gegen den Südlibanon. Palästinenser verüben Selbstmordattentate: Einer der glaubt, auf direktem Wege in den Himmel zu kommen, hängt sich eine Bombe um, steigt in einen Bus voller Israelis und zündet den Sprengsatz. Daß Israels Premierminister Rabin von einem Israeli erschossen wurde, hat ganz Israel in eine Identitätskrise gestürzt. Bisher galt die Doktrin: Ein Israeli tötet keinen Israeli, er tötet immer nur andere. Was nun?

Im Spiegel stand - das erste Mal - ein sehr vernünftiger Artikel von H.M. Broder (Das Ende des Judenstaates, DER SPIEGEL, 49/1995). Er stellt die Frage, ob es nicht vielleicht an der Zeit wäre, daß Israel sich bemüht, ein normaler und demokratischer Staat am Rande von Europa zu werden. Heilsgewißheit erscheint auch ihm in diesen Zeiten als Staatsphilosophie ungeeignet.

Wie weit weg Israel von mitteleuropäischer Normalität ist, zeigte sich in der vergangenen Woche beim Staatsbesuch des Israelischen Präsidenten, Ezer Weizman, in Deutschland:

Öffentlich und vor den Repräsentanten des Zentralrats der Juden und Vertretern Jüdischer Gemeinden erklärte er, es sei unbegreiflich, daß nach dem Holocaust Juden weiterhin in Deutschland leben. Die deutschen Juden sollten unverzüglich nach Israel auswandern. Die Heimat für Juden sei allein Israel, gegründet als deren einzig sichere Zufluchtsstätte.

Alles, was er sonst noch sagte, bezog sich auf den Holocaust und war Mahnung an die Deutschen: 'Lassen Sie nicht zu, daß die Vergangenheit geleugnet wird. Rassismus und Antisemitismus müssen bekämpft werden, damit wir eine bessere Welt aufbauen können.'

 

Was soll man dazu angesichts der Zustände im 'Heiligen Land' sagen? Was haben sie mit dem Holocaust zu tun? Ist das die bessere Welt? Eine bessere Welt ausschließlich für Juden? Das ist pure Heuchelei. Nur eine verschwindende Minderheit der Deutschen leugnet den Holocaust. Deutschland (besonders Ostdeutschland) hat seine Lektion aus dem zweiten Weltkrieg wesentlich besser gelernt, als Israel. Was unterscheidet den Kampf Israels gegen seine Nachbarn gegenüber religiösem Fanatismus und Rassismus?

Das Fazit? Es ist erschreckend. Keine westliche Demokratie kann guten Gewissens Israel unterstützen. Im Gegenteil, international muss man Israel in den Arm fallen, um die Gewalt gegen seine Nachbarn zu stoppen. Mit der Einheit von Staat und Religion paßt Israel nicht in das 20. oder 21. Jahrhundert. Dieser religiöse Staat ist entschlossen, zur Durchsetzung seiner 'Auserwähltheit' alle Mittel zum Einsatz zu bringen. Wenn nichts mehr hilft, auch seine amerikanischen Atomwaffen. Wozu gibt es sie sonst?

Der in Gang gekommene Friedensprozeß mit den Palästinensern (Land gegen Frieden) wird nur dann die Gewalt stoppen können, wenn sowohl Israel wie auch die Palästinenser ihren Anspruch aufgeben, den eigenen Staat auf dem Territorium des jeweils anderen aufzubauen. Es sieht nicht danach aus, daß diese Positionen aufgegeben werden. Endloser Streit, endloser Terror und Krieg sind vorprogrammiert.

Die westliche Welt braucht angeblich Israel als Vorposten gegen ... ja gegen was eigentlich? Wo ist der Feind nach dem Ende des Kalten Krieges? Sind es die anderen arabischen Gottesstaaten? Öl und Geld spielen hier die entscheidende Rolle. Und es ist das Glück Israels, im Nahen Osten an einer strategisch wichtigen Position zu sitzen. Deshalb wird Israel nicht geächtet. Vornehm wird die elitäre Religion der 'Söhne Davids' ignoriert.

Was denken deutschen Juden? Nichts hört man davon. Ich bin sicher, viele von ihnen sind einfach nur Deutsche mit einer anderen Religion, die sie mehr oder weniger ernst nehmen. Was ist dabei? Nichts, solange aus Juden keine Zionisten werden. Die Juden in aller Welt lassen sich instrumentalisieren. Ihre Führer reden ihnen ein, daß Israel ihre Heimat ist und daß sie in der Diaspora leben, vorübergehend, auf Zeit, provisorisch. Untrennbar sei jeder Jude mit Israel verbunden. Sicher könne er nur in Israel sein (s. Weizman). Jeder Jude - im Prinzip auch ein Israeli.

Und was ist Antisemitismus? Die Vertreter der Juden definieren, was Antisemitismus ist. Sie nehmen das schlimme Wort wörtlich und da ist die Sache ganz einfach: Jeder, der eine kritische Position gegenüber Juden einnimmt, ist ein Antisemit. Da offenbar auch kein Unterschied mehr zwischen Juden und Israelis besteht, muss in den Augen von Juden auch jeder ein Antisemit sein, der Israels gewalttätige Politik kritisiert.

Wie schaffe ich es, einfach nur ein Deutscher zu bleiben, der den Einfluß der Juden auf die deutsche Wissenschaft, Kunst und Literatur seit der Aufklärung bewundert, der dem untergegangene Schtedl nachtrauert und der eine Gänsehaut bekommt, wenn am Freitag Estrongo Nachama singt? Warum bin ich trotzdem für Ignatz Bubis ein Antisemit ?

Jürgen Albrecht, 21. Januar 1996

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