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Vorteil und Prozente

'Vorteil & Prozente' - ein Zeitschriftentitel (der Hypobank), der wie die Maxime der heutigen Zeit klingt. Es geht um Vorteil und Prozente, um nichts anderes, nichts ist wichtiger. In dieser Zeitschrift ist eine Grafik über das Geldvermögen der privaten deutschen Haushalte abgedruckt. Auf der anderen Seite - Lapsus der Redaktion - das Geldvermögen der privaten ostdeutschen Haushalte.

Jeder, der das liest und die Grundschule besucht hat, fängt an zu rechnen. Was kommt raus: In Ostdeutschland befindet sich 5,25 % des gesamten privaten Kapitals, der kümmerliche Rest ist im Westen versammelt. Diese Zahl, 5,25 %, sagt mehr aus über den Zustand von West und Ost, als alle Studien, Statistiken, Meinungsumfragen und Befindlichkeits Untersuchungen. Nach fünf Jahren im wiedervereinigten Deutschland hat der ostdeutsche Bürger zwanzig Mal weniger Geld auf der Bank als sein westdeutscher Mitmensch. Sein politischer Einfluß in Deutschland beträgt 5,25 %, vom ehemaligen Volkseigentum gehören ihm 5,25 %. 94,75 % des Geschäftes machen die Westdeutschen. 5,25 % ihres Reichtums haben sie in den vergangenen fünf Jahren dazu verwendet, ihre ostdeutschen Brüder und Schwestern ruhig zu stellen.

 

Die mit 5,25 % gekauften Ossi's haben still gehalten, als die Wessis die Macht in den neuen Ländern übernahmen, die DDR-Immobilien unter sich aufteilten, zwei Drittel der Arbeitsplätze weg rationalisierten und die Wirtschaft demontierten, um die Konkurrenz im eigenen Lande auszuschalten. Maximale Vorteile für 5,25 Prozent. Wo gibt es noch einmal so ein hervorragendes Geschäft?

Aber es bleibt uns ein Trost: Diese Zahlen sagen nichts darüber aus, wie das Geld in der Bevölkerung verteilt ist. Ich schätze, 90 % des Gesamtvermögens liegt in der Hand von 500 (westdeutschen) Familien, die es seit dem Mittelalter verstanden haben, Geld zu machen, zu vermehren, es über die Kriege zu retten und damit die Politik zu dominieren. Den Rest teilt sich das Volk in Ost und West.

Und das Volk ist gleich. Es sitzt auf dem Sofa, im Auto, oder am Strand von Mallorca. Politik interessiert nicht, solange Fressen, Ficken und Fernsehen gewährleistet ist.

Nach einem kurzen, irritierten Aufschrei ist die Welt wieder in Ordnung. Weitermachen!

Jürgen Albrecht, 25. Dezember 1995

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