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Neue Herren - Neue Namen

In den Jahren nach der Wende hat es schon ein paar Mal solche Aktionen des Berliner Senats gegeben: Straßennamen aus der DDR-Zeit werden umbenannt. Dagegen hat es Protest gegeben, der sich genau so verbissen zeigte wie die Bemühungen der Leute, die unbedingt die Straßen umbenennen wollten. Jetzt ist es gerade mal wieder so weit. Es gibt noch ein paar Straßennamen aus sozialistischer Zeit: Clara Zetkin, Hans Beimler, Dimitroff, Besarin, Artur Becker.

In Berlin wurde dazu extra ein Gesetz verabschiedet, das dem Senat die Befugnis gibt, Straßennamen ohne Zustimmung der Stadtbezirke umzubenennen, in denen diese Straße liegen. Die Berliner Zeitung hat in diesen Tagen eine Befragungsaktion unter ihren Lesern gestartet. Das Ergebnis: Mehr als 90% der Leute halten nichts von der Umbenennung. Das entscheidende Argument dagegen ist, daß dadurch Steuergelder aus dem Fenster geworfen werden und den Anwohnern Kosten entstehen.

Ich frage mich einfach, ob es nicht in Berlin genug andere Probleme gibt? Warum können die Sieger der Geschichte nicht wenigstens an dieser Stelle etwas Größe und Toleranz aufbringen? Aber der Mensch ist nicht großzügig und tolerant. Alles was dem ehemaligen Feind gehörte, alles was an ihn erinnert, muß von der Bildfläche verschwinden. Ob das sinnvoll, effektiv und vernünftig ist, wird nicht gefragt. Die Straßennamen sind nur ein Nebeneffekt des eigentlichen Problems. Viel schlimmer ist der bundesweite Boykott von Waren, die in den neuen Ländern hergestellt werden, das Plattmachen eigentlich gesunder Betriebe aus Konkurrenzgründen und es geht bis zum (immer noch nicht endgültigen) Abriß des Palastes der Republik und der Tilgung bestimmter Wörtern in der Umgangssprache.

Mir ist Hans Beimler genau so schnuppe wie Dimitroff, Otto Braun und die Kurfürstin Dorothea. Ich halte überhaupt nichts davon, Menschen bereits zu Lebzeiten zur Legende zu machen und sie nach ihrem Tode zu glorifizieren. Aber auch darin sind sich die Systeme in Ost und West entsetzlich ähnlich. Jedes Volk und jede Führung braucht seine Helden. Es geht nicht ohne Götter und es geht nicht ohne Heroen und Märtyrer. Das ist mir unbegreiflich. Welcher Rummel wird z.B. mit den Namen von Goethe, Thomas Mann, Lenin, Adenauer, Churchill und Elvis Presley gemacht.

 

Dabei waren das in ihrer Zeit Leute wie Du und ich. Sie hatten eine herausragende Stellung, ja doch, aber mehr nicht. Es waren auch nur auch nur Menschen, die täglich aufs Klo gehen mußten und die Stärken und Schwächen hatten, wie wir alle. Warum müssen sie zu Göttern erhoben werden? Warum braucht der Mensch immer Legenden und Leittiere?? Was für ein Kult wurde z.B. im Sozialismus mit Thälmann, Lenin, Marx und Ho-Chi-Minh getrieben. Und das von einer offiziell atheistischen Gesellschaft, die stolz auf ihre 'wissenschaftliche Weltanschauung' war !!

Sicherlich kann man das aus der menschlichen Evolution heraus erklären und verstehen. Aber ganz hört es auf, wenn man die Straßennamen von kommunistischen Widerstandskämpfern ausradieren will, sich gleichzeitig aber seit 1945 eine machtvolle Lobby dagegen erfolgreich wehrt, daß die Straße 'Am Reichssportfeld' und Kasernen umbenannt werden, die eineindeutig auf die Nazi Zeit Bezug nehmen.

Außerdem wird gerade jetzt aus Anlaß des 50. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges eine hitzige, öffentliche Diskussion darüber geführt, ob der 8. Mai, der Tag der Kapitulation Nazi Deutschlands, ein Tag der Befreiung war, oder nicht. Für alle Ossi's ist das mit Sicherheit keine Frage, über die sich das Nachdenken lohnt. Auch wenn man die 40 Jahre DDR völlig ausklammert ist doch eindeutig, daß Deutschland am 8. Mai endlich durch den Sieg der Alliierten (nicht nur durch die Russen!) von der Nazi Diktatur befreit wurde. Jetzt aber wird öffentlich von ‚Alten Kameraden' diskutiert, daß Deutschland eine schmähliche Niederlager 'auf dem Feld der Ehre' erlitten hat - und es geht keinen Aufschrei durch die Medien !! Dabei hat Richard v. Weizsäcker schon vor 10 Jahren dazu alles gesagt, was zu sagen ist: 'Die Situation am 8. Mai 1945 ist nicht das Ergebnis des Kriegsendes sondern das des Kriegsanfangs.' (Sinngemäß, er hat es besser formuliert).

Betrachtet man die Situation im wiedervereinigten Deutschland etwas weniger provinziell, so wird die Umbenennung von Straßen in Ostberlin zur Farce. Man kann sich wirklich nur wundern, wie kleinkariert Politik in Deutschland sein kann.

Jürgen Albrecht, 26. April 1995

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