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Auch dieser Staat hat keine Moral

Noch gibt es eine Zeitschrift mit dem Namen 'HORCH UND GUCK'. So hieß die 'Firma' im Volksmund der DDR, das Ministerium für Staatssicherheit, MfS. In der Ausgabe Nr. 3 / 1994 wird eine Beratung des Bundestages vom 23.06.1994 zum Abschlußbericht des KoKo-Untersuchungsausschusses (Bereich Kommerzielle Koordinierung) protokolliert. (Anlage)

Der Untersuchungsausschuß sollte die Geschäfte des 'DDR-Devisenbeschaffers' Alexander Schalck-Golodkowski aufhellen. Den Ossi's war am Anfang überhaupt nicht klar, daß seine Geschäfte nur funktionierten, weil Regierung und Wirtschaft der Bundesrepublik stark involviert waren und daran hervorragend verdienten. Viel entscheidender aber ist, daß damit die Bundesrepublik die Zustände in der DDR über Jahre (Jahrzehnte?) stabilisiert hat. Die Wessis wußten von Anfang an, wie brisant das Thema war. Der von der CDU geführte Untersuchungsausschuß hat sich deshalb auch auf Schalks DDR Aktivitäten konzentriert und alle Versuche abgeblockt, die West Aspekte zu untersuchen. Im Ergebnis hat es dazu geführt, daß Frau Köppe (Bündnis 90) als Mitglied dieses Ausschusses einen Minderheitsbericht erstellt hat. Der wurde von der Bundesregierung als geheim eingestuft und darf 30 Jahre nicht veröffentlicht werden. Frau Köppe hat resigniert und hat darauf verzichtet, sich wieder als Bundestagsabgeordnete wählen zu lassen. Ein Jammer.

Ein Staat hat keine Moral. Es zählt nur, was nützt. Kann man das so verallgemeinern? Gibt es überhaupt den 'Staat' an sich, es handeln doch immer Menschen. In vielen Fällen handeln sie aber mit dem Mandat des Staates. Und in diesen Fällen sieht man immer wieder faszinierende Parallelen zwischen DDR und dieser Bundesrepublik. Natürlich hat die Bundesrepublik kein Interesse an der Aufdeckung ihrer Geschäfte mit der DDR. Denn sie waren (und sind) nur der Rendite verpflichtet, schmutzig und tagtägliche Praxis. Geld stinkt nicht. Aber es sollen möglichst wenige wissen, wie es stinkt. Der Staat hat die Macht, also nutzt er sie. Die DDR hat das gleiche getan. Daß dabei für den berühmten 'Mann auf der Straße' (auch wenn er noch so dumm ist) erkennbar ist, daß hier mit zweierlei Maß gemessen wird, spielt keine Rolle. Es muß der schöne Schein gewahrt werden.

 

Ein weiteres Beispiel für 'zweierlei Maß': Der Alt Nazi Lehnigk-Emden hat unstrittig 1943 in Italien 15 Frauen und Kinder ermordet. Er wurde erst jetzt in Deutschland ‚entdeckt'. Der Bundesgerichtshof, das höchstes Organ der Bundesrepublik, hat ihm Straffreiheit verschafft, weil die Tat nach der Auffassung des BHG verjährt ist (SPIEGEL 10/1995, S. 24). Der ehemalige Minister für Staatssicherheit, Mielke, wurde rechtskräftig zu acht (?) Jahren Gefängnis verurteilt. In einem Prozess mit schwachen Indizien wegen eines angeblich in Auftrag gegebenen Doppelmordes im Jahr 1928.

Was ist das anderes als zweierlei Maß? Und niemand sollte mir Sympathien für Mielke unterstellen! Leider ist das, was dieser Herr mit seinen Genossen in der DDR angerichtet hat, ist in keinem Land der Welt strafbar !! Das muß man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen: Auf dieser Welt gibt es keine Gesetze, die Staatsterrorismus oder den Terrorismus eines Staatschefs unter Strafe stellen. Warum gibt es das wohl nicht ? Mehr als dreimal darf geraten werden.

Es gibt auf dieser Strecke noch viele Parallelbeispiele. Man muß sie nur sehen wollen. Auch das Kapitel 'Juden' ist offensichtlich voll von Lügen, Heuchelei und Charakterlosigkeit. Auf der einen Seite offizielle Unterstützung der deutschen Juden und des Staates Israel durch die Bundesrepublik und auf der anderen Seite Nazifreundlichkeit, Leugnen oder Verdrängen des Holocaust bis hin zu direktem Antisemitismus. Gestern hat es die Bezirksversammlung in Steglitz zum wiederholten Male abgelehnt, daß in Steglitz ein Mahnmal (Spiegelwand) für die im 2. Weltkrieg umgebrachten Steglitzer Juden errichtet wird. In der Zeitung finde ich heute nichts dazu !! Aber ich bin sicher, alle werden beteuern, dass das mit Antisemitismus nichts zu tun hat.

Aber wehe, einer hält ein Schild hoch auf dem steht: ‚Israel, nein Danke!'
Eine Strafanzeige ist ihm sicher.

Jürgen Albrecht, 17. März 1995

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