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Ein Volk läßt die Hosen runter

Vor ein paar Tagen gehe ich mir die Berliner Zeitung kaufen. Der 'Presse Shop' brechend voll von Druckerzeugnissen. Auf einer Titelseite ein Oben-Ohne-Mädchen und als Aufmacher:

Das gab's noch nie:
Gewinnen Sie eine Nacht
Mit Titelmädchen Reni

Die Zeitung habe ich mitgenommen (2,20 DM) und habe den Aufmacher in meinem Datenbuch verewigt. Der Inhalt der Illustrierten mit dem Namen WOCHENEND besteht zu 75 % aus Sex und Umgebung. Deutsche Männer und Frauen haben am Wochenende keine anderen Interessen. Und das ist nur eine solche Zeitschrift von ca. 25 ähnlichen. Auch alle voll von 'Verbotenen Träumen', 'Sexuellen Phantasien', 'Das schamlose Biest', 'Wenn die Manneskraft nachläßt', 'Liebes Börse', 'Jungfern-Essig', 'Die Sex-Macken der Deutschen', 'Der längste Straßenstrich der Welt', unzählige Sex-Telefon-Nummern, Sofortkredite usw. usw.

Ich bin nicht unbedingt prüde, Sex interessiert mich natürlich auch, aber was mich wirklich fasziniert ist, was man sich in dieser (christlichen !!) Gesellschaft inzwischen ganz offen alles für Geld kaufen kann. Sex und Prostitution ist wohl wirklich das älteste Gewerbe der Welt. Und es gibt auf diesem Gebiet inzwischen sicherlich nichts mehr, was es nicht schon gegeben hat. In Amsterdam war ich wieder mal in einem Erotik-Museum. Da wird man in dieser Überzeugung bestärkt. Das ist sicher auch nicht verwunderlich, wenn man sich bewußt wird, wie eminent Sex zum menschlichen Leben gehört: Der stärkste Trieb des Menschen und die Verbindung zur animalischen Welt.

Aber erstaunlich, was daraus für ein ungeheures Geschäft zu machen ist. Einfach deshalb, weil die Menschen bereit sind, für die Lust zu bezahlen. Ich sehe immer noch den Affen vor mir (ungefähr 1970 im frühen Fernsehen), der pausenlos und bis zum Umfallen an einem Rad dreht, das über eine ins Gehirn eingepflanzte Sonde sein 'Glückszentrum' stimuliert. Diese unbändige Gewalt hat offensichtlich auch der Geschlechtstrieb. Und wenn man Geld hat, ist man bereit, damit an diesem Rad zu drehen.

Das erste Geschäft hat wahrscheinlich damit angefangen: Wenn Du mir xyz, dann laß ich Dich mal an diese Frau, die mir gehört. Ich glaube nicht, daß als erstes ein Mann verkuppelt wurde. Die Männer haben seit jeher dieses Geschäft fest im Griff.

 

Dann wurde (von Ägypten über Griechenland und Rom) in vielen Jahrtausenden diese klassische Prostitution durch alle denkbaren Extreme verfeinert. Heute ist das Entwicklungspotential dieses Geschäfts weitestgehend ausgeschöpft. Es gibt nichts Neues, sondern das, was vergessen, verboten oder tabu war, wird neu entdeckt.

Irgendwann wurde ein qualitativer Schritt gemacht: Abstrakter Sex. Sex in der Phantasie. Natürlich gibt es den schon immer im Kopf. Aber mit neuen Trägermedien entstand eine neue Qualität. Zuerst gab es erotische, pornographische Bilder. Zuallererst sicher auf Felsen, auf Wänden, dann auf Leder, dann auf Papier. Eine neue Welt war erschlossen: Sex und Medien.

Auf diesem Gebiet hat es in den letzten 150 Jahren durch die Entwicklung der Technik entscheidende 'Fortschritte' durch neue Medien gegeben. Mit dem Druck auf Papier hat es angefangen. Einen großen Schub hat die Fotografie ausgelöst, dann der Film und die Verfügbarkeit wurde durch Video noch einmal potenziert. Bereits mit den ersten grafikfähigen Computern gab es auch pornographische Bilder. Sex im weltweiten Datennetz ist bestimmt schon 15 Jahre alt. Eine der ersten CD's mit Bildern 'Sex für Windows' habe ich 1994 für 35 DM gekauft, nicht sehr aufregende Pornobildchen. 1994 gab es auch erste Reports über Sex im virtuellen Raum mit entsprechenden Anzügen. Eine Branche, die mit Sicherheit äußerst entwicklungsfähig ist. Telefonsex ist in den 90-er Jahren zu einem richtigen Wirtschaftszweig geworden.

Was mich an der ganzen Sache mehr als der Sex fasziniert ist die Tatsache, daß man heute für Geld (wieder !) alles ganz offiziell haben kann. Das geht von Sexzeitschriften, Sexkino, über die Prostitution in jeder nur denkbaren Form bis zu Lustsklaven/innen und der Sklavenhalterei. Schon seit den 70-er Jahren kaufen sich (west-) deutsche Männer Frauen in Thailand und Indonesien, und nach 1989 aus dem ruinierten Osten. Jetzt können auch ostdeutsche Männer mitmachen. Rund 3000 DM kostet eine hübsche Sklavin auf dem längsten Straßenstrich bei Teplice (50 km südlich von Dresden), willst Du sie gleich und ganz mitnehmen.

Und die Moral, die Philosophie, die Kirche, die Polizei? Alles dem großen Geld geopfert.

Jürgen Albrecht, 08. Januar 1995

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