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Nur eine kleine Stubenfliege

Im Fernsehen habe ich eine naturwissenschaftliche Sendung über Fliegen gesehen. Im Detail wurde dargestellt, wie die Fliegen anatomisch gebaut sind, wie sie leben, was und wie sie fressen, wie sie sich vermehren und wie sie sich an ihre Umwelt im Verlaufe der Evolution durch die Bildung immer neuer Arten und Spezialisierungen angepaßt haben. Ein Musterbeispiel, wie herrlich Bildungsfernsehen sein könnte, wenn es so etwas geben würde!

Mich hat das deshalb sehr interessiert, weil mir schon mehrfach die Fliegen als ein Beispiel aufgefallen sind, wie weit entfernt die Technik des Menschen von den Leistungen der Natur ist. So ein kleines 'Gerät', nur fünf bis zehn Millimeter groß. Trotzdem ist es ein Flugapparat, der wesentlich funktionaler ist, als vom Menschen entwickelte Fluggeräte. Die 'Software' ist mitgeliefert: Programme zum Starten, Fliegen und Landen unter den schwierigsten Bedingungen. Die erforderlichen Sensoren zur Orientierung, zur Geschwindigkeitsabschätzung und zur Positionsbestimmung sind eingebaut. So hat die Fliege beispielsweise zwei Facettenaugen aus je 4000 einzelnen 'Augen', die ihr praktisch eine Rundumsicht ermöglichen.

Dabei wurde überhaupt noch nicht vom Antrieb dieser Maschine und davon gesprochen, daß sie sich natürlich auch selber reproduzieren, fortpflanzen kann. Und wenn man sieht, wie kompliziert das organisiert ist und welche komplexen Prozesse dabei zu beherrschen sind, dann kann man nur eines: Staunen über die Natur. Es wird ein Ei gelegt ... schon das verblüffend, wie das in dieser Größenordnung überhaupt geht. Welche Informationen sind in diesem Ei wie verpackt? Aus dem Ei entwickelt sich eine träge Raupe, die nur eines kann: Fressen. Die Raupe frißt sich dick und fett und puppt sich dann ein. In der Puppe findet eine unglaubliche Metamorphose statt. Die ganz einfach strukturierten Raupe verwandelt sich in der Puppe zu einer hoch differenzierte Fliege. Wie ?? Und auch alle dabei auftretenden Inbetriebsetzungsprobleme werden 'automatisch' beherrscht. Und zwar so sicher, daß diese Art nicht nur seit mindestens 200 Millionen Jahren die Erde bevölkert, sondern sich auch noch weiterentwickelt und angepaßt hat. Würde man nicht überall Fliegen, Mücken und Bienen herum fliegen sehen, man würde es nicht glauben. Faszinierend!

 

Die Natur hat das Problem des Fliegens mindestens seit 200 Millionen Jahren gelöst. Erst in kleinem Maßstab bei den Insekten. Aber bald auch in großem Stil: Vor 140 Millionen Jahren bereits gab es große Flugsaurier. Offensichtlich ist es technisch die anspruchsvollste Aufgabe, die Luft zu erobern. Das Leben wurde vor 2000 Millionen Jahren im Wasser erfunden. Rund 1500 Millionen Jahre waren nötig, um das Land zu erobern. Dann hat es noch einmal 250 Millionen Jahre gedauert, bis auch die Luft 'eingenommen' war. Alles nur runde Zahlen.

Für für mich ist eine Frage von besonderem Interesse: Die Natur war gezwungen, seit Beginn des Lebens Informationsprozesse zu beherrschen. Die ganze Palette von Senden, Verarbeiten und Empfangen von Informationen wird von der Natur seit 2000 Millionen Jahren in unendlich vielen Varianten beherrscht. Warum ist erst in den letzten ein bis zwei Millionen Jahren eine neue Qualität von Informationsverarbeitung entstanden, die nicht mit Regelkreisen = Instinkt, sondern mit flexiblen Problemlösungsstrategien = Intelligenz operiert? Interessant auch, daß die derzeitig existierende Software für Computer ausschließlich dem Softwaretyp 'Instinkt' zuzuordnen ist. Es gibt keine, der Intelligenz adäquate Software. Es ist unklar, ob es sie je geben wird.

Aber noch interessanter ist, warum die seit Jahrtausenden vorhandene Intelligenz der Menschen erst in den letzten 150 Jahren die Naturgesetze erkundet, entdeckt und sie im großen Stil für den Menschen und gegen die Natur eingesetzt hat. Das ist für mich die interessanteste Frage der Evolution:

Die Intelligenz des Menschen, gepaart mit dem Wissen über die Naturgesetze, erzeugt heute einen Qualitätssprung und eine Unstetigkeitsstelle in der Entwicklung des Lebens auf dieser Erde. Warum gerade jetzt in dieser historisch ultra kurzen Zeit?? Warum haben gerade wir das Glück, diesen Qualitätssprung in der Evolution und seine Folgen um uns herum zu beobachten ??!

Spannende Zeiten !!

Jürgen Albrecht, 18. Juni 1995

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